• Veröffentlichungsdatum : 14.04.2020
  • – Letztes Update : 22.12.2020

  • 10 Min -
  • 1965 Wörter
  • - 15 Bilder

Höhere Offiziersausbildung Neu

Klaus Klingenschmid

Im Jahr 2018 wurde eine Neuordnung der höheren Offiziersausbildung eingeleitet. Was sind die Hintergründe? Welcher Lösungsansatz wird verfolgt? Und welche zukünftigen Schritte werden gesetzt?

Zu Beginn wirft der Autor einen kritischen Blick auf das System im Allgemeinen und regt zur Diskussion an. Danach wird die Neuordnung der höheren Offiziersausbildung analysiert und abschließend mit der zuvor geäußerten Kritik in Verbindung gebracht.

Das Problem: Eine Organisation mit „Lernstörung“

Das Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) und das Bundesheer sind Organisationen voll talentierter Menschen. Organisationen solcher Art gibt es viele. Alle wollen erfolgreich sein, nur wenige sind es tatsächlich. Erfolg hat viele Gesichter, wobei das Empfinden der Angehörigen einer Organisation und deren externe Wahrnehmung aussagekräftige Indikatoren sind. Halten wir uns selbst für erfolgreich? Halten die politische Führung, die Medien, oder die Zivilgesellschaft das „Unternehmen Landesverteidigung“ für erfolgreich? Was hält uns davon ab erfolgreicher zu sein? Die drängende Frage ist, was wir abseits der bestehenden Budgetnot als Organisation besser machen können.

Erfolg beginnt im Team. Exzellente Teams arbeiten zusammen, lernen voneinander und miteinander und liefern exzellente Resultate. Mittelmäßige Teams scheitern häufig an einer systemimmanenten Lernstörung. Der amerikanische Unternehmensberater und Autor Peter M. Senge beschreibt deren Symptome wie folgt:

„Ich bin meine Funktion“: Wir sehen nur den eigenen Zuständigkeitsbereich und nehmen nicht mehr wahr, wie sich unsere Aktivitäten auf andere Bereiche auswirken. Es entsteht „Inseldenken“.

Der Gegner ist dort draußen“: Schuld sind immer die anderen. Wer Probleme aufzeigt, wird zum „Gegner“ – insbesondere wenn eine eigene Fehlleistung oder Unterlassung im Raum steht. Fallweise brauchen wir nicht einmal einen konkreten Auslöser für die Identifikation eines Gegners – speziell, wenn Stereotype nahelegen, dass eine Person oder Gruppe „keine Ahnung hat“ oder an unserer Meinung nicht interessiert ist.

Aktivität statt Fortschritt“: Wir reagieren auf Probleme „proaktiv“. Die eigene Position wird verteidigt, der Gegner angegriffen, das Problem bekämpft. Reagiert unser Gegner gleichermaßen, legen wir noch eins drauf – der Prozess schaukelt sich hoch. Trotz erhöhtem Arbeitsaufwand herrscht unverändert Stillstand hinsichtlich der Lösung des Problems. Aktivität erzeugt den Eindruck von Fortschritt, auch wenn dieser nicht erreicht wird.

Fixierung auf Ereignisse“: Wir warten, weil uns Grundlagen – eine Regierung, der Budgetbrief, Produkte einer anderen Abteilung etc. – fehlen. Umgekehrt kümmern wir uns sofort um scheinbar „dringende“ Probleme. Für die Weiterentwicklung unserer Grundaufgaben und Konzepte fehlt die Zeit.

Der gekochte Frosch“: In der namensgebenden Parabel versucht sich der Frosch zu retten, wenn er in kochendes Wasser geworfen wird. Setzt man den Frosch aber in angenehm temperiertes Wasser und erhitzt es dann, entfällt dieser Selbstrettungsimpuls. Auch wir tendieren dazu, schleichende Entwicklungen zu übersehen.

Überbewertung von Lernen aus Erfahrung“: Es ist löblich aus dem direkt Erlebten zu lernen. Häufig fehlt uns aber die tatsächliche Erfahrung, weil uns die Auswirkungen unserer Handlungen nicht persönlich betreffen oder sie noch gar nicht eingetreten sind. Es passiert, dass wir voreilige Schlüsse, Erwartungshaltungen oder unzulässige Vergleiche mit Erfahrung verwechseln.

