• Veröffentlichungsdatum : 06.12.2023
  • – Letztes Update : 12.12.2023

  • 6 Min -
  • 1185 Wörter

Kämpfen lernt man nur im Kampf!

Gerold Keusch

Wer unvorbereitet tätlich angegriffen wird, ist in einer psychischen Ausnhmesituation und oft handlungsunfähig. Gerade Soldaten müssen in solchen Situationen angemessen reagieren Das Militärische Boxen bereitet sie darauf vor.

„Die Erfahrung einer realen Konfrontation mit Erschöpfung und der Aussicht auf Schmerzen und Verletzungen sind unabdingbar für jeden Berufssoldaten!“, sagt Vizeleutnant Gerald Pelikan. Der staatlich geprüfte Boxtrainer, Fachsportleiter Selbstverteidigung, Nahkampftrainer und Lehrunteroffizier am Heeressportzentrum hat mit Major Christoph Hinterlechner, Lehroffizier für Körperausbildung an der Heeresunteroffiziersakademie, das Militärische Boxen im Österreichischen Bundesheer etabliert. Dort wird es als spezifische Form der Körperausbildung durchgeführt.

„Ein Soldat muss handeln und seinen Auftrag situationsangepasst erfüllen. Das militärische Training bereitet Soldaten auf den Einsatz vor – auf das Gefecht und, in letzter Konsequenz, auf den Kampf Mann gegen Mann. Um diesen führen zu können, muss der Soldat nicht nur fit sein, er muss auch kämpfen können“, erklärt der Vizeleutnant. Solche Konfrontationen werden nicht unbedingt auf dem Gefechtsfeld geführt und mit Waffen ausgetragen, sondern beispielsweise auch bei gewalttätigen Demonstrationen bei friedenserhaltenden Einsätzen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wie handeln Soldaten bei einem aggressiven Angriff mit Fäusten und Tritten, bei dem der Einsatz ihrer Waffe wegen der Verhältnismäßigkeit oder der Gefährdung von Kameraden oder Dritten nicht möglich ist?

Warum das Militärische Boxen ein Schlüssel für das Bewältigen solcher Situationen ist, beantwortet Major Hinterlechner: „Beim Militärischen Boxen werden Berührungsängste spielerisch abgebaut. Die Soldaten lernen Körperkraft mit Maß und Ziel anzuwenden und den Krafteinsatz auf die Situation und den Gegner anzupassen. Dadurch erreichen sie jene emotionale Stabilität und mentale Robustheit, um im Einsatz bestehen zu können.“

Spielerisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Soldaten mit didaktisch überlegten Schritten die sportliche Disziplin Militärisches Boxen erlernen. Es darf gelacht werden, und die Trainings dürfen Spaß machen, dennoch gibt es strenge Regeln und eine hohe Disziplin während dieser physisch und psychisch fordernden Ausbildung. „Militärisches Boxen ist ein Teil der Körperausbildung und eine Zubringerleistung für die Selbstverteidigung und die Nahkampfausbildung, die auf deren konditionellen und koordinativen Inhalten aufbaut“, stellt der Major klar und zieht einen Vergleich: „Die Hindernisbahn ist jener Teil der Körperausbildung, der die Basis für den Ortskampf schafft, das Militärische Boxen ist als angewandte Körperausbildung die Basis für die Selbstverteidigung und den Nahkampf.“

Kooperation mit der Deutschen Bundeswehr

Nicht nur national, sondern auch international findet das Militärische Boxen großes Interesse. Die Sportschule der Deutschen Bundeswehr in Warendorf hat diese Disziplin vollinhaltlich in ihrem Lehrgang Fachsportleiter Selbstverteidigung übernommen. Im Zuge einer seit 2010 bestehenden Kooperation wurden bereits 17 Übungsleiter Militärisches Boxen in Wien und in Warendorf ausgebildet. Bei den beiden Übungsleiterlehrgängen Militärisches Boxen, die 2022 und 2023 in Warendorf stattgefunden haben, nahmen auch zwei Nahkampflehrer der Infanterieschule Hammelburg teil. Die Kooperation mit der Deutschen Bundeswehr wird vermutlich auch 2024 mit dem Lehrgang Ausbilder Militärisches Boxen, ebenfalls in Warendorf, fortgesetzt werden.
 

Umsetzung bei der Truppe

Der Stellenwert und die Bedeutung dieser Ausbildung bedingt einerseits Vorschriften und Erlässe, die die Ausbildung regeln, andererseits Personal, das diese fachlich korrekt durchführen kann. Zu diesem Zweck gibt es in den Streitkräften 296 Übungsleiter für Militärisches Boxen, die von Boxlehrern wie Gerald Pelikan oder Christoph Hinterlechner am Heeressportzentrum ausgebildet wurden. „Mittlerweile ist der Bedarf an Übungsleitern jedoch so groß, dass wir nicht mehr alle vor Ort schulen können“, skizziert Hinterlechner das Problem, für das er auch die Lösung präsentiert: „Aus diesem Grund haben wir – ähnlich wie beim Nahkampf – ein System mit den drei Stufen Übungsleiter, Ausbilder und Lehrer geschaffen.“

Der Übungsleiter bildet vor allem Rekruten und Kaderanwärter aus und arbeitet somit an der Basis. Der Ausbilder soll Übungsleiter selbstständig bei der Truppe aus- und fortbilden. Zusätzlich ist er im Verband der Ansprechpartner für das Militärische Boxen und damit der Experte für alle Angelegenheiten dieser Disziplin. Das Erreichen dieser Qualifikationsstufe bedingt eine langjährige Erfahrung als Athlet sowie als Trainer im Kampfsport und das positive Absolvieren des dafür vorgesehenen Lehrganges. Diese Qualifikation ist nicht neu, jedoch hatten diese bisher nur Lehrunteroffiziere bzw. Lehroffiziere (am Heeressportzentrum oder an der Heeresunteroffiziersakademie).

Schnuppertraining

Am 30. Mai 2023 besuchten Schüler der Bundeshandelsakademie für Führung und Sicherheit in Wiener Neustadt (Nachfolgeeinrichtung des Militärrealgymnasiums) den Lehrgang während ihrer außerschulischen Ausbildung. Dort erhielten sie ein Schnuppertraining, das parallel zum Boxtraining der angehenden Ausbilder stattfand. Während diese in den vier Stationen Schattenboxen, Tatzenarbeit, Gerätearbeit und Technik-Taktik-Strategie (für den Abschlusskampf) trainierten, machten die Schüler ihre „ersten Schritte“ im Boxsport.

Nachdem sie in den Ablauf des Nachmittages eingewiesen worden waren, fassten sie Schutzausrüstung aus und begannen mit dem Aufwärmen. Die eigentliche Ausbildung bestand aus Differenzierungsübungen sowie dem Kennenlernen von Angriffs- und Verteidigungsübungen. Die meisten wurden als Partnerübungen durchgeführt, den Höhepunkt bildete ein Sparring. Dieses fand unter den wachsamen Augen von Gerald Pelikan statt. Er steuerte die Intensität des Trainings mit Einlagen wie Hochstrecksprüngen, Liegestützen oder dem Drehen am Stand. Dazwischen gab es Partnerwechsel und kurze Pausen.

Der Weg zum Ausbilder

Vom 22. Mai bis zum 2. Juni 2023 fand in der Maria-Theresien-Kaserne der erste Modelllehrgang für Ausbilder Militärisches Boxen statt. Für diesen sind die Qualifikationen Übungsleiter Militärisches Boxen, Bundesheersportausbilder Instruktor oder Nahkampfinstruktor, durchschnittliche Leistungsprüfung allgemeine Kondition oder das Profil C im Militärspezifischen Test, eine Militärärztliche Bestätigung und das Beherrschen der Grundtechniken des Militärischen Boxens die Voraussetzung. Diese Kompetenzen werden am ersten Kurstag im Zuge einer Aufnahmeprüfung festgestellt.

„Um Ausbilder für Militärisches Boxen zu werden, reicht es aber nicht aus, lediglich die Aufnahmeprüfung zu bestehen. Der Fokus des Lehrganges liegt auf den praktisch-methodischen Übungen. Das bedeutet täglich ein mehrstündiges Boxtraining mit Partnerübungen und Sparrings im Leicht- und Vollkontakt. Ohne diesen Sport aktiv auszuüben, kann man dieses Programm nicht bewältigen“, erklärt Gerald Pelikan. „Darüber hinaus beobachten wir jeden Lehrgangsteilnehmer individuell und beurteilen aufgrund seiner Leistungen, ob er als Ausbilder geeignet ist.“

Den Abschluss des Lehrganges markiert eine kommissionelle Prüfung. Neben theoretischen und praktischen Inhalten sind ein Lehrauftritt und  ein Abschlusskampf (der Höhepunkt des Lehrganges, über drei Runden zu drei Minuten) zu absolvieren. Das Ziel dieses Kampfes ist es nicht (unbedingt), diesen zu gewinnen, sondern zu zeigen, dass man boxen kann – auch unter Druck im Vollkontakt. Das bedeutet neben einer sauberen Technik ebenfalls die richtige Taktik sowie Strategie, Durchsetzungsfähigkeit, Kampfwille und emotionale Stabilität. Letztendlich erbringt der angehende Ausbilder damit den Nachweis, dass er jene Inhalte, die er in weiterer Folge ausbilden wird, nicht nur kennt, sondern tatsächlich beherrscht.
 

Fazit

Die körperliche Leistungsfähigkeit von Soldaten bestimmt im entscheidenden Maß die Einsatzbereitschaft von Streitkräften. Der Soldat muss aber nicht nur fit sein, sondern auch kämpfen können. Militärisches Boxen ist eine attraktive Variante der Körperausbildung. Diese Sportdisziplin erhöht die konditionelle und koordinative Belastbarkeit und entwickelt psychische, soziale sowie charakterliche Eigenschaften. Das strikte Wettkampfreglement und die formalen Regeln haben eine pädagogisch-spielerische Wirkung, die sich positiv auf die Disziplin des Soldaten auswirkt.

Das Ziel des Boxtrainings ist das emotional stabile und kontrollierte Kämpfen im Leichtkontakt als Zubringerleistung für den Sport und letztlich den Gefechtsdienst. „Kämpfen lernt man nur im Kampf!“, sind Vizeleutnant Pelikan und Major Hinterlechner überzeugt. Die Basis dafür ist ein gut ausgebildetes und motiviertes Ausbildungspersonal in allen Bereichen des Bundesheeres. Ein Beispiel dafür sind die 14 Absolventen des ersten Lehrganges für Ausbilder Militärisches Boxen.

Hofrat Gerold Keusch, BA MA; Leiter Online-Medien in der Redaktion TRUPPENDIENST.


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 3/2023 (393).

Zur Ausgabe 3/2023 (393)


 

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