• Veröffentlichungsdatum : 22.06.2022
  • – Letztes Update : 28.06.2022

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Europa in Mali - der neue Hindukusch?

Erwin Gartler

Seit 2013 unterstützt die Europäische Union die malische Regierung bei der Ausbildung ihrer Armee. Soldaten des Österreichischen Bundesheeres haben darin wesentliche Funktionen. Zwischen WhatsApp als militärisches Führungsmittel, Stützpunkten in zivilen Hotels und der Brüsseler Bürokratie sollen Kräfte der malischen Armee für den Kampf gegen Terrorgruppen vorbereitet werden.

Im TD-Heft 1/2022 wurde die European Union Training Mission (EUTM) Mali vorgestellt. Nun steht die persönliche Perspektive eines österreichischen Soldaten der EUTM Mali und somit eines Europäers im Mittelpunkt, der erstmals für längere Zeit außerhalb von Europa und in einer schwierigen Mission seinen Dienst versieht. Nicht nur das Land hat einige Besonderheiten, sondern auch die Mission. 

Wo es begann 

11. August 2021: Nach einer sechswöchigen intensiven Einsatzvorbereitung in Götzendorf, Zwölfaxing und Allentsteig geht es endlich in den Einsatzraum. Nach dem Flug von Köln in den Süden landet die Ablöse für das österreichische Kontingent in Bamako, der Hauptstadt Malis. Es ist bereits das 24. Kontingent, und noch immer wird die Europäische Union benötigt, um die malischen Streitkräfte bei der Ausbildung ihrer Soldaten zu unterstützen. Kaum aus dem Flugzeug gestiegen, wird man mit dem ersten Unterschied zur Heimat konfrontiert – dem Klima.  

Klima in Mali 

Mali ist ungefähr 3,5-mal so groß wie Deutschland. Das Klima reicht vom Wüstenklima im Norden bis zum tropisch-feuchten Klima im Süden. Es gibt drei Jahreszeiten: die (im Norden weniger ausgeprägte) Regenzeit von Juni bis Oktober, die kühlere Trockenzeit von November bis Februar und die sehr heiße Trockenzeit von März bis Mai. Die durchschnittliche Temperatur in der Hauptstadt Bamako liegt im Jänner zwischen 16° und 32° C und im April zwischen 24° und 39° C. Die Regenzeit dauert im Norden weniger als einen Monat, im Süden – und damit in Bamako und der Verwaltungsregion Koulikoro, in der sich das Trainingscenter der EU-Kräfte befindet - durchschnittlich fünf Monate. Schnee hat hier noch niemand gesehen. Doch es ist nicht nur die Temperatur, die einem den Atem raubt, sondern vor allem die Luftfeuchtigkeit. Im August gibt es bis zu 13 Regentage und eine doppelt so hohe absolute Luftfeuchtigkeit wie in Österreich. Wer falsch oder wenig trinkt, dem versagt der Kreislauf. 

Bamako und der Verkehr

In vielen Einsatzräumen ist der Verkehr eine der Hauptgefahren für Soldaten – auch in Mali. Nach dem Entladen des Flugzeuges macht sich die Kolonne bereit für die Fahrt nach Koulikoro. Dabei wird schnell klar: Erstens ist es anders als in Europa, und zweitens ist es ein Einsatz in einem angespannten Sicherheitsumfeld. Ohne Schutzausrüstung oder gepanzerte Fahrzeuge bewegt EUTM Mali nichts. 

Kaum aus dem Flughafenareal, geht es hinein in den Verkehrsstrom. Und der hat es in sich. Eine Unmenge an Fahrzeugen, die wahrscheinlich noch nie eine Abgasüberprüfung gesehen haben, und Massen von Motorrädern winden sich durch den Verkehr. Motorräder sind ein beliebtes Fortbewegungsmittel – relativ billig, unverwüstlich und ohne Führerschein zu fahren. 

So sieht auch der Verkehr aus. Beliebt sind vor allem alte Mercedes 190D mit kaum Elektronik. Zur Reparatur reichen eine Zange und ein Hammer für die unvermeidlichen Beulen. In gelber Farbe sind sie als Taxi erkennbar. Das zweite öffentliche Verkehrsmittel sind die bunten Minibusse, meist hoffnungslos überfüllt. Da fährt schon einmal eine Ziege auf dem Dach mit. 

