Lebensversicherung für das Gefecht
Atomare, chemische und biologische Kampfstoffe sind eine Bedrohung. Die Maßnahmen beginnen beim einzelnen Soldaten. Der ABC-Individualschutz umfasst die Schutzausrüstung und Verhaltensweisen bei einem Einsatz von ABC-Kampfmitteln.
Der ABC-Individualschutz umfasst das Wissen des Soldaten über Einsatzmöglichkeiten und Wirkungen von ABC-Kampfmitteln, das richtige Verhalten des Soldaten vor, während und nach der Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen (ist der Sammelbegriff für ABC-Kampfstoffe und ABC-Gefahrstoffe zivilen Ursprunges; Anm.), die korrekte Anwendung und Handhabung der ABC-Individualschutzausrüstung, das richtige Verhalten der Soldaten in der Selbst- und Kameradenhilfe unter ABC-Bedingungen sowie die Individualdekontamination.
Alle Maßnahmen erhöhen nicht nur den Schutz des Soldaten, sondern auch die physischen und psychischen Belastungen. Unter ABC-Bedingungen nimmt die Leistungsfähigkeit der einzelnen Soldaten teilweise stark ab. Damit reduziert sich ebenfalls die Kampfkraft der Truppe. Neben den erhöhten körperlichen Beanspruchungen können unter Maßnahmen des ABC-Individualschutzes zusätzliche psychische Belastungen wie Platzangst, Furchtsamkeit oder Verwirrungszustände auftreten. Das regelmäßige Üben unter ABC-Bedingungen fördert das Vertrauen in die ABC-Individualschutzmaßnahmen und erhöht die Erfahrung im Umgang mit den damit verbundenen Strapazen.
Die ABC-Individualschutzausrüstung besteht aus
- dem ABC-Schutzmaskensatz,
- dem ABC-Schutzbekleidungssatz,
- dem ABC-Selbsthilfesatz und
- dem Kampfstoffnachweispapier.
ABC-Schutzmaskensatz
Die wichtigsten Komponenten des ABC-Schutzmaskensatzes sind die ABC-Schutzmaske und der ABC-Schutzmaskenfilter. Die ABC-Schutzmaske in Verbindung mit dem ABC-Schutzmaskenfilter schützt vor Inhalation von Kampfstoffen sowie das Gesicht des Soldaten, allem voran Augen und Haut. Die ABC-Schutzmaske bietet Schutz vor allen gängigen chemischen und biologischen Kampfstoffen und – mit wenigen Ausnahmen – vor den meisten toxischen Industriechemikalien. Außerdem sichert sie den Träger vor dem Einatmen radioaktiver Partikel sowie von Aerosolen und Staubteilchen.
Der ABC-Schutzmaskenfilter reinigt die Atemluft ihres Trägers. Er ist ein Kombinationsfilter und vereint einen Partikel-, Schwebstoff- und Gasfilter. Der ABC-Schutzmaskenfilter schützt jedoch nicht vor Kohlenmonoxid, Kohlendioxid oder Kohlenwasserstoffen wie Propan und Butan in höheren Konzentrationen, die meist in geschlossenen Räumen entstehen. Zum Schutz vor solchen Gefahren werden entweder Spezialfilter, die auf spezifische Chemikalien ausgelegt sind, oder von der Außenluft unabhängige Atemsysteme verwendet. Außerdem verfügt die ABC-Schutzmaske über einen Trinkanschluss, der das Trinken von Flüssigkeiten ermöglicht. Um ihre volle Wirkung zu entfalten und einen verlässlichen Schutz zu bieten, muss die ABC-Schutzmaske korrekt, schmerzfrei und gasdicht an den jeweiligen Träger angepasst sein.
Die Vordichteprüfung muss von jedem Soldaten vor jeder Verwendung der ABC-Schutzmaske durchgeführt werden. Bei der Vordichteprüfung wird bei aufgesetzter Schutzmaske die Lufteintrittsöffnung mit der flachen Hand abgedeckt und anschließend tief eingeatmet. Die Schutzmaske sitzt gasdicht, wenn bei dieser Prozedur ein Unterdruck entsteht, die Maske gegen das Gesicht gedrückt wird und keine weitere Luft einströmt. Das Beschlagen der Sichtscheibe im Laufe der Vordichteprüfung deutet auf Undichtheiten hin.
Mit der Hauptdichteprüfung wird der korrekte und dichte Sitz der ABC-Schutzmaske unter Reizstoffeinwirkung überprüft. Diese wird in einer Prüfanlage abgehalten, wobei die Prüfdauer mindestens eine Minute beträgt. Dabei kommt ein Reizstoff (Tränengas) zum Einsatz. Mit der „ABC-Schutzmaske M-2000“ und der „ABC-Schutzbekleidung mittel“ verfügt das Bundesheer erstmalig über eine effektive ABC-Individualschutzausrüstung, die aufgrund des Tragekomforts die Einsatzfähigkeit des Soldaten möglichst wenig beeinträchtigt.
ABC-Schutzbekleidung
Die ABC-Schutzbekleidung schützt den Träger vor Kontaminationen der Haut sowie der Inkorporation von Kampfstoffen über die Haut. Sie ist luft- und wasserdampfdurchlässig. Das Außenmaterial ist imprägniert und damit öl- sowie wasserabweisend.
Für die Anwendung bei einem möglichen Kontakt mit Säuren und Laugen ist die zweiteilige ABC-Schutzbekleidung mittel allerdings nicht geeignet. Die Bekleidung setzt sich aus einer ABC-Schutzjacke und einer ABC-Schutzhose mittel sowie ABC-Überschuhen, ABC-Schutzhandschuhen und Unterziehhandschuhen zusammen. Sie ist bis zu zwölf Stunden kampfstoffbeständig, ohne dabei nachteilige Veränderungen der Materialeigenschaften aufzuweisen.
ABC-Selbsthilfesatz
Der ABC-Selbsthilfesatz besteht aus einer reaktiven Hautdekontaminationslotion, einem Autoinjektor mit Atropin und Obidoximchlorid sowie Einwegüberhandschuhe für die Trockendekontamination zur Ab- und Adsorption von biologischen Gefahrstoffen.
Außerdem beinhaltet der ABC-Selbsthilfesatz zehn Stück Trinkwasser-Desinfektionstabletten, Pflasterwundverbände in verschiedenen Größen und eine „Compressed Gauze“ (Kompresse). Mit den Komponenten des ABC-Selbsthilfesatzes können Soldaten rasch Gegenmaßnahmen bei möglichen Kampfstoffintoxikationen sowie Maßnahmen zur ABC-Individualdekontamination setzen. Damit wird durch die betroffenen Soldaten die Kontamination selbstständig verringert. Sie schützt das Leben und die Gesundheit der Soldaten und erhält die Kampfkraft der Truppe.
Kampfstoffnachweispapier
Mit dem Kampfstoffnachweispapier können vorhandene flüssige chemische Kampfstoffe erkannt werden. Die Anwendung des Kampfstoffnachweispapieres erfolgt, indem es an exponierten Stellen aufgeklebt und in Flüssigkeit eingetaucht wird. Bei Kontakt mit einem flüssigen chemischen Kampfstoff verfärbt es sich. Bei Nervenkampfstoffen färbt sich das Kampfstoffnachweispapier je nach Gattung gelb oder grün, bei Hautkampfstoffen nimmt es die Farbe Rot an. Dies geschieht in relativ kurzer Zeit, was für rasche Gegenmaßnahmen nach einer möglichen Kontamination durch einen chemischen Kampfstoff wichtig ist.
Ergänzend dazu können mit dem Nervengasanzeiger gasförmige Nