Haubitzen für Riga
Das lettische Verteidigungsministerium hat Panzerhaubitzen M-109 von Österreich gekauft. Mit dem Kauf alleine ist es jedoch nicht getan. Da die lettische Armee bislang keine Artilleriegeschütze hatte, musste auch das Basiswissen der Waffengattung vermittelt werden. Deshalb wurde von Jänner bis August 2017 ein Kontingent lettischer Soldaten im Aufklärungs- und Artilleriebataillon 4 an der Panzerhaubitze ausgebildet.
Allentsteig im Waldviertel, Mitte April. Schneegestöber, Eisregen und Panzerlärm. In der Liechtensteinkaserne am Truppenübungsplatz stehen Panzerhaubitzen vor den offenen Toren der Garagen. Motoren brummen, Dieselgeruch liegt in der Luft - kein Mensch ist zu sehen. Eine Geschütztüre der M-109 A5Ö öffnet sich. Ein Soldat in oliv-grünem flammhemmenden Panzeroverall steigt aus. Auf dem ersten Blick sieht er aus wie ein österreichischer Artillerist. Etwas unterscheidet ihn jedoch von den Soldaten der 4. Panzergrenadierbrigade. Wenn man genau hinsieht, erkennt man einen untypischen rot-weiß-roten Patch an der Uniform. Es ist aber nicht die österreichische, sondern die zum Verwechseln ähnliche lettische Flagge, die der Soldat auf seinem Overall trägt. Er ist einer von 18 Soldaten aus Lettland, die von Jänner bis August 2017 in Österreich an der M-109 A5Ö ausgebildet werden.
Kein gewöhnlicher Kauf
Die lettische Regierung hat den Entschluss gefasst, ihre Armee um die Komponente der Artillerie zu erweitern. Dazu hat sie in einem Memorandum of Understanding mit der österreichischen Regierung vereinbart, voraussichtlich 48 Panzerhaubitzen aus überzähligen Beständen des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) zu übernehmen. Zusätzlich zum Verkauf hat das ÖBH der lettischen Armee angeboten, die Ausbildung ihrer Soldaten am Gerät zu übernehmen.
„Die Letten haben gesagt, dass ein Geschütz alleine zu wenig ist, sie brauchen auch den ‚Führerschein’ dazu. Wenn man ein Auto kauft, erhält man eine kurze technische Einweisung und kann fahren. Bei einem Geschütz ist das aber komplizierter“, erklärt Oberstleutnant Reinhard Lemp, der Kommandant des Aufklärungs- und Artilleriebataillons 4 (AAB4). In seinem Bataillon findet die Ausbildung des lettischen Kontingentes statt. Diese wird dort parallel zur regulären Kaderanwärterausbildung 2 durchgeführt. Damit ist gewährleistet, dass die lettischen Soldaten ein Ausbildungspaket erhalten und keine Einweisung, die nebenbei durchgeführt wird. Schließlich muss ein Waffensystem, noch dazu ein technisch anspruchsvolles wie eine Panzerhaubitze, beherrscht werden, damit sie ihre volle Kampfkraft entfalten kann.
Nur durch ein solides militärisches Training ist gewährleistet, dass das Waffensystem richtig bedient werden kann. Das ist die Voraussetzung, damit die lettische Armee die M-109 noch viele Jahre zuverlässig und sicher nutzen kann.
Einblick in die Ausbildung
Leutnant Janis Zvirgzds von den lettischen Streitkräften macht einen Rundgang um seine Panzerhaubitze. Mit prüfendem Blick kontrolliert er das Gerät und überzeugt sich von der Arbeitsbereitschaft des Geschützes. Er ist der einzige Berufsoffizier und damit der ranghöchste Soldat des 18-Mann starken lettischen Kontingentes, das sich seit Jänner 2017 in Österreich befindet. Bis Mitte August werden 16 Soldaten im Allentsteiger AAB4 in diversen Funktionen der Artillerie sowie zwei Soldaten bei der Wiener Heereslogistikschule zum Waffenmeister geschult. Konkret werden sie in den Funktionen ausgebildet:
- Fahrer Panzerhaubitze,
- Geschützbedienung-Kanonier,
- Geschützführer,
- Rechendienst und Feuerleitdienst,
- Mechaniker und
- Waffenmeister
Die Prämisse der Ausbildung war, diese so effizient wie möglich zu gestalten. Deshalb hat sich die Koppelung mit der neuen Kaderanwärterausbildung des ÖBH angeboten. In Zusammenarbeit mit dem Institut Artillerie der Heerestruppenschule, dem Institut technischer Dienst der Heereslogistikschule und dem Sprachinstitut des Bundesheeres an der Landesverteidigungsakademie (in der Vorbereitungsphase) wurde das AAB4 mit der konkreten Umsetzung des Vorhabens beauftragt. Um die Ausbildungsziele in den Funktionen zu erreichen, werden praktische Fertigkeiten und theoretisches Wissen über die Unterrichtsfächer mit Wochenschwerpunkten vermittelt. Der Fokus liegt auf dem praktischen Training.