Die Kolonne rumpelt über eine stillgelegte Gleisanlage mitten in der Hauptstadt. Die Bahnlinie Dakar-Koulikoro umfasste rund 1 300 km und war für die gesamte Region eine der wichtigsten Verkehrslinien, besonders für den Güterverkehr. Sie ist ein Symbol für die Rückwärtsentwicklung des Landes. Die Bahntrassen wurden sorgfältig geplündert. Holz und Eisen gelten als wertvolle Rohstoffe. Eine Sanierung des malischen Abschnittes durch die China Railway Construction Corporation ist geplant. 

Trainingscenter KTC

Bamako hat ungefähr so viele Einwohner wie Wien, ist aber nur halb so groß. Die Stadt liegt am Fluss Niger. Die Fahrt mit der Fahrzeugkolonne nach Koulikoro dauert von Bamako aus etwa zwei Stunden. Koulikoro liegt ebenfalls am Niger und war einst wichtiger Umschlagplatz für Waren aus dem Norden und auch Industriestandort. Die Stadt liegt am „Fuß eines Berges“, übersetzt „Kolo koro“. 

Das Koulikoro Trainingscenter (KTC) ist ein Ausbildungszentrum für Offiziere der malischen Streitkräfte, in dem die EUTM als Untermieter eingezogen ist. Während sich in Bamako das Hauptquartier der Mission befindet, ist hier  der Hauptteil der European Timber Trade Federation (ETTF) stationiert. Die Force Protection gewährleistet den Schutz der Ausbildungen und der medizinischen Einrichtungen. Im KTC prallen die unterschiedlichen Kulturen aufeinander. Gut ausgerüstete europäische Soldaten leben Tür an Tür mit jungen malischen Offiziersanwärtern, die oft nur ein Holzgewehr besitzen. Streunende Hunde und Katzen sind keine Seltenheit, freilaufende Esel ebenso nicht. Schnell wird einem die europäische Wohlstandsgesellschaft bewusst: Plastikflaschen werden hier etwa nicht zerdrückt in den Müll geworfen, sondern von Einheimischen gesammelt und weiterverkauft, bevor die städtische Müllabfuhr auf Eselskarren den Restmüll entsorgt. 

Mit rund 600 europäischen Soldaten wird die „Untermiete“ der EUTM ziemlich strapaziert. Die Infrastruktur ist am Limit und der Raum beengt. Das Stromnetz leidet an kurzen Ausfällen, und die Wasserversorgung ist manchmal unterbrochen. Fahrzeuge und Container belegen fast alle freien Flächen. Größere Teilnehmerstaaten der Mission haben noch ein eigenes nationales Versorgungselement. Auch Österreich verfügt über ein eigenes kleines Element. Vom KTC aus werden alle Versorgungsmaßnahmen der in Mali stationierten österreichischen Soldaten koordiniert und umgesetzt. Der Lufttransport von Material oder Urlaubsflüge, die Instandhaltung der Kraftfahrzeuge, aber auch Urlaubsflüge, die Beschaffung von Telefonwertkarten, der Erhalt von Paketen und Bargeldbehebungen gestalten sich aufgrund der Entfernungen innerhalb des Landes schwierig. Ein Bankomat um die Ecke oder ein Shoppingcenter gibt es in Mali nicht.

Die malischen Streitkräfte würden ihre Gebäude dringend für ihre eigene Ausbildung benötigen. Hier zeigt sich die Fehlkonstruktion der Mission. Anstatt eine eigene Infrastruktur zu schaffen, benützt die EUTM einheimische Gebäude und angemietete zivile Hotels. Getankt wird an zivilen Tankstellen. Wegen der Sanktionen oder Streiks ist manchmal ein paar Tage kein Treibstoff vorhanden. Für kurze Missionen ist dieser Ansatz sinnvoll, doch EUTM Mali ist bereits seit 2013 vor Ort. 

