• Veröffentlichungsdatum : 17.09.2020
  • – Letztes Update : 22.09.2020

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In der Ruhe liegt die Kampfkraft

Othmar Wohlkönig

Alle Armeen unterliegen einem permanenten Anpassungsprozess, um sich auf veränderte Bedrohungen und die damit verbundenen geänderten Herausforderungen einzustellen. Das gilt auch für das Österreichische Bundesheer (ÖBH), bei dem es in den vergangenen Jahren aber so viele Anpassungen gab, dass sich diese fallweise selbst überholten. So gab es in den Streitkräften seit 2016 zwei wesentliche Umstrukturierungen, die beide nicht zur Gänze abgeschlossen werden konnten. Dabei wurden operativ führende Kommanden getrennt und wieder zusammengeführt, Bataillone verschoben oder sie erhielten neue Aufgaben. Das Personal musste sich neu einstellen und ausrichten, umschulen sowie fallweise nach neuen Perspektiven suchen. Und nachdem sich die Truppe auf die neue Situation eingestellt hatte, stand bereits die nächste Reform in den Startlöchern.

Das ÖBH ist eine besondere staatliche Organisation. Sie lässt sich weder nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen führen noch ist sie mit einer Blaulichtorganisation vergleichbar. Es gibt auch keine andere staatliche Einrichtung, die so viele Liegenschaften, Schulen und Akademien, Fahrzeuge, (Waffen-)Systeme etc. hat, über ein so breites Spektrum an Aufgaben im In- und Ausland verfügt und in der das Zusammenwirken der einzelnen Elemente so komplex ist. Aus diesem Grund sollte jede Veränderung des ÖBH bis ins kleinste Detail durchdacht sein.

Ein Grund- oder Größensymbol lässt sich auf dem Papier leicht verändern, verschieben oder streichen. Die Auswirkung auf die Truppe, von den Fähigkeiten in der Waffengattung bis zum schwindenden Korpsgeist, sind meist gravierend. Schließlich befinden sich hinter jedem taktischen Zeichen nicht nur Gerät und Infrastruktur, sondern vor allem Menschen. Häufige Umgliederungen zeugen zwar vom Mut zur Gestaltung und Veränderung, erhöhen die Einsatzbereitschaft der Truppe jedoch nicht unbedingt. Für manche bedeuten sie zwar eine Chance, für viele sind sie aber mit einer beruflichen Neuausrichtung verbunden. Das sorgt für Unruhe und Unverständnis, vor allem wenn der eigene Verband zur Diskussion steht und die Gefahr droht, die „militärische Heimat“ zu verlieren.

Dabei geht es nicht nur um den Erhalt des Arbeitsplatzes oder die Absicherung eines Standortes, vielmehr besteht die Gefahr, den Sinn in der Aufgabenstellung oder das Vertrauen in die Führung zu verlieren. Wer jedoch den Sinn einer Aufgabe nicht mehr erkennt, die Orientierung oder das Vertrauen in seine Vorgesetzten verliert, weil er sich ständig auf eine neue Situation einstellen muss oder unterhalb seiner Qualifikations- und Führungsebene verwendet wird, verliert über kurz oder lang die Motivation.

Umgliederungen können gravierende Auswirkungen auf die Laufbahn von Soldaten und die Personalplanung haben. Beispielsweise können die mit dem Kommandanten oder Dienststellenleiter in Mitarbeitergesprächen vereinbarten Laufbahnbilder häufig nicht mehr eingehalten werden. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass notwendige Personalmaßnahmen aufgrund eines Besetzungs- und Versetzungsstopps im Zuge einer Strukturanpassung nicht oder nur verspätet durchgeführt werden können.

Von einer Reform sind beinahe alle Bediensteten – unabhängig vom Alter oder Dienstgrad – betroffen. Ältere und erfahrene Berufssoldaten reagieren meist gelassener, auch weil sie oft keine Alternative zum Verbleib im Ressort haben oder bereits am Ende ihrer Karriereleiter angelangt sind. Bei den jüngeren Kameraden sieht die Situation aber anders aus. Manche wechseln die Waffengattung, die Dienststelle oder den Wohnort, viele gut ausgebildete Berufssoldaten verlassen jedoch die Armee. Aus Mangel an Perspektiven gehen sie lieber in „stabilere Ressorts“ (z. B. ins BMI zur Polizei) oder in die Privatwirtschaft. Die Folge ist eine hohe Fluktuation, ein Rückgang und Fehl von qualifiziertem sowie erfahrenem Personal, aber auch Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuer Berufssoldaten.

Bei jeder Reformmaßnahme sind die Kommandanten und Dienststellenleiter gefordert. Ihre Aufgabe ist es, ihre Soldaten zu informieren, sie auf die neuen Verhältnisse einzustimmen und „mitzunehmen“. Damit das gelingt, werden sie von ihren vorgesetzten Kommandanten und den Kommandounteroffizieren unterstützt. Gibt es jedoch keine Informationen oder erfahren die Bediensteten zuerst aus den Medien über bevorstehende Reformen und Umgliederungen, wird ihnen diese Möglichkeit verwehrt. Dadurch verlieren sie als Führungskräfte aber die Chance, ihre Truppe auf eine neue Aufgaben einzuschwören und sich aktiv an der Entwicklung der Streitkräfte zu beteiligen.

Stillstand heißt Rückschritt! Daher sind Veränderungen, die die Einsatzbereitschaft erhöhen, stets anzustreben. Jede Veränderung braucht aber Zeit, um die neuen Strukturen und Aufgaben zur Wirkung zu bringen. Das gilt auch für die Streitkräfte und ihre Soldaten. Diese benötigen für den Aus- und Aufbau ihrer Fähigkeiten nach einer Reform vor allem Ruhe und Zeit. Nur so können sie jenen Zustand herstellen, der den Erfordernissen der Bundesverfassung und der aktuellen Bedrohungslage entspricht.

Vizeleutnant Othmar Wohlkönig ist Kommandounteroffizier der Streitkräfte

 

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