Organisation der Ausbildung
Geschützdienst
Am Beispiel des Geschützdienstes lässt sich die Organisation der Ausbildung anschaulich skizzieren. Das Ziel der Ausbildung am Geschütz ist es, die waffengattungs- und funktionsspezifischen Aufgaben als Geschützführer im Einsatz und im Frieden erfüllen zu können. Das bedeutet für einen Kommandanten, dass er die ihm unterstellten Soldaten sowohl führen, als auch artilleristisch ausbilden können muss. Die hierzu erforderlichen Fähigkeiten werden in zwei Modulen vermittelt.
Modul 1
Das Modul 1 schafft die Basis der artilleristischen Ausbildung. Es thematisiert den Geschützdienst mit allgemeinen Inhalten, wie der Waffen- und Geräteausbildung oder den Grundsätzen der Führung. Es besteht aus den Themen:
- Waffen-, Geräte- und Fachausbildung,
- Grundsätze von Führung und Einsatz,
- Kartenkunde und Geländebeurteilung,
- Sicherheitsbestimmungen, Steilfeuer,
- Schießlehre und Ballistik,
- Munitionslehre,
- Feuerleitsystem,
- Gerätelehre Panzerhaubitze,
- Bedienung der Panzerhaubitze.
Modul 2
Das Modul 2 baut auf das erste Modul auf, vertieft und erweitert dieses. Der Schwerpunkt liegt beim Führen des Geschützes im Einsatz, aber auch beim Scharfschießen mit der Panzerhaubitze. Die Inhalte des Moduls sind:
- Führen und Aufgaben im Einsatz,
- gefechtstechnisches Führungsverfahren,
- Aufgaben der Geschützbedienung,
- Führungsaufgaben des Geschützführers,
- Einsatzaufgaben des Geschützführers,
- Joint Fire Support (JFS),
- Feuerleitübung einer Feuereinheit,
- Scharfschießen mit Steilfeuerwaffen,
- Benutzermaterialerhaltung.
Rechenstelle
Die Stärke des Geschützes kann erst durch die Soldaten des Rechen- und Feuerleitdienstes zur Wirkung gebracht werden. Diese errechnen die Daten für die Feuerkommandos der Geschütze. Dazu ermitteln sie die Rohrerhöhung, die Seitenrichtung und die Treibladungsmenge, um die Granate auf bis zu 28 Kilometer entfernte Ziele zu schießen. Ein besonderes Schwergewicht der Ausbildung liegt auf dem analogen Berechnen eines Feuerkommandos. Dieses bildet die Grundlage für das Verständnis der Funktionsweise von indirekten Waffensystemen. Auch in dieser Funktion werden lettische Soldaten gemeinsam mit den österreichischen Kaderanwärtern ausgebildet.
Überbewertete Sprachbarrieren
Zahlreiche Faktoren stellten das AAB4 hinsichtlich der Ausbildung des lettischen Kontingentes vor Herausforderungen. Die meisten davon waren relativ einfach zu lösen, wie die Unterbringung der Soldaten oder die Truppenbetreuung. Eine echte Hürde war jedoch die Sprachbarriere. Die Ausbildung wurde in Englisch durchgeführt, da die Soldaten beider Nationen mit Masse diese Sprache so gut beherrschen, dass sie sich damit verständigen können. Eine einfache Verständigung reicht bei dieser Ausbildung jedoch nicht aus. Hier war vielmehr ein umfangreiches und detailliertes Fachvokabular gefragt. Einerseits war das notwendig, um die Teile und Einrichtungen des Geschützes zu benennen (im ÖBH als „Schrauferlkunde“ bekannt), andererseits wurden die Vokabeln hinsichtlich der waffengattungsspezifischen Gefechts-Terminologie benötigt.
Der Ausbildungskader wurde deshalb vom Sprachinstitut des Bundesheeres hinsichtlich der englischen Fachbegriffe vorbereitet. Hierzu reichte es nicht, Unterlagen durch den Google-Übersetzer zu schicken. ÖBH-Vorschriften, NATO-Bestimmungen, US-Vorschriften und englischsprachige Fachmagazine wurden ebenso wie britische Literatur zu Hilfe genommen. Das Ziel war es, die im ÖBH verwendete Bedeutung von Gegenständen und Handlungen im richtigen militärischen Kontext zu übersetzen. Das klingt simpel, ist aber bereits im deutschen Militärjargon zwischen Österreich, der Schweiz und Deutschland eine Herausforderung.