Mission

Seit neun Jahren versucht die EU, die malischen Streitkräfte durch Ausbildungsunterstützung für deren Einsätze vorzubereiten. Dabei gibt es eine klare Trennlinie zwischen Ausbildung und Einsatz. EUTM ist ausschließlich für die Ausbildung verantwortlich und an keinerlei Einsätzen beteiligt. Mit dem derzeitigen fünften Mandat hat sich die Mission seit ihrem Beginn im Februar 2013 stark gewandelt. Das Einsatzgebiet wurde erweitert und umfasst nun ganz Mali. Früher war es auf den Süden beschränkt. Darüber hinaus sind die Nachbarländer – die G5-Sahel-Länder – in die Ausbildungsunterstützung miteinbezogen (Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad). 

Viele Dienstleistungen und Fähigkeiten für EUTM sind aus dem zivilen Bereich angekauft oder gemietet. Das ergibt eine Abhängigkeit von der zivilen Infrastruktur und ist bei einer Verschlechterung der Sicherheitslage problematisch. Ein Beispiel dafür ist die Kommunikation. Das wichtigste Mittel – neben E-Mail über eine öffentliche Verbindung – ist WhatsApp. Zwar hat diese Kommunikationsform eine End-to-End-Verschlüsselung, sollten aber der Telefonanbieter streiken (wie schon erlebt) oder einige Telefonmasten zerstört werden (wie im Norden Malis), ist die Mission in der Kommunikation stark eingeschränkt. Mit dem Außenposten in Gao, einer Stadt rund 1 200 km nordostwärts von Bamako, ist eine Videokonferenz mangels Internetbandbreite nicht möglich. Die medizinische Versorgung ist, abgesehen von der Basisversorgung, ebenfalls von einer zivilen Firma abhängig. Diese hat sich bisher jedoch bewährt.

Ausbildung 

Die Kernaufgabe von EUTM ist und bleibt die Ausbildung der malischen Streitkräfte. Das ist nicht als Selbstzweck gedacht, schließlich stehen sie seit Jahren im Kampf gegen terroristische Gruppen, besonders im Norden. Daher sind die Voraussetzungen für die Ausbildung im Gegensatz zur Ausbildung europäischer Streitkräfte in einer Friedensumgebung anders. Die Unterschiede beginnen in der zeitlichen Verfügbarkeit. Für eine gediegene Ausbildung ist die benötige Zeit meist sehr knapp, da die Kämpfe laufend Truppen benötigen, die im ganzen Land verstreut sind. Die Ausrüstung für die Ausbildung ist häufig nicht vorhanden oder in einem schlechten Zustand. Eine Wartung für Fahrzeuge und Waffen gibt es kaum. Es mangelt am organisatorischen Unterbau des Kaders. Das Vertrauen der einfachen Soldaten in ihre Kommandanten ist sehr eingeschränkt. Umgekehrt ist deren Verantwortungsbewusstsein für ihre Untergebenen häufig nicht vorhanden. 

Das Schwergewicht der Ausbildung für EUTM Mali liegt in der Ausbildung von Infanterieeinheiten und bei Fachkursen für Logistik, Instandsetzung sowie bei der Kaderausbildung und Schulung der malischen Ausbilder. Die Einheiten werden nach dem Training meist direkt in den Einsatz geschickt. 

Von der Idee bis zum Abschluss

Wie ist die gemeinsame Ausbildung organisiert? Grundsätzlich orientiert sich die EUTM an den Bedürfnissen der malischen Streitkräfte. Eine langfristige Planung ist praktisch unmöglich. Das hat mehrere Gründe. Einerseits stehen die Streitkräfte schon seit Jahren im permanenten Einsatz, andererseits ist die interne Kommunikation zwischen dem malischen Generalstab und den Militärregionen mangelhaft. Das liegt nicht nur an der Entfernung. Erst neun Jahre nach Missionsbeginn – Anfang 2022 – sind in den drei wichtigsten Militärregionen permanent Verbindungselemente der EUTM stationiert, die eine direkte Kommunikation ermöglichen. Damit kann bei kurzfristigen Änderungen rasch ein klärendes Gespräch geführt werden, was bis dato oft nicht möglich war. Persönliche Gespräche auf Vertrauensbasis sind nicht durch Telefongespräche ersetzbar. 

Die Anforderungen des Generalstabes sind die Grundlage für den internen Planungsprozess. In einem Trainingskalender werden alle Anforderungen zusammengefasst. Dieser ist aber von ständigen und kurzfristigen Änderungen betroffen. Selbst zwei Wochen im Voraus ist es kaum möglich, gesicherte Grundlagen für die kommenden Ausbildungsvorhaben zu erhalten. Dieser Umstand ist für die Vorbereitungen der Instruktoren und für die Verlegung der Ausbildungsteams in die dezentralen Ausbildungsorte eine Herausforderung.