Der Mythos des Führungsteams“: Wir erwarten, dass „die da oben“ unsere Probleme lösen. Wir warten auf klare Aufträge und halten uns sonst bedeckt. Wir sind enttäuscht, wenn die Führung unsere Probleme nicht erahnt oder aufgrund schlechter Entscheidungsaufbereitung fragwürdige Entscheidungen trifft. Sollten Sie das eine oder andere Symptom bei sich selbst erkannt haben, befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Die Symptome sind teilweise tief in unserer Organisationskultur verankert, ihr Auftreten ist menschlich. Dennoch verhindern sie in Summe erfolgreiches Handeln.

 

Das Lösungsmodell: Die „lernende“ Organisation

Eine lernende Organisation bedient sich der „Intelligenz der Vielen“. Der Begriff „lernend“ bezieht sich dabei nicht nur auf formale Ausbildungsgänge, sondern auch auf unsere Entwicklung im Berufsvollzug. Jedoch sind formale Ausbildungen, wie jene der höheren Offiziersausbildung, bestenfalls ein Beitrag zur Lösung, nicht aber die Lösung selbst. Lernende Organisationen zeichnen sich durch hohes Niveau in fünf Disziplinen aus

  • persönliche Meisterschaft;
  • gemeinsame Vision;
  • Denkmodelle;
  • Dialog;
  • Systemverständnis.

Persönliche Meisterschaft

Durch eine ständige persönliche und professionelle Weiterentwicklung durch Lesen, Abschauen, Erfragen und Nachdenken entsteht persönliche Meisterschaft. „Meisterschaft“ schließt einerseits umfassendes Fachwissen und auf hohem Niveau ausgeprägte Fertigkeiten ein. Andererseits erfordert sie die Fähigkeit, Wissen mit anderen zu teilen oder Kompetenzen weiterzugeben. Es ist bedeutend, was jede und jeder Einzelne weiß und kann. Es ist aber noch weitaus relevanter, was wir gemeinsam wissen und können. Persönliche Meisterschaft ist eine Lebenseinstellung und nicht nur „Teil des Jobs“.

Gemeinsame Vision

Diese beginnt bei der Ausbildungsplanung auf Ebene der Einheit und endet beim gemeinsamen Verständnis, wie wir die großen Herausforderungen auf strategischer Ebene in Zukunft lösen wollen. Sie kann nur durch aktive Teilhabe aller entstehen.

Um zu verstehen, wie unsere Welt funktioniert, bedarf es spezieller Denkmodelle. Sie sind unsere Spielfelder. Die Denkmodelle von Juristen, Betriebswirten, Operateuren oder Ausbildern unterscheiden sich und wir müssen auch nicht unbedingt alle verstehen. Wesentlich ist jedoch die Erkenntnis, dass gute Lösungen in allen Denkmodellen gut bleiben. Das erfordert entsprechende Prüfschleifen – unter Berücksichtigung der verfügbaren Zeit – je mehr, desto besser!

Dialog

Im Gegensatz zu einer Diskussion, bei der es Sieger und Verlierer gibt, bedeutet Dialog Annäherung, gegenseitiges Verstehen und Kompromissfähigkeit. Dialog ist mühsam, erfordert Perspektivenwechsel und das Hinterfragen des eigenen Standpunktes. Ziel ist es nicht, zwingend eine gleiche Meinung zu haben, sondern vielmehr die Erweiterung der eigenen Perspektive, um bisher unbekannte oder vernachlässigte Aspekte.

Systemverständnis

Das wahrscheinlich wesentlichste Merkmal lernender Organisationen ist das Systemverständnis, weil es die voran- gestellten Disziplinen vereint. Wer „das System“ versteht, kann in der ihm zufallenden Rolle selbstständig handeln, ohne auf Vorgaben warten zu müssen. Personen, die das System kennen, fällt es leicht, die erforderlichen Partner für tragfähige Lösungen zu identifizieren. Wer selbstständig arbeitet und trotzdem richtige Ergebnisse „liefert“, beflügelt seine Organisation, die in Konsequenz exzellente Resultate hervorbringen wird.

Die Idee der lernenden Organisation ist nicht neu. Die Entwicklung unserer Organisation in Richtung dieses Denkmodells ist aber ein lohnendes Ziel. Die Anwendung der dargestellten Prinzipien ist aufgrund des interdisziplinären Charakters der höheren Offiziersausbildung und der explizit erwünschten Diversität in der Zielgruppe besonders wichtig.

Höhere Offiziersausbildung: Das neue System

In Abbildung 1 ist bereits eine wesentliche Veränderung sichtbar. Von ehemals drei Ausbildungsformaten verbleiben nur mehr zwei. Mit Ende des 21. Generalstabslehrganges wurde dieser im Juni 2019 zum letzten Mal durchgeführt.

