• Veröffentlichungsdatum : 05.10.2023
  • – Letztes Update : 06.12.2023

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„Entertainment on Demand“ (EOD) – Mission ready seit 1993

Johannes Mössler

Im Mai 2023 berichtete das ukrainische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, dass die Ukraine, mit einer geschätzten Fläche von 174 000 km², die größte Kampfmittelverdachtsfläche der Welt besitzt und somit frühere Spitzenreiter, wie Afghanistan und Syrien, abgelöst hat. Laut dem letzten Mine Action Review 2022 wurden der Irak, Kambodscha sowie Afghanistan als die am stärksten mit Kampfmitteln kontaminierten Ländern bewertet. Hingegen wurden Bosnien und Herzegowina, Angola, Thailand, Türkei und der Jemen „nur“ als stark kontaminiert eingestuft. 

Derzeit sind in der Ukraine etwa 500 verschiedene „Demining“-Teams mit bis zu 5 000 Personen in der humanitären Minenräumung aktiv. Diese Kräfte würden etwa 20 Jahre benötigen, um ein Gebiet von 4 700 km² zu säubern. Wenn die gesamte geschätzte Fläche von 174 000 km² kontaminiert wäre, würde es mit dieser Personalkapazität etwa 740 Jahre dauern, um den Staat als kampfmittelfrei zu betrachten.

Die humanitäre Minenräumung in der Ukraine wird von staatlichen Kampfmittelräumdiensten, internationalen und nationalen Nichtregierungsorganisationen sowie kommerziellen Räumfirmen durchgeführt. Die geräumten Flächen, auf denen jegliche Art von Kampfmitteln entfernt wurden, werden von einer staatlichen Behörde überprüft und offiziell als „sicheres Land“ zertifiziert. Hier zeigt sich bereits eine erste Herausforderung für einen möglichen militärischen Einsatz zur Räumung von Flächen gemäß den International Mine Action Standards (IMAS), die im täglichen politischen und medialen Diskurs häufig nicht berücksichtigt wird: die Haftung.

Nach dem „Land Release“-Verfahren laut IMAS, erfordert die Freigabe einer geräumten Fläche die Unterschrift des Verantwortlichen für die Räumung. Dies bedeutet, dass die zuvor mit Kampfmitteln belastete Zone frei von jeglichen explosiven Hinterlassenschaften ist. Sollte sich dort Jahre später eine Person, durch ein nicht aufgefundenes Kampfmittel, tödlich verletzen, liegt die Haftung bei derjenigen Person bzw. Organisation, die die Fläche freigegeben hat. Es stellt sich die Frage, wer letztendlich für den entstandenen Schaden verantwortlich ist.

Es ist wichtig, dass diese Haftungsfrage bei militärischen Einsätzen zur Minenräumung sorgfältig bedacht wird. Eine klare Regelung und Verantwortlichkeiten sind unumgänglich, um mögliche rechtliche Konsequenzen und Haftungsfragen angemessen behandeln zu können. Die Sicherheit der Bevölkerung und die Vermeidung von Unfällen sollten stets oberste Priorität haben.

Ob, wann und wie österreichische Spezialisten in der Ukraine zur Minenräumung eingesetzt werden könnten, ist eine politische Entscheidung. Die Kampfmittelbeseitiger des Bundesheer verfügen jedenfalls über die Fähigkeiten, um im urbanen Gelände eingesetzt zu werden. Sie können unter Anwendung der „Low Order“-Technik Kampfmittel (Sprengfallen, Minen, Fliegerbomben, Raketen, Lenkflugkörper etc.) beseitigen, um innerhalb von verbauten Flächen Schäden hintanzustellen. Die technische Herausforderung und die erforderliche fachliche Qualifikation sind dabei wesentlich höher als bei der humanitären Minenräumung, im Bundesheer jedoch vorhanden, erprobt und international anerkannt.

Seit 1993 sind österreichische Kampfmittelbeseitiger in friedensunterstützenden Missionen im Ausland tätig. Ihre Einsatzgebiete umfassten unter anderem die Golanhöhen, den Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien sowie humanitäre Hilfseinsätze in Mosambik und Sri Lanka. Die österreichische Kampfmittelbeseitigung ist seit drei Dekaden ein fester Bestandteil des guten Rufes des Bundesheeres im multinationalen Umfeld. Die Anerkennung, die unsere Kampfmittelbeseitiger im Ausland erhalten, ist in Österreich selbst nicht in demselben Maße vorhanden. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass die vor zehn Jahren genehmigte Vorhabensabsicht C-IED (Counter-Improvised Explosive Devices) nicht in die Tat umgesetzt wurde. Dadurch fehlt es auf operativer und strategischer Ebene an Fachbereichszellen mit vollständig ausgebildeten Kampfmittelbeseitigern und Entschärfungsexperten. 

Diese Situation führt zu einem Informationsvakuum, das sich bei der Debatte um einen möglichen Minenräumungseinsatz in der Ukraine offenbart hat. Es gab keine einheitliche Sprachregelung, Begriffe wurden falsch verwendet bzw. missverstanden, Informationen mussten mühsam gesucht werden, und einzelne Fachleute versuchten, Missverständnisse auszuräumen. Das hat gezeigt, dass dieses Thema nicht nur eine innenpolitische Herausforderung darstellt, sondern auch medialen Sprengstoff birgt, der von Fachleuten in den richtigen Führungsebenen entschärft hätte werden können.

Major Mag.(FH) Ing. Johannes Mössler; Kommandant Lehrgruppe & Hauptlehroffizier Kampfmittelbeseitigung an der Heereslogistikschule
 


Dieser Kommentar erschien im TRUPPENDIENST 3/2023 (393).

Zur Ausgabe 3/2023 (393)


 

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