Die Herausforderung hinsichtlich der Sprache wird die lettischen Kameraden auch nach der Rückkehr in ihre Heimat begleiten. „It will be the trickiest thing to translate and train all details in Latvian”, meint Leutnant Janis Zvirgzds. Vor allem, weil die Fachterminologie in den Köpfen der Soldaten in englischer Sprache „abgespeichert“ ist.
„Durch persönliches Engagement jedes Einzelnen lässt sich viel bewegen“, sagt Hauptmann Matthias Wimmer, der Ausbildungsleiter und Kommandant der 2. Panzerhaubitzbatterie. Für ihn war die Sprachbarriere stets eine kalkulierbare Größe. Wichtig war es ihm zu wissen, welche Vorkenntnisse die lettischen Soldaten mitbringen, um sie auf dem richtigen Ausbildungslevel abholen zu können. Die meisten lettischen Soldaten waren bisher Infanteristen, einige hatten bereits Erfahrung am Granatwerfer. So konnte der Ausbildungsleiter soldatisches Basiswissen, wie das Orientieren im Gelände oder die Waffen- und Geräteausbildung, etwa am überschweren Maschinengewehr, voraussetzen und unmittelbar mit der artilleristischen Ausbildung beginnen.
Freiwillige vor
Leutnant Janis Zvirgzds nimmt, so wie seine Kameraden, freiwillig an der Ausbildung in Österreich teil. Er ist stolz darauf, einer der Ersten zu sein, die an diesem Waffensystem trainiert werden. Die M-109 A5Ö wird in Lettland das schwerste und weitreichendste Waffensystem der Armee sein. Zvirgzds wurde bereits als Ladekanonier und Geschützvormann gedrillt - nun wird er zum Kommandanten ausgebildet. Als Offizier muss er das Geschütz genauso gut beherrschen wie seine Untergebenen, schließlich wird er in Lettland die Ausbildung an diesem Waffensystem leiten.
Jeder Handgriff muss sitzen. Nur so ist sichergestellt, dass das Gerät optimal verwendet werden kann. Darüber hinaus erfordert das auch die Sicherheit. Bis zu 2,8 Tonnen Munition können sich an Bord einer Panzerhaubitze befinden. Diese Fracht verlangt von der Geschützbedienung Konzentration, Respekt und genaues Arbeiten. Aber auch die beweglichen Teile im Kampfraum sind gefährlich, wenn man sie falsch bedient. Sie sind aus massivem Stahl gefertigt, die rasch einen Finger kürzen können.
Kaderanwärterausbildung Neu
Bis dato wurde die Kader- und Kommandantenausbildung im ÖBH an den Waffen- und Fachschulen durchgeführt. Durch die Umstellung der Kaderanwärterausbildung ist diese zum Teil an die Brigaden ausgelagert worden (siehe TD-Heft 1/2017). Die Heerestruppenschule, in diesem Fall das Institut Artillerie, bleibt jedoch die ausbildungsverantwortliche Stelle. Sie achtet auf die richtige Auslegung der Vorschriften in der Ausbildung, die nun nicht mehr ausschließlich an ihrem Institut stattfindet.
Die Verlagerung der Ausbildung zur Truppe hat verschiedene Aspekte. So sind die Schulen mit zahlreichen Lehrsälen besser ausgestattet als die Truppe und das Lehrpersonal ist mit der „Ausbildung der Lehrer“ auch besonders qualifiziert. Dem gegenüber steht, dass die Artillerieverbände AAB4 in Allentsteig, aber auch das AAB7 in Feldbach maßgeblich an der Entwicklung und Einführung des aktuellen Waffeneinsatzsystems für die Aufklärungs- und Artillerietruppe beteiligt waren (Combat Next Generation siehe TD-Heft 4/2016). Dadurch können die Verbände ihre Erkenntnisse am Puls der Zeit weitergeben und auch die Heerestruppenschule in der Vorschriftenentwicklung unterstützen. Per Saldo werden sich die Vor- und Nachteile vermutlich ausgleichen. Entscheidend ist, dass sowohl die Truppe, als auch die Heerestruppenschule in engem Kontakt miteinander stehen, sich austauschen und gegenseitig unterstützen.
Im scharfen Schuss
Nadelwald, Null Grad Celsius und Büchsenlicht in einem Zeltlager auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig. Die 2. Panzerhaubitzbatterie hat hier die Nacht verbracht und baut nun das Lager ab. Zeitgleich bereitet der Munitionsunteroffizier mit seiner Gruppe die Granaten, Zünder und Treibladungen für die Geschütze vor. Heute schießen die Soldaten scharf. Alle Tätigkeiten und Abläufe wurden durch Hauptmann Matthias Wimmer bereits am Vorabend befohlen. Am Munitionspunkt werden die Zünder auf die Granaten geschraubt und im Geschütz verzurrt, Treibladungen ausgepackt und brandsicher im Kampfraum versorgt. An diesem Tag werden Nebelgranaten, Leuchtgranaten und Sprenggranaten verschossen. Die Handgriffe der lettischen Soldaten wirken koordiniert. Der Drill in der Ausbildung macht sich bezahlt und zeigt sich bei jedem Handgriff.
Eine Panzerhaubitze startet den Motor. Eine schwarze Rauchwolke steigt auf und das Geschütz fährt los. Der Rechen- und Feuerleittrupp bezieht die ihm befohlene Stellung zwischen der Feuerstellung der Artillerie und dem Zielraum. In Sichtweite zum Bereich, in dem später die Granaten einschlagen werden, haben die Beobachter bereits ihre Stellungen bezogen. Eine zur Erprobung im ÖBH befindliche Drohne überfliegt den Zielraum und klärt diesen auf.
Der Panzer mit den Soldaten der Rechenstelle hat seinen Platz im Gelände bezogen. Nun richtet sich der Trupp dort ein. Nachdem das geschehen ist, erfasst und überprüft der lettische Rechenunteroffizier die Lage der Geschütze anhand der Sicherheitsunterlagen. Hierzu verwendet er das Waffeneinsatzsystem Combat Next Generation. Trotz moderner Computertechnik bereitet der Soldat den Plantisch mit Karten und Overlays vor. So hilfreich und angenehm moderne Technik auch ist, sie kann jederzeit, auch mit redundanten Systemen, ausfallen. Deshalb müssen Feuerkommandos auch mit Zirkel, Tabelle und Taschenrechner ermittelt werden können.
Der lettische Rechenunteroffizier kennt diese Abläufe. Er ist einer der Wenigen, die bereits am Granatwerfer gedient haben. Dank der österreichischen Ausbildung schafft er es in der vorgegebenen Zeit, ein Feuerkommando zu Übungszwecken zu errechnen. Die erste Feueranforderung kommt über Datenfunk ins System und erstellt ein Referenzkommando. Darauf beziehen die Geschütze ihre Feuerstellungen und beginnen auf Befehl den artilleristischen Feuerkampf. Kurz darauf detonieren die Granaten im Ziel.
Combat Camera Team
Während des Scharfschießens befinden sich auch zwei lettische Soldaten in Digital-Camouflage im Feld, jedoch mit einem anderen Auftrag. Sie sind das einzige Combat Camera Team der lettischen Streitkräfte und extra für das Scharfschießen angereist, um über die Ausbildung in ihrer Heimat zu berichten. Mit moderner Fotoausrüstung und viel Körpereinsatz fangen sie Bilder der Übung ein. „The worse the weather, the better the photos“, betonen die beiden Soldaten. An diesen Tagen haben sie Glück, denn das Wetter ist schlecht.
Fazit
Das militärische Training des lettischen Kontingentes verläuft im Prinzip genauso wie jenes der österreichischen Soldaten. Der wesentliche Unterschied ist, dass es in Englisch stattfindet. Nach Abschluss der Ausbildung sind die lettischen Kameraden in der Lage, als Kommandanten eines Geschützes oder eines Rechen- und Feuerleittrupps ihr Organisationselement im Kampf zu führen und ihre untergebenen Soldaten selbst auszubilden. Wie weit der organisatorische Überbau als Feuereinheit, Geschützstaffel, Batterie, Bataillon oder Wirkverbund stattfinden wird, liegt in der Verantwortung Lettlands.
Die Erkenntnisse der Ausbildung können als Anleitung für künftige Tranings-Kooperationen des ÖBH dienen. Der Kontakt mit den lettischen Kameraden wird auch in Zukunft bestehen bleiben; gemeinsame Trainings werden bereits geplant. Die Soldaten beider Streitkräfte, mit der rot-weiß-roten Fahne auf der Uniform, werden somit auch in Zukunft zusammenarbeiten.
Major Mag.(FH) Robert Zanko ist Leitender Redakteur beim TRUPPENDIENST; Sascha Harold, MSc, BA ist Praktikant beim TRUPPENDIENST.