Der Zuordnung zu den Ausbildungsgängen der höheren Offiziersausbildung wird zukünftig eine Potenzialbestimmung vorausgehen. In dieser wird die individuelle Ausprägung der fünf Disziplinen lernender Organisationen (persönliche Meisterschaft, Vision gestützt durch Denkmodelle, Dialogfähigkeit, Systemverständnis) im Vergleich zur Gruppe ermittelt. Die darauf basierende Rückmeldung zu Stärken und Schwächen der Teilnehmer unterstützt die eigenverantwortliche Weiterentwicklung. Die freiwillige Teilnahme und Wiederholbarkeit der Testung berücksichtigt individuelle Lebensumstände und sorgt für größtmögliche Transparenz und Fairness.

Inhaltlich wurde der FH-MaStg milFü angepasst, wobei die Ausbildung von Bataillonskommandanten eine wesentliche Zielsetzung bleibt. Die vertiefende Ausbildung für die taktische, operative und militärstrategische Führungsebene gewährleistet ein breites militärisches Systemverständnis. Neben den militärischen Verfahren werden – teilweise in gemeinsam mit der M BO 1 GA geführten Ausbildungsmodulen – auch Denkmodelle vermittelt, die für eine Verwendung in der Zentralstelle erforderlich sind.

Zur Sicherstellung einer objektiven Bewertung wird die Potenzialbestimmung anonym durchgeführt. Neben der intellektuellen Leistungsfähigkeit werden auch soziale Kompetenzen in einem breiten Verfahren erhoben. Die so erzeugte, umfassende Bewertung ist eine solide Grundlage für die Identifikation vielversprechender Führungspersönlichkeiten.

Personen, die für den FH-Masterstudiengang „Militärische Führung“ (FH-MaStg milFü) nominiert wurden, kehren für ein „Entwicklungsfenster“ zum Stammtruppenkörper zurück und bereiten sich dort in Eigenverantwortung und mit Unterstützung ihres dienstlichen Umfeldes auf den Studiengang vor. Die Offiziere der Dienstzweige mit zivilem Studium, wie dem höheren militärfachlichen oder militärtechnischen Dienst, schließen selbiges und den Grundausbildungslehrgang (M BO 1 GA) schnellstmöglich ab.

Der FH-MaStg milFü (siehe dazu www.milak.at) wird – ab Mitte 2020 mit angepasstem Studienplan – weiter durchgeführt. Die in Abbildung 2 dargestellte inhaltliche Gestaltung der vier Präsenzsemester inkludiert gleich zu Beginn der Ausbildung eine Darstellung des Gesamtsystems und zielt damit vor allem auf den Faktor „Systemverständnis“ ab. Neben dem FH-MaStg werden in den zwei Studienjahren auch extracurriculare Aktivitäten durchgeführt, die aber keine dienstrechtlichen Auswirkungen haben.

Trotz der Anpassung des Studienplans ab 2020 gelten alle Abschlüsse des 1. bis 9. FH-MaStg milFü vollinhaltlich. Es sind keine weiteren Ausbildungsauflagen vorgesehen. Auf eigenen Wunsch ist eine Teilnahme an „neuen“ Modulen des Studienplans im Zuge einer individuellen Fort- und Weiterbildung möglich. Der FH-MaStg milFü wird ab Mitte 2020 vorerst jedes zweite Jahr beginnen. Die Nominierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für den FH-MaStg 2020 bis 2022 ist bereits erfolgt. Die Potenzialbestimmung zur Nominierung von Teilnehmern für den Studiengang 2022 bis 2024 beginnt dieses Jahr.

Die M BO 1 GA wird ebenfalls an das neue Konzept angepasst. Neben einer inhaltlichen Straffung ist vor allem die gemeinsame Durchführung von allgemeinen Modulen mit dem FH-MaStg milFü oder dem in Entwicklung befindlichen höheren Stabslehrgang für die kollektivvertragliche Verwendungsgruppe M BO 2 (Truppenoffizier) vorgesehen. Damit werden neben dem ressortspezifischen Überblickswissen notwendige Denkmodelle und Systemzusammenhänge vermittelt und die Grundlage für einen fachbereichsübergreifenden Dialog geschaffen. Die gemeinsam mit anderen Lehrgängen erreichbaren Teilnehmerzahlen ermöglichen eine effiziente und planbare Durchführung.

Das bisherige Einführungsmodul wird durch die Einweisung an der Dienststelle ersetzt. Das Modul „Öffentlicher Dienst und Verwaltung“ bleibt für Teilnehmer ohne Offiziersgrundausbildung erhalten. Die praktische Verwendung bleibt bestehen, wobei durch den Ausbildungsleiter eine gegebenenfalls verlängerte Praxis als Ersatz für ein Fachmodul festgelegt werden kann. Die bisherige Hausarbeit kann zukünftig auch als Projektarbeit und damit als konkreter Beitrag für die Praxis im Fachbereich angelegt werden.

Das bisherige Modul „Management und Führung“ entfällt, stattdessen wird die verpflichtende Teilnahme an Wahlmodulen auf zehn Ausbildungstage erweitert, um eine tatsächlich individuelle Weiterentwicklung zu begünstigen. Neben internen Wahlmodulen wird das Angebot auf externe Anbieter, beispielsweise die Verwaltungsakademie, ausgeweitet. Die Gesamtdauer der M BO 1 GA ist, ohne Einrechnung der Berufspraxis, mit vorläufig rund 100 Ausbildungstagen als Obergrenze festgelegt. Der Wechsel auf den neuen Studienplan erfolgt bereits 2020. Alle bereits absolvierten Module werden dabei angerechnet.

Eine wesentliche Neuerung in der höheren Offiziersausbildung ist der „Lehrgang höhere Führung“. Dieser berufsbegleitende Lehrgang, der ebenfalls auf dem Modell der „lernenden Organisation“ beruht, wird ab 2023 angeboten. Er folgt einem modularen Aufbau über zwei Semester und ist für gegenwärtige oder angehende Führungskräfte auf höchster Ebene vorgesehen. Die Inhalte sind in drei Blöcke gegliedert: Die Kernleistungen und -prozesse des BMLV, die Mitwirkung in der Bundesverwaltung und die Politikberatung. Wesentliche Wirkungsaspekte sind dabei das Systemdenken, die interne sowie externe Vernetzung und die Weiterentwicklung von „Leadership“. Wesentliches Kriterium zum Erreichen der angestrebten Wirkung wird die Zusammenstellung eines möglichst diversen Teilnehmerkreises sein.

Abseits der dargestellten Anpassungen im Ausbildungssystem wurden auch organisatorische, rechtliche sowie Maßnahmen im Bereich der Personalsteuerung empfohlen. Diese Maßnahmen würden die Wirkung der Ausbildung erhöhen. Aufgrund des erhöhten Aufwands, der Kosten und der dafür erforderlichen internen und externen Zustimmungen ist jedoch noch nicht klar, ob und wann diese realisiert werden können. Positiv ist, dass bereits wichtige Begleitmaßnahmen, wie die Prüfung einer Neubewertung bzw. Besserstellung hochwertiger Arbeitsplätze, beginnend bei den Bataillonskommandanten, aufgegriffen wurden.

Wo stehen wir und was kommt noch?

Die Konzeptentwicklung für die Anpassung des FH-MaStg milFü ist abgeschlossen, die Anpassung der M BO 1 GA befindet sich noch in Umsetzung. Ein erster wesentlicher Schritt wird die Verfügung der neuen Grundausbildungsverordnung M BO 1 – geplant Mitte 2020 – sein. Bis zu diesem Zeitpunkt werden auch weitere Ergebnisse zu den empfohlenen Begleitmaßnahmen vorliegen. Die Entwicklungsphase des Lehrganges „höhere Führung“ wird Mitte 2020 eingeleitet, wobei die erste Durchführung spätestens 2023 erfolgen wird.

Die hier dargestellte und jedenfalls bei der höheren Offiziersausbildung verfolgte Transformation des BMLV in eine lernende Organisation wird für die nächsten Jahre eine Konstante in der Ausbildungslandschaft bleiben. Die fünf Disziplinen – persönliche Meisterschaft, gemeinsame Vision, Denkmodelle, Dialog und Systemverständnis – vermitteln eine klare Leit- linie zur Erwartungshaltung im Bereich der Ausbildung. Die Berücksichtigung dieser Punkte verspricht nicht nur Erfolg in der Ausbildung, sondern auch im praktischen Berufsvollzug.

Obwohl die Ausbildung ein prominenter Kulturträger ist, fehlt uns wahrscheinlich die Zeit, eine lernende Organisation ausschließlich über formale Ausbildungsgänge zu entwickeln. Deshalb sind diese Ausführungen als Denkanstoß für die tagtägliche Arbeit zu sehen. Wenn nur ein paar Wenige diese Gedanken weiterverfolgen und umsetzen, werden das BMLV und das Österreichische Bundesheer gemeinsam erfolgreicher sein!

Oberst dG Mag.(FH) Mag. Klaus Klingenschmid, MSS ist Referatsleiter im Generalstab der Sektion IV.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)