Instruktoren 

Für eine erfolgreiche Ausbildung benötigt EUTM erfahrene Instruktoren, ausreichend Ausbildungsmittel und auf die Aufgabe abgestimmte Trainingspläne. Instruktoren sind vorhanden, die Mittel jedoch kaum. Bei den Plänen fehlt ein wesentliches Element, nämlich die Rückmeldung von den Einsätzen, um die Ausbildung an die tatsächlichen Erfordernisse anpassen zu können. Dennoch gelingt es innerhalb kurzer Zeit, erkennbare Erfolge zu erzielen.

Rund 110 Instruktoren aus zwanzig Ländern stehen in der Mission zur Verfügung. Viele davon haben bereits Einsatzerfahrung, meist aus Afghanistan, dem Libanon, dem Balkan oder aus anderen afrikanischen Staaten. Für die meisten dauert der Einsatz sechs Monate. Österreich beteiligt sich mit einer Schlüsselfunktion. Neben einem Teamleader und einem Instruktor stellt Österreich schon seit einigen Jahren den Chief Instructor.

Der Chief Instructor ist die Schnittstelle zwischen den Kursleitern vor Ort – selbst wenn diese 1.200 km entfernt sind – und dem MHQ. Er erstellt neben anderen Aufgaben den Trainingskalender. Dieser hat jedoch die Eigenschaft, sich ständig zu verändern. Jede Woche geht es am Dienstag nach Bamako ins Hauptquartier. Was in diesem Meeting vereinbart wird, ist manchmal am Ende der Woche nicht mehr aktuell. Die malische Seite ist sehr sprunghaft. Noch schnell eine kurzfristige Absage am Ende der Woche ist keine Seltenheit.

Der Chief Instructor hat zwei wesentliche Aufgaben: mitbeurteilen, ob die gewünschte Ausbildung zur geplanten Zeit auch machbar ist und die Einteilung sowie Vorbereitung der Kursleiter und Instruktoren. Ein kurzfristig einberufener  Kurs oder ein Seminar mit nur wenigen Wochen Vorbereitungszeit, ist keine Seltenheit. Einen Anhaltspunkt bietet der Bedarf der malischen Streitkräfte, doch dieser wird oft nicht präzise formuliert. Aus diesem Grund muss der Kursinhalt oft neu entwickelt werden. Der Kursleiter und sein Team sind letztlich die wichtigsten Akteure. Ihr Erfolg prägt das Gesamtergebnis der Mission. Jeden Samstag informiert der Chief Instructor die Teamleader über die Ausbildungsaktivitäten und über die Sicherheitslage. Das ist vor allem hier in Mali besonders wichtig, denn es handelt sich noch immer um ein Kriegsgebiet. 

Die Kursleiter präsentieren ihren Wissensstand über laufende und geplante Kurse. Das Wochenende ist dementsprechend kurz. Manchmal wird auch am Sonntag gearbeitet.

Zwanzig Länder bedeuten aber auch zwanzig unterschiedlich geschulte Instruktoren, denn einheitliche europäische Vorschriften und Richtlinien gibt es nicht – NATO-Standards sind daher die Richtschnur. Es soll nach malischen Vorschriften und Richtlinien ausgebildet werden, die stark französisch beeinflusst sind. Daher müssen die Teams zuerst intern auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Dazu zählt die Ausbildung an fremden Waffen und Verfahren. 

Nicht jeder hatte schon einmal eine Kalaschnikow AK-47 in der Hand. Gefechtstechnische Verfahren auf Gruppen- und Zugsebene unterscheiden sich weniger. Die ständigen personellen Veränderungen erschweren den Prozess zusätzlich. Fast jede Woche hat irgendeine Nation einen Wechsel des Personals. Die „Neuen“ müssen sich rasch an die örtlichen Gegebenheiten anpassen. 

