• Veröffentlichungsdatum : 06.09.2018
  • – Letztes Update : 07.09.2018

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Einsatz des Bundesheeres während der „krisenhaften Situation“ in der CSSR 1968

Horst Pleiner, Hubert Speckner

Die Lage in der Tschechoslowakei, dem nördlichen Nachbarstaat Österreichs, war im Frühjahr 1968 aus militärischer Sicht nicht gerade „rosig“. Der „Prager Frühling“ mit seinen Versuchen, das Land etwas zu „demokratisieren“ und „liberalisieren“, hatte zahlreiche Nachbarstaaten des Verteidigungsbündnisses  „Warschauer Pakt“ auf den Plan gerufen.

Besonders „kritisch“ standen die Führungen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Polens und Bulgariens den Bestrebungen der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei gegenüber. Die Gewährung der Reisefreiheit auch in westliche Länder und eine gewisse Pressefreiheit wurden mit höchstem Argwohn betrachtet und als Gefahr für das eigene System gesehen.

Der Warschauer Pakt reagierte umfassend: Im März 1968 waren 14 bis 16 Divisionen vor allem der Roten Armee sowie der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA), der Polnischen Volksarmee (PVA) und der Ungarischen Volksarmee (UVA), an umfangreichen Truppenbewegungen in der Ceskoslovenská Socialistická Republika (CSSR) - offiziell im Zuge von „Manövern“ und „Stabsrahmenübungen“ - beteiligt. Zum Vergleich: Beim Einmarsch und der Besetzung der Tschechoslowakei im August 1968 durch Truppen des Warschauer Paktes waren 20 bis 28 Divisionen beteiligt.

Die Gruppe Nachrichtenwesen des Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMLV) legte daher am 22. März 1968 dem Bundesminister für Landesverteidigung, Dr. Georg Prader, sowie dem Bundespräsidenten, Dr. Franz Jonas, und dem Bundeskanzler, Dr. Josef Klaus, eine „Sonderinformation“ über die Entwicklungen in der CSSR vor und schloss darin ein „wesentliches Einwirken“ der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) in der CSSR nicht aus.

In der Umsetzung dieser Beurteilung wurden Überlegungen zu allfälligen Reaktionen und Vorbereitungsmaßnahmen des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) angestellt und im Hinblick auf die Vermeidung einer „Beunruhigung der Bevölkerung“ als „nicht zweckmäßig“ beurteilt und demzufolge nicht empfohlen, allerdings wurden „Permanenzdienste“ in den wesentlichen Dienststellen angeordnet.

Am 13. Mai 1968 besprach General Fussenegger (Generaltruppeninspektor des ÖBH) die Lage mit dem Bundesminister: Man befürchtete für das Bundesheer „kritische“ Lagen an den normalerweise personell sehr gering besetzten Wochenenden und war sich bewusst, dass militärische Vorbereitungen „politisch nicht möglich“ wären. Daher gab Minister Prader die Weisung, durch Truppenübungsplatz-Belegungen auch an den Wochenenden stets marschbereite Truppenteile verfügbar zu halten. Die Maßnahmen mussten streng geheim behandelt werden.

Bereits am 31. Mai 1968 informierte die Gruppe Nachrichtenwesen über bevorstehende Warschauer Pakt-Manöver in der CSSR. Daraufhin fand am 4. Juni 1968 eine Besprechung zwischen Bundesminister Dr. Prader und dem Bundesminister für Äußeres, Dr. Kurt Waldheim, zur aktuellen Lage statt. Die Gruppe Nachrichtenwesen legte in der Folge laufend Lageinformationen vor, die an den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, das Außen- sowie das Innenministerium weitergeleitet wurden. 

Bundesminister Prader berichtete am 12. Juli 1968 dem Bundespräsidenten über die Einschätzung der Gruppe Nachrichtenwesen zur Lage in und um die CSSR. Demnach waren Anzeichen für eine Intervention gegeben, und eine Bitte konservativer Funktionäre der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSC) an die UdSSR um „Hilfe“ konnte nicht ausgeschlossen werden.

Vorbereitungen eines Bundesheer-Einsatzes

Bundesminister Dr. Prader hielt aufgrund der Lage am 23. Juli 1968 eine Besprechung zur Vorbereitung eines Einsatzes des Bundesheeres im Krisenfall ab. Er hielt eine Intervention des Warschauer Paktes innerhalb von 14 Tagen für möglich, erläuterte seine Vorstellungen für eine Überwachung der Grenze und bestand auf einer Prüfung der Einsatzbereitschaft und der Munitionsbestände bei den Verbänden des Bundesheeres. Prader betonte, dass die Öffentlichkeit nicht durch militärische Maßnahmen beunruhigt werden solle und keine eskalierende Wirkung für die CSSR eintreten dürfe. Zur wichtigen Frage der Verfügungsgewalt über das Bundesheer legte der Minister dar, dass er aufgrund der ihm erteilten Ermächtigung der Bundesregierung zwar eine Alarmierung des Bundesheeres durchführen könne, für die weiteren Schritte aber die Bundesregierung und der Landesverteidigungsrat zu befassen seien. Die Frage eines allfälligen „Schießbefehles“ wäre mit dem Innenministerium zu behandeln.

Während General Fussenegger mit Nachdruck die Fertigstellung der Weisung für die Vorbereitung eines Einsatzes zur Sicherung der Grenze zur CSSR einforderte, blieb Minister Prader mit seiner Auffassung hinsichtlich einer möglichen Intervention in der CSSR in der Bundesregierung jedoch eher isoliert. Man sah dort eine militärische Intervention nur als „unwahrscheinliche“ Möglichkeit und erwartete das Abklingen der Spannungen.

Am 24. Juli 1968 erging die von General Erwin Fussenegger genehmigte Weisung unter dem Deckwort „Urgestein“ an die Gruppenkommanden des Bundesheeres. Darin wurde die Absicht zugrunde gelegt, dass im Falle eines Eingreifens von Streitkräften des Warschauer Paktes in der CSSR das Bundesheer den Schutz der Grenzen zum Beweis des Willens zur unbedingten Neutralität zu übernehmen habe. Daher sollte die Nordgrenze mit Schwergewicht an den Grenzübergangsstellen gesichert und das Zwischengelände überwacht werden. Neben der Infanterie war auch das Bedienungspersonal schwerer Waffen und der Artillerie heranzuziehen. 

Der Einsatz der Kräfte wurde in drei Phasen vorgesehen: In der ersten Phase hatte die 1. Jägerbrigade (JgBrig) aus Eisenstadt die Grenze im Weinviertel, die 3. PzGrenBrig jene im Waldviertel und die 4. PzGrenBrig aus Linz-Ebelsberg den Anteil im Mühlviertel zu sichern. In einer zweiten Phase waren die 5. (Graz), 7. (Klagenfurt) und 6. (Innsbruck) JgBrig zur Verdichtung einzusetzen und erst in einer dritten Phase sollten die ab 1962 vorwiegend aus „Reservisten“ aufgestellten „Grenzschutzkompanien“ in Niederösterreich und das Grenzschutzbataillon „Mühlviertel“ in Oberösterreich die eingesetzten Truppen ergänzen oder ablösen.

Am darauffolgenden 25. Juli 1968 fand eine Besprechung zwischen Minister Prader und Brigadier Freihsler (Leiter der Gruppe Operation im BMLV) ohne Einbeziehung des Generaltruppeninspektors, General Fussenegger, zur Vorbereitung des Einsatzes des Bundesheeres statt. Dabei wurde nach umfassender Diskussion vom Bundesminister klargestellt, dass die Einheiten des Bundesheeres in einem Abstand von 30 km zur Staatsgrenze zu verbleiben hätten.

Offenbar hatte Bundesminister Prader Rücksprache mit Bundeskanzler Klaus zur Frage des Einsatzes des Bundesheeres und wegen etwaiger außenpolitischer Bedenken gehalten. Diese Information wurde allerdings nicht an die mit „Urgestein“ befassten Gruppenkommanden weitergegeben. Es ist nicht gesichert, ob General Fussenegger von dieser Abänderung überhaupt Kenntnis erhielt. Bundesminister Prader hat diese Einschränkung jedenfalls in den weiteren Besprechungen dieses Tages gegenüber dem General Fussenegger nicht erwähnt. Demgegenüber hat der Minister aber dem Gruppenkommando Luftstreitkräfte die mündliche Weisung zur Sicherstellung der Einsatzbereitschaft von zwei Rotten (vier Flugzeuge) Saab J-29 sowie von vier Transporthubschraubern auf den Bundesheer-Flugplätzen ab dem 26. Juli und zur durchgehenden Luftraumüberwachung durch die Radarstation Kolomansberg ab sofort bis zum 29. Juli einschließlich erteilt. Mit einer weiteren Weisung wurden Vorbereitungen für die Aufnahme von Flüchtlingen in der Kaserne Freistadt sowie auf den Truppenübungsplätzen Bruckneudorf und Allentsteig durch den Bundesminister angeordnet und dabei wurde auf die Geheimhaltung dieser Vorbereitungsmaßnahmen hingewiesen.

