• Veröffentlichungsdatum : 16.12.2021
  • – Letztes Update : 20.12.2021

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Es ist nicht vorbei, wenn´s vorbei ist

Bianca Pröll

20 Jahre Einsatz in Afghanistan haben nicht nur bei der Bevölkerung vor Ort Spuren hinterlassen – auch die dort eingesetzten Soldaten tragen ein „Päckchen“ mit sich. Der jahrzehntelange Kampf gegen die immer wieder vordringenden Taliban, die Unterstützungs- und Ausbildungsarbeiten mit Militär, Regierung und Bevölkerung in Afghanistan – all diese Tätigkeiten waren dazu bestimmt, den Menschen zu helfen und Stabilität zu sichern.

Dennoch eroberten die Taliban letztlich innerhalb weniger Wochen Stadt um Stadt, bis Kabul schließlich kampflos aufgegeben wurde. Die Besatzungstruppen starteten eine Evakuierungsmission für ihre Staatsbürger und zehntausende Menschen, die ihren Truppen geholfen hatten. Am 30. August 2021 wurde die Mission offiziell beendet. Zuhause berichten die Soldaten von der Verzweiflung, die die Menschen am Flughafen verspürt hatten, von auseinandergerissenen Familien und von ihrer eigenen Hilflosigkeit, weil sie gerne noch mehr getan hätten. Seither prasseln Medienberichte über die dramatischen Zustände im Land auf die Rückkehrer ein. Diese sind nicht nur mit der Frage über den Nutzen ihres Einsatzes in Afghanistan, sondern auch mit der Tatsache konfrontiert, dass sie teilweise Menschen zurücklassen mussten, mit denen sie gearbeitet und persönliche Beziehungen aufgebaut hatten.

 

Posttraumatische Belastungsstörung als Folge?

Die Geschehnisse in Afghanistan lassen die Sinnhaftigkeit des Einsatzes, der auch durch Extremsituationen wie Kampfhandlungen und gefallene Kameraden geprägt war, infrage stellen. Diese Sinnfrage kann die Entwicklung einer Traumafolgestörung bis hin zu einer Posttraumatischen Belastungs-Störung (PTBS) begünstigen. Laut dem aktuell gültigen Diagnostik-System muss eine Person nicht direkt von einem traumatisierenden Ereignis betroffen sein, um eine PTBS zu entwickeln. Es reicht, im Detail von einem Ereignis zu erfahren, das einem nahestehenden Menschen zugestoßen ist.

Zu den Symptomen einer PTBS gehört das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Gedanken, akute Ausbrüche von Angst oder Aggression, Schlaflosigkeit, häufig auch Depression sowie Suizidgedanken. Nach einem Trauma kann es Wochen bis Monate dauern, bis die Störung auftritt. Professor Michael Stein, leitender Psychologe des Streitkräfteteams der Deutschen Bundeswehr, berichtet, dass sich der Mehraufwand im Betreuungsbedarf noch in Grenzen hält. Man müsse jedoch die Entwicklungen in der nächsten Zeit beobachten. Ein enges Betreuungsnetz bis zur traumatherapeutischen Behandlung würden dafür zur Verfügung stehen.

Was kann helfen, um damit fertig zu werden?

Die Frage, wie sinnvoll ihr Einsatz in einem Land war, das nunmehr im Eiltempo zu einem von den Taliban regierten System zurückzukehren scheint, quält viele, die dort gedient haben. Es ist konstruktiver, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass kein Bemühen umsonst war. Professor Stein berichtet, dass die Soldaten den Stolz über ihre Teilnahme an diesem Einsatz wie einen Schutzmantel tragen. Die Zeit, die man mit den Menschen gearbeitet hat, wird als wichtig und wertvoll und jede evakuierte Person als ein Erfolg betrachtet.

Dass die Soldaten nun immer wieder zu hören bekommen, welche destruktiven Entwicklungen es in Afghanistan seit dem Abzug gäbe, ist ein Risiko für die Psyche. Das Bedürfnis, weitere Informationen zu sammeln, ist verständlich, jedoch nicht hilfreich für die Abgrenzung, die zum Selbstschutz nötig ist. Laut einer aktuellen Studie soll man sich nur zeitlich begrenzt mit einem belastenden Thema beschäftigen, da es sonst zu einem erhöhten Risiko für psychische Störungen aufgrund einer Stressreaktion kommen würde.

Bei der Unterstützung innerhalb der Truppe ist wichtig, wie andere mit ihren Belastungen umgehen. Die Vorbildwirkung von Vorgesetzten kann Personen in ihrer Überzeugung stärken, aus einer schwierigen Situation auch wieder herausfinden zu können. Psychosoziale Ersthelfer aus den eigenen Reihen (Peers) stehen ab der Ebene Kompanie für eine erste psychologische Entlastung zur Verfügung.

Zudem gibt es professionelle Hilfe von Militärpsychologen. Diese sind als Truppenpsychologen bei den Brigaden, im Heerespsychologischen Dienst und in den Sanitätszentren vertreten. Speziell zum Thema PTBS gibt es das therapeutische Angebot am Institut für Psychotraumatologie im Sanitätszentrum West in Innsbruck. Professor Stein berichtet, dass der Einsatz in der Regel formell mit einem zeremoniellen Ritual abgeschlossen wird. Ein emotionaler Abschluss ist aber durch die aktuellen Bedingungen für viele noch nicht möglich. Der Einsatz geht noch weiter – in den Köpfen und Herzen der Soldaten.

Bianca Pröll, MSc; Klinische- und Gesundheitspsychologin i. A. im HPD.

 

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