Die Sprachenvielfalt ist eine zusätzliche Herausforderung. Während Englisch in der EUTM als Arbeitssprache dient, ist Französisch die malische Amtssprache. Einfache Soldaten können jedoch häufig nur eine lokale Sprache wie Bambara. Die Zusammenarbeit Instruktor-Interpret-Auszubildender muss erst erlernt werden. Das kostet wertvolle Ausbildungszeit und ist für viele ungewohnt. 

Vorbereitung

Innerhalb der EUTM gibt es zwei Task Forces mit einer klaren Aufgabenteilung. Die Educational und Training Task Force (ETTF) bildet bis zur Kompanieebene aus, die Advisory Task Force (ATF) darüber hinaus. Der Fokus bis zur Kompanieebene liegt auf der infanteristischen Ausbildung, denn die Infanteristen sind das Rückgrat der malischen Streitkräfte, genannt Forces Armées Maliennes (FAMa). Gepanzerte Fahrzeuge gibt es kaum, Pick-ups sind das Haupttransportmittel. Die Qualität der Einheiten ist unterschiedlich. Einige haben bereits Einsatzerfahrung, andere hatten noch nie ein Sturmgewehr AK-47 in der Hand – außer als Holzwaffe im Training. Eine Ausnahme ist die Nationalgarde, ähnlich einer Präsidialgarde. Nicht alle malischen Soldaten können lesen und schreiben, was besonders in den Fachkursen Schwierigkeiten verursacht. 

Der Altersdurchschnitt ist unterschiedlich. Während in den Infanterieverbänden meist junge Rekruten und einige ältere Unteroffiziere dienen, beteiligen sich an Fachkursen auch Soldaten kurz vor ihrer Pension. Ein Personalmanagement gibt es nicht. Selbst dem übergeordneten Kommando ist oft nicht klar, wie viele Soldaten tatsächlich in den unterstellten Einheiten dienen. 

Die Planung der Ausbildung verläuft „dynamisch“. Kurse sind von kurzfristigen Änderungen geprägt. Oft ist am Ausbildungstag noch unklar, wie stark die Kräfte der Kompanien sind. Nicht jeder hat eine Waffe, die weitere persönliche Ausrüstung ist kaum vorhanden. Wenn alle Unzulänglichkeiten beseitigt sind, verläuft die Ausbildung meist gut. Die Arbeit der europäischen Soldaten wird von den einfachen malischen Soldaten meist anerkannt, den letztendlich erhöht dies ihre Überlebenschance im Gefecht. Professionelle Ausbildungsmethodik und der respektvolle Umgang ist für viele oft nicht selbstverständlich. 

Ausbildungsorte

Die Ausbildung findet hauptsächlich in Mali statt, aber nicht nur. Seit 2020 sind auch die G5-Sahel-Länder in das Gebiet der EU-Mission miteinbezogen. Die Grenzen zwischen den Staaten sind im Wüstengebiet meist imaginär und für terroristische Gruppierungen kein Hindernis. Diese pendeln zwischen Staaten wie Mali und Burkina Faso. 

Neben EUTM sind GSVP-Missionen (Zivile Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) wie EUCAP (European Union Capacity Building Mission in Mali) zur Unterstützung der internen Sicherheitskräfte und zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und des Terrorismus (besonders nahe dem Niger) beschäftigt. Im Oktober 2021 fand erstmals ein Kurs (Scharfschützenausbildung) in Burkina Faso mit Unterstützung eines Ausbildungsteams von EUTM statt. 

Die Ausbildungsorte sind eine weitere Herausforderung. Weil Mali sehr groß ist, ist eine kurzfristige Dienstaufsicht nicht möglich. Die Stadt Gao im Norden des Landes verfügt über ein großes internationales Camp – das Super Camp der VN-Mission MINUSMA – und liegt etwa 1.200 km von der Hauptstadt entfernt. Der Weg dahin führt durch unsichere Gegenden, daher werden fast alle Bewegungen mit dem Flugzeug getätigt. Das bedingt Planungsarbeit.

Kurzfristige Änderungen – die häufig vorkommen – sind schwer zu organisieren. In Gao sind während der Ausbildung etwa 30 Personen von EUTM stationiert. Die Ausbildung findet im Camp der malischen Streitkräfte statt, nahe dem Super Camp. Das ist notwendig, da Gao einer der gefährlichsten Orte für internationale Organisationen ist. 

Die dezentrale Ausbildung findet in den Städten Ségou und Sévaré statt. Ségou liegt etwa 210 km und Sévaré etwa 600 km von Bamako in Richtung Gao entfernt. Beide Ausbildungsstätten sind in zivilen Hotels untergebracht. Dennoch haben die Soldaten mit einigen Unannehmlichkeiten zu kämpfen. Der Platz ist beschränkt und bei einem direkten Angriff schwer zu halten. Neben den Ausbildungsteams sind Teile der Force Protection und ein Sanitätsteam ständig vor Ort. Jede Ausbildung findet unter dem wachsamen Schutz spanischer Soldaten der Force Protection statt, selbst wenn sie in einem malischen Camp durchgeführt wird. Der Schutz der Angehörigen der EUTM hat Vorrang vor jeder anderen Tätigkeit. Deshalb wird die Sicherheitslage vor jeder Aktivität außerhalb des Camps sorgfältig geprüft.

Sévaré hat noch eine weitere Besonderheit. Das Ausbildungsteam bleibt ständig vor Ort, während alle anderen das KTC als Heimatstützpunkt haben, da die Entfernung eine ständige Rotation der Ausbilder erschwert. 

Ausbildungsinhalt

Mit den etwa 110 Instruktoren aus den verschiedenen Fachbereichen können neben der bereits erwähnten infanteristischen Ausbildung auch Counter-Improvised Explosive Devices (C-IED), die Abwehr von Sprengfallen, die Bedienung von Granatwerfern, Fliegerleitoffiziere (nach malischem Standard), und die Zusammenarbeit mit gepanzerten Fahrzeugen ausgebildet werden. 

Logistik und Instandhaltung sind ein weiterer Bereich, der durch EUTM ausgebildet wird. Hier sind die Erfolge der Ausbildung besonders gut sichtbar. Während in den Basiskursen malische Soldaten ihre Grundlagen vermittelt bekommen, werden die Besten von ihnen in den nachfolgenden Kursen als Ausbilder eingesetzt und weiter begleitet.  Ziel ist nicht die Einzelausbildung, die dennoch oft notwendig ist, sondern die Ausbildung malischer Instruktoren und die Teamausbildung. Dieses Kader soll in weiterer Folge seine Untergebenen eigenständig führen und trainieren. 

Herausforderung 

Ausbildung ist kein Selbstzweck. In Mali schon gar nicht, denn die Streitkräfte stehen in einem permanenten Kampf gegen terroristische Gruppierungen. Die Weiten des Landes, die beschränkt verfügbaren Kräfte, mangelnde Ausrüstung und die fehlende Mobilität machen es für EUTM schwer, eine umfassende Ausbildung durchzuführen. Das Übersetzen von Englisch in das Französische und die Einschränkungen der Ausbildung wegen der klimatischen Bedingungen – Hitze in der Regenzeit und die hohe Luftfeuchtigkeit – reduzieren die verfügbare Zeit zusätzlich. Somit ist zu vermitteln, was im Einsatz direkt notwendig ist – Waffenhandhabung, Erste-Hilfe (Tactical Combat Casualty Care), das Verhalten bei Sprengfallen sowie einfache taktische Aufgaben auf der Gruppen- und Zugsebene (Kompanieebene wird kaum erreicht) sowie Leadership für Kommandanten.  

Kompanietraining 

Ein Kernelement der Ausbildung ist das Predeployment Training (PDT) von infanteristischen Einheiten. Innerhalb von vier Wochen muss eine Kompanie für einen unmittelbar nachfolgenden Einsatz vorbereitet werden – ein fast unmöglicher Auftrag. Hinzu kommen Einschränkungen. Das Ausbildungsmaterial ist oft nicht vorhanden, die Qualität der Kommandanten ist unterschiedlich oder die Kompanie wild zusammengewürfelt. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Ausbildung ist allerdings eine formierte Kompanie, die die Basisausbildung abgeschlossen hat. Die Überprüfung der Waffenhandhabung zeigt häufig ein anderes Bild. Oft sind die einfachsten Handgriffe nicht bekannt oder es wurde noch nie scharf geschossen. Eine malische Infanteriekompanie hat etwa 150 Soldaten. Die Anzahl der Soldaten während der Ausbildung schwankt stark. Hinzu kommen Abwesenheiten und mangelnde Motivation. Die schlechte Qualität des malischen Führungspersonals tut ihr Übriges, was zu prekären Situationen führt. 