Vorbereitungen für Intervention

Ab dem 26. Juli 1968 fand ein Treffen der Staats- und Parteiführungen der Warschauer-Pakt-Staaten in Cierna nad Tisou (Schwarzau an der Theiß) und am 3. August 1968 ein Folgetreffen in Bratislava statt, die nach außen hin Einigkeit im Warschauer Pakt signalisierten. Angeblich wurde jedoch am 27. Juli 1968 eine Weisung des Generalstabes der UdSSR zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft und zur Durchführung einer „verdeckten“ Teilmobilmachung in den beteiligten Ländern verfügt.

Nachdem dieses Wochenende ruhig verlaufen war, glaubten die politischen und militärischen Verantwortungsträger in Österreich nicht mehr an eine etwaige militärische Eskalation. Minister Prader reiste daher in die Bundesrepublik Deutschland, General Fussenegger fuhr mit seiner Familie nach Jugoslawien auf Urlaub und Bundespräsident Jonas begab sich ins Jagdschloss Mürzsteg, dem Sommersitz der österreichischen Bundespräsidenten.

Allerdings hatte die Gruppe Nachrichtenwesen in einer Information vom 1. August 1968 auf den Aufmarsch der Interventionskräfte im Umfeld der CSSR hingewiesen und die Vorbereitungen für eine Intervention als abgeschlossen beurteilt.

So begann in Österreich nach dem friedlichen Ausklang der Konferenz von Bratislava am 3. August 1968 die gewohnte Urlaubsperiode der Bundesregierung, begleitet von den üblichen Parlamentsferien und den Erholungsurlauben der leitenden Beamten. Auch Minister Prader begab sich nach seiner Rückkehr aus der Bundesrepublik Deutschland an seinen Urlaubssitz am Erlaufsee. Am 11. August 1968 begannen in den an die CSSR angrenzenden Räumen Polens und der DDR Überprüfungen der Fernmeldeverbindungen der dort befindlichen Warschauer-Pakt-Truppen, und am 15. August 1968 folgten in Ungarn Manöver, in deren Verlauf weitere Truppen aus dem Militärbezirk Karpaten nach Ungarn verlegt wurden. In Österreich blieb man trotzdem „ruhig“. Die Gruppe Nachrichtenwesen vertrat stets die Auffassung, dass ein etwaiger Einmarsch auf die CSSR beschränkt bliebe.

21. August 1968 - Intervention in der CSSR

Am späten Abend des 20. August 1968 begann die Operation „Donau“ (Dunaj) zur „Abwehr der Konterrevolution“ in der CSSR durch Truppen eines Teiles der Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes. Im BMLV erfolgte um 0150 Uhr des 21. August 1968 eine Vorwarnung der Gruppe Nachrichtenwesen an den Journaldienst des BMLV und um 0240 Uhr die erste Verbindungsaufnahme der Kommandozentrale des BMI mit dem Permanenzdienst des BMLV.

Dieser setzte fernmündlich Brigadier Freihsler (Leiter der Gruppe Operation) von der Entwicklung in Kenntnis, der nach Rücksprache mit der Gruppe Nachrichtenwesen deren Beurteilung hinsichtlich des Anlaufens einer Intervention teilte und die Vorwarnung der Kommanden im Sinne der Planungen „Urgestein“ anordnete. Diese erfolgte dann ab 0300 Uhr, und ab 0330 Uhr erging die Weisung zur Alarmierung an die Gruppenkommanden.

Nach weiteren Maßnahmen zur Herstellung der Führungsfähigkeit des BMLV ordnete Brigadier Freihsler die Alarmierung und Information des Bundesministers an. Da jedoch der Zeitpunkt der Mitwirkung des Bundesministers nicht abgeschätzt werden konnte, ordnete Brigadier Freihsler in seiner Eigenschaft als Chef des Stabes des Führungsstabes des Generaltruppeninspektorates und Leiters der Gruppe Operation in der Sektion III zwischen 0330 und 0400 Uhr die Alarmierung der für die Grenzüberwachung vorgesehenen Kommanden und Verbände und die Herstellung der Abmarschbereitschaft aus eigenem Entschluss an.

Da der Bundesminister für Landesverteidigung in seinem Feriendomizil am Erlaufsee telefonisch nicht erreichbar war, wurde ein Gendarmeriebeamter vom Posten Mariazell zu ihm gesandt. Um 0545 Uhr nahm Minister Prader erstmals telefonisch von Mariazell aus Verbindung mit Brigadier Freihsler im BMLV auf und genehmigte die bisher getroffenen Maßnahmen. In Übereinstimmung mit den bisherigen Festlegungen erging daher kein Befehl für einen Einsatz beziehungsweise Abmarsch der Verbände. Prader fuhr dann in Richtung Wien los, telefonierte gegen 0800 Uhr von der Kaserne Spratzern aus mit dem Bundeskanzler und fand sich um 0915 Uhr im Bundeskanzleramt ein.

Alarmierung und Aufmarsch von Bundesheer-Einheiten

Nach dem Eintreffen der Alarmierung bei der 1. JgBrig (Eisenstadt) um 0530 Uhr war zwar der Chef des Stabes, Major Siegbert Kreuter, verfügbar, der auf Urlaub befindliche Brigadekommandant wurde jedoch durch den Kommandanten des Stabsbataillons 1, Oberstleutnant Bergmann, vertreten.

Kurz nach 0600 Uhr hatten die Radarstation und die Flugmeldezentrale auf dem Kolomansberg ihre Überwachungstätigkeit aufgenommen und konnten oberhalb bestimmter Höhen den Luftraum über Westungarn und der westlichen Slowakei, Mähren, Böhmen und Süddeutschland überwachen. Ebenso wurde um circa 0600 Uhr die Startbereitschaft für die Abfangjäger Saab J-29 F (Spitzname „ fliegende Tonne“; Anm.) angeordnet. Um 0735 und 0745 Uhr starteten die beiden ersten Hubschrauber des Typs „Alouette“ II und H-13 H zu Überwachungsflügen entlang der Grenze in Ober- und Niederösterreich, die in der Folge gemeinsam mit Flächenflugzeugen Cessna L-19 routinemäßig mit ebensolcher Regelmäßigkeit durchgeführt wurden wie die Patrouillenflüge der Saab J-29 F. Das Jagdbomber-(JaBo-)Geschwader bemühte sich von 0800 Uhr bis gegen 1630 Uhr dauerhaft zumindest eine Rotte (zwei Maschinen) der „fliegenden Tonne“ in der Luft zu haben.

Im Bereich der Gruppe III (Salzburg) verlief die Alarmierung, vor allem der 4. Panzergrenadierbrigade (Linz-Ebelsberg), reibungslos. Um 0820 Uhr meldete der Chef des Stabes des Gruppenkommandos III in Salzburg die Abmarschbereitschaft der alarmierten Kräfte. Die Alarmierung der 3. Panzergrenadierbrigade (Mautern) verlief im Allgemeinen ohne Probleme. Die beim Gruppenkommando I vorbereiteten Weisungen an die Brigaden und Gruppentruppen für den Fall „Urgestein“ wurden zwischen 0700 und 0800 Uhr mit Kradmeldern den betroffenen Kommanden zugestellt. Darin waren für die 9. Panzergrenadierbrigade (Götzendorf) und die Verbände in der Garnison Wiener Neustadt Anordnungen zur Sicherung der Flugplätze Wien-Schwechat und Wiener Neustadt enthalten. Um 0840 Uhr konnte der Chef des Stabes des Gruppenkommandos I die gesamte 3. Panzergrenadierbrigade abmarschbereit melden. Somit hatten am 21. August 1968 um 0900 Uhr alle planmäßig vorgesehenen Verbände des Österreichischen Bundesheeres nach längstens fünfeinhalb Stunden die Alarmierung durchgeführt und ihre Abmarschbereitschaft gemeldet. Damit begann für die alarmierten Verbände, Einheiten und Dienststellen das Warten auf weitere Befehle.

Das Gruppenkommando I in Wien berief für 1000 Uhr die Kommandanten der Gruppentruppen und Brigaden zu einer Besprechung in das Kommandogebäude in Wien. Den Kommandanten wurde eröffnet, dass eine Sicherung unmittelbar an der Grenze nicht vorgesehen war und die offensichtlich bereits zugestellten Weisungen für einen Einsatz im Sinne der Planung „Urgestein“ aufgehoben seien. So wurden in der Folge den Bataillonen Räume bzw. Garnisonen zugewiesen, die sie auf Befehl zu beziehen hatten. Gegen 1200 Uhr war dann diese Besprechung beendet und die Beteiligten begaben sich zurück zu ihren Verbänden, um auf weitere Befehle zu warten.

Im Laufe des Vormittags des 21. August 1968 fanden sich vor allem an den Sammelplätzen des Grenzschutzbataillons „Mühlviertel“ und an den festgelegten Aufstellungsorten anderer Einheiten der Grenztruppen nördlich der Donau Kommandanten und Soldaten dieser Einheiten ein. Den „Grenzjägern“ waren Uniform und Ausrüstung übergeben worden, nur die Handfeuerwaffen waren in den militärischen Depots - allerdings im grenznahen Raum wie in Gendarmeriepostenkommanden gelagert. Die Enttäuschung war groß, als mitgeteilt wurde, es sei vorerst kein Einsatz des Grenzschutzes vorgesehen.

Ablauf der politischen Entscheidungen am 21. August

Ab 0800 Uhr des 21. August 1968 setzte, der im Tullnerfeld alarmierte, Bundeskanzler Klaus die Beratungen mit den vor Ort befindlichen Bundesministern und Brigadier Freihsler fort. An dieser Besprechung nahm dann ab 0915 Uhr auch Verteidigungsminister Prader teil. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Spitzen der Interventionskräfte in der CSSR bereits eine Reihe von Grenzübertrittsstellen erreicht, und gegen Mittag war die operative Abriegelung der CSSR abgeschlossen. In dieser Vormittagsbesprechung wurden die Lage in ihren grundsätzlichen Aspekten und die Zuständigkeit für einen Einsatzbefehl an die Truppen des Bundesheeres diskutiert. So wurden Zweifel behandelt, ob diese nun dem Bundespräsidenten, der Bundesregierung als Kollegialorgan oder dem Bundesminister für Landesverteidigung zukommen würde.

Dabei lag ein Beschluss der Bundesregierung vom 28. Juni 1966 betreffend Ermächtigung der Bundesregierung an den Bundesminister für Landesverteidigung zur Verfügung über das Bundesheer vor: Sollte es der Bundesregierung nicht möglich sein, rechtzeitig zu einer Beschlussfassung zusammenzutreten, war dem Bundesminister für Landesverteidigung die Handlungsfreiheit eingeräumt worden. In diesem Fall hatte der Minister der Bundesregierung und dem Bundespräsidenten unverzüglich über die getroffenen Maßnahmen zu berichten.

Schließlich wurde festgelegt, den Einsatz des Bundesheeres noch nicht anzuordnen, eine (Teil-)Mobilmachung der Grenzschutzeinheiten nicht vorzusehen und auf eine Einberufung des Landesverteidigungsrates zunächst zu verzichten. Die dennoch erforderlichen Entscheidungen sollten in einem außerordentlichen Ministerrat am frühen Nachmittag getroffen werden.

Um 1230 Uhr traf der sowjetische Botschafter in Wien, Boris F. Podzerob, mit Bundeskanzler Klaus zusammen und betonte, dass keine Gefährdung Österreichs bestehe und erklärte die Beweggründe für den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR aus sowjetischer Sicht. Nach diesem Gespräch begann um 1330 Uhr der außerordentliche Ministerrat, in dem bis 1530 Uhr beschlossen wurde, die alarmierten Verbände des Bundesheeres in Marsch zu setzen. Die Entscheidungen, die Kräfte in einer Linie in einem Abstand von 30 km zur Staatsgrenze „zur Verstärkung der Garnisonsbereiche nördlich der Donau“ bereitzuhalten und auch eine Mobilmachung von Grenzschutzkräften nicht vorzunehmen, wurden zustimmend zur Kenntnis genommen. Nach Einigung in der Kompetenzfrage sollte der Einsatzbefehl an die Verbände des Bundesheeres durch den Bundesminister für Landesverteidigung innerhalb der bestehenden Ermächtigung ergehen.

Um 1700 Uhr fand eine „ad hoc“ einberufene Sitzung des Landesverteidigungsrates unter Vorsitz des Bundeskanzlers statt. Die Mitglieder wurden über die getroffenen Maßnahmen informiert und vom Bundeskanzler wurde vorgeschlagen, die entstandene Lage nur als „krisenhafte Situation“ zu bezeichnen und nicht von der Möglichkeit der Erklärung des „Krisenfalles“ im Sinne der Entschließung des Nationalrates zur „Umfassenden Landesverteidigung“ aus dem Jahre 1965 Gebrauch zu machen.

Die durch das Bundesheer gesetzten Maßnahmen zur Durchführung des Befehles „zur Verstärkung der nördlichen Garnisonen“ werden in diesem Artikel nicht näher beschrieben. Der Einsatz der Soldaten des Bundesheeres im Sommer 1968 stellt allerdings ein Lehrbeispiel dafür dar, wie Soldaten aller Dienstgrade auch in der höchst unklaren Lage vom 21. August bis 8. September 1968 ohne Vorfälle ihren Dienst versahen. Die Enttäuschung über einen Einsatz im Abstand von 30 km zur Grenze war allerdings bei praktisch allen Soldaten groß.

Innerösterreichische Folgewirkungen des ÖBH-Einsatzes

Die militärstrategische Lage im Umfeld Österreichs hatte sich mit dem Verbleib von sowjetischen Divisionen auf dem Gebiet der CSSR wesentlich verändert. Damit gewannen Fragen der militärischen Vorwarnzeit, der Einsatzbereitschaft, der Reaktionsmöglichkeiten und der Kampfkraft und Standfestigkeit der eigenen Truppen gegenüber einem modern ausgerüsteten potenziellen Gegner einen wesentlich höheren Stellenwert als im davorliegenden Planungszeitraum. Die Ausprägung einer Abhaltestrategie und des Verfahrens der Raumverteidigung waren nur einige der Konsequenzen.

Verkürzung des Grundwehrdienstes

Der Verzicht auf die Aufbietung der Grenzschutzkräfte und der grenzferne Einsatz des Bundesheeres führten insgesamt zu einem schwerwiegenden Image- und Motivationsverlust in der Bevölkerung, bei den betroffenen Angehörigen des Grenzschutzes, bei der Exekutive und innerhalb des Bundesheeres selbst. Der SPÖ-Parteivorsitzende, Dr. Bruno Kreisky, warf als Angehöriger des Landesverteidigungsrates dem Bundesheer vor, nicht einmal den „Schutz der Grenzen“ bewältigen zu können. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Bundesheeres und des Wehrdienstes rückte in den Vordergrund der innen- und tagespolitischen Entwicklung und der Wahl-Slogan der SPÖ „Sechs Monate sind genug“, trug wahrscheinlich nicht unwesentlich zum Wahlverhalten vieler Österreicher im März 1970 bei.

Als unmittelbare Folge des Wahlerfolges der SPÖ wurde im Zuge der konstituierenden Sitzung am 15. Mai 1970 die „Bundesheer-Reformkommission“ eingerichtet, als deren Ergebnis auf politischer Ebene lediglich die Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf theoretisch sechs - in der Praxis acht - Monate zu verzeichnen war. Auf der militärischen Ebene führte die Umsetzung der Vorgaben der „Bundesheer-Reformkommission“ letztlich aber zu einer umfassenden Reform des „Verteidigungskonzeptes“ des Österreichischen Bundesheeres. Das daraus entwickelte „Raumverteidigungskonzept“ rüttelte heftig an den militärischen „Grundfesten“ und bestimmte für fast zwei Jahrzehnte das „wehrpolitische Geschehen“ in Österreich.

General i. R. Mag. Horst Pleiner ist ehemaliger Generaltruppeninspektor des Österreichischen Bundesheeres.

Hofrat Mag. Dr. Hubert Speckner ist Forscher am Zentrum für menschenorientierte Führung und Wehrpolitik.

 

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