- Veröffentlichungsdatum : 10.05.2019
- – Letztes Update : 07.05.2019
- 3 Min -
- 663 Wörter
- - 1 Bilder
Helfen, wenn andere nicht mehr können
Auch wenn es in bestimmten Kreisen der Politik und Gesellschaft nicht gerne gehört wird, so ist das Österreichische Bundesheer (ÖBH) die bewaffnete Macht der Republik. Gemäß dem Artikel 79 (1) des Bundesverfassungsgesetzes obliegt dem ÖBH als Primäraufgabe die Militärische Landesverteidigung, wobei das Heer nach dem Milizsystem einzurichten ist.
In zahlreichen „Sonntagsreden“ wird das ÖBH jedoch häufig nur über den Katastropheneinsatz oder den sicherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz definiert. Beides sind aber Sekundäraufgaben, die das ÖBH ausschließlich dann wahrnimmt, wenn die gesetzmäßige zivile Gewalt seine Mitwirkung in Anspruch nimmt. Dabei sollte eines nicht vergessen werden: Nur die materielle und personelle Ausrichtung auf die Kernaufgabe „Militärische Landesverteidigung“ versetzt die österreichischen Soldaten in die Lage, auch Hilfeleistungen bei Elementarereignissen und Unglücksfällen größeren Ausmaßes über einen längeren Zeitraum ohne Leistungsverlust auszuführen. Bei diesen Hilfeleistungen war das ÖBH seit seinem Bestehen schon häufig - auch Anfang des Jahres 2019 beim Assistenzeinsatz „Schneefall 19“ - im Einsatz.
Im Jänner 2019 wurden weite Teile Österreichs von enormen Schneemassen - man spricht von einem „Jahrhundertschneefall“ - heimgesucht. Tausende Menschen waren von der Außenwelt abgeschnitten und die Energie- und Nahversorgung in vielen Regionen zusammengebrochen. Kurzum, es kam zu einem Ausnahmezustand, der nur durch die gemeinsame Anstrengung aller Einsatzorganisationen bewältigt werden konnte. Für das ÖBH war es das erste Mal, dass ein derartiger Hilfseinsatz in sechs Bundesländern gleichzeitig stattfand, wobei bis zu 1 700 Soldaten (910 davon Grundwehrdiener) eingesetzt waren. Darüber hinaus wurden ständig etwa 1 000 Soldaten, darunter neun Lawineneinsatzzüge, bereitgehalten. Vielen „Unkenrufen“ zum Trotz konnte das ÖBH das erforderliche Personal und Material für diesen Inlandseinsatz aufbringen.
Über eines muss man sich allerdings im Klaren sein: ein derartiger und über Wochen andauernder Einsatz ist vor allem durch die Allgemeine Wehrpflicht möglich - wenn Präsenzdiener und erfahrenes Kaderpersonal zusammenarbeiten, um den Menschen zu helfen. Die allgemeine Wehrpflicht und die Miliz ermöglichen es zudem, dass selbst bei solchen Ausnahmesituationen, in denen insgesamt nahezu 4 000 Soldaten im In- und Ausland im Einsatz stehen, der tägliche Dienst- und Ausbildungsbetrieb mit nur wenigen Einschränkungen weiterlaufen kann. Bekanntlich ist das ÖBH aufgrund eines jahrzehntelangen „Aushungerns“ beispielsweise in der Mobilität zu Land, aber auch in der Luft am Rand seiner Einsatzfähigkeit angelangt. Umso wichtiger war es, dass das vorhandene und teilweise in die Jahre gekommene militärische Gerät - trotz des hohen Gleichzeitigkeitsbedarfs - dennoch eingesetzt werden konnte. Alleine für das Öffnen der wichtigsten Verkehrswege wurden neben zivilen Maschinen 30 Pionierfahrzeuge (Baggerlader, Senkmuldenkipper, Radlader etc.) sowie 40 Transport- und Großkraftfahrzeuge zum Einsatz gebracht.
Die enormen Schneemengen ließen oft keine Bewegungen am Landweg mehr zu. Aus diesem Grund wurden alle im Bundesheer vorhandenen Hubschraubertypen, S-70 „Black Hawk“, Agusta Bell 212, „Alouette“ III und Bell OH-58 „Kiowa“, eingesetzt. Mit ihnen war es möglich bei Lawinenerkundungs-, Transport- und Evakuierungsflügen 850 Personen und zehn Tonnen an Lebens- und Betriebsmittel sowie medizinische Güter zu transportieren und 31 Windenbergungen durchzuführen. Das konnte durchgeführt werden, da das Bundesheer für seine Kernaufgabe zwar nicht ausreichend, aber immerhin brauchbar ausgestattet ist.
Der Einsatz hat der Mannschaft und dem Gerät viel abverlangt. Bei schwierigsten Verhältnissen mussten die Soldaten über Tage hinweg Straßen räumen und freischneiden, Dächer abschaufeln, Strom- und Telefonverbindungen wiederherstellen oder Personen suchen und dabei körperliche Höchstleistungen erbringen. Häufig begaben sie sich dabei selbst in Gefahr, um in Notsituation geratenen Menschen zu helfen. Aber nicht nur die Kräfte am Boden, auch die Piloten und Flugretter in der Luft, bewältigten ihre Einsätze bei widrigsten Witterungs- und Sichtbedingungen und flogen häufig „am Limit“. Damit haben sie einmal mehr gezeigt, wie wichtig neben dem Einsatzgerät vor allem die Ausbildung und die Erfahrung der Piloten ist.
Dank des hohen Engagements und Ausbildungsstandes erfüllen die Soldaten des ÖBH alle an sie gestellten Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit. Trotzdem - oder gerade deswegen - führt kein Weg daran vorbei, dem ÖBH endlich ein ordentliches Regelbudget zuzusprechen. Denn nur mit einem gut und modern ausgestatteten Heer können auch in Zukunft alle Primär- und Sekundäraufgaben des Bundesheeres zum Wohle der Bevölkerung und zu deren Sicherheit erfüllt werden.
Vizeleutnant Othmar Wohlkönig ist Kommandounteroffizier der Landesstreitkräfte und Präsident der Österreichischen Unteroffiziersgesellschaft.