Für das PDT werden zwölf Instruktoren benötigt. Dazu kommen Interpreter, die vom Englischen ins Französische (oder in eine andere einheimische Sprache) übersetzen. Ziel ist es, vermehrt malische Ausbilder zu integrieren, damit in einem nächsten Schritt lediglich eine Überwachung und Beratung der Ausbildung notwendig ist. Irgendwann sollte die malische Armee zumindest die qualifizierte Grundausbildung selbst organisieren können. Erste Erfolge sind bereits sichbar. Einige malische Ausbilder, die von EUTM vorbereitet und zur Ausbildung der malischen Einheiten verwendet werden, haben sich bereits bewährt. In einem nächsten Schritt sollte nur mehr eine Supervision – die begleitende Beratung – notwendig sein. Dazu ist noch viel Arbeit notwendig. 

Selbsthilfe

Seit dem zweiten Halbjahr 2021 verstärkt EUTM die Ausbildung der malischen Instruktoren und den Train-the-Trainer-(TtT-)Ansatz. In den malischen Militärregionen gibt es einen Pool von Instruktoren, die nach Bedarf für die eigenen Ausbildungsbedürfnisse eingesetzt werden können. Je besser diese ausgebildet sind, desto weniger muss EUTM in Zukunft in die Basisausbildung eingreifen. Das zukünftige Schwergewicht muss im „Collectiv training“ (Gruppen- bis Kompanieebene) und nicht in der Einzelausbildung liegen. 

Zusätzlich werden die Kommandanten eine Woche vor der Ausbildung einem Kadertraining unterzogen. Neben fachlichen Themen werden dort die wichtigsten Grundsätze in Führungs- und Ausbildungsmethodik vermittelt. Als gewollter Effekt soll eine Gruppenkohäsion stattfinden und das Bewusstsein für die Führungsaufgabe vermittelt werden. Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben gezeigt, dass Ausbildungen mit diesem Ansatz signifikant besser abgeschnitten haben als jene ohne ihn. 

Auf einen Blick

Die Ausbildungsmission EUTM Mali ist von einigen Herausforderungen geprägt, wie die für Europäer ungewöhnlichen Entfernungen zwischen den Stützpunkten, das Klima mit der ausgeprägten Regen- und Trockenzeit, die sich zunehmend verschlechternde Sicherheitslage, die Lebensumstände in den Camps oder der kulturelle Gap, der unmittelbar erlebbar ist. Die malische Armee ist für uns Europäer Substandard. Die Ausrüstung ist nicht vorhanden oder veraltet, die Mobilität in den Weiten des Landes eingeschränkt, das Kader sich seiner Führungsverantwortung oftmals nicht bewusst, und die malischen Streitkräfte haben häufig einen geringen Planungshorizont. Die malischen Soldaten sind wiederum stark in den Kampf gegen den Terrorismus eingebunden. Sie zeigen hin und wieder punktuelle Erfolge, die oft mit hohen Verlusten verbunden sind. 

Die EU-Mission stützt sich zu sehr auf die zivile Infrastruktur ab, ist daher abhängig und wenig flexibel. Naturgemäß zehren nationale Eigeninteressen am Gesamtziel der Mission. Ob diese bis jetzt erfolgreich war oder nicht, ist schwer zu beurteilen. Zudem fehlt es an messbaren Zielen. Die seit Herbst 2021 in Mali tätige Wagner-Gruppe ist eine weitere Herausforderung. Diese Gruppe ist ein privates russisches Sicherheits- und Militärunternehmen und agiert außerhalb des Völkerrechts. Ihre Tätigkeit wird ein wesentlicher Einfluss auf die Zukunft der Mission haben. 

Dennoch: Die militärische Präsenz der Europäischen Union in Mali und Westafrika zur Unterstützung der malischen militärischen Streitkräfte ist unabdingbar. Dazu müssen allerdings die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und eine langfristige Perspektive vorhanden sein. Europa wird zwar nicht mehr am Hindukusch verteidigt, aber in Westafrika stabilisiert.

Oberst Mag. Erwin Gartler, MSc. MBA MPA; Leitender Redakteur beim TRUPPENDIENST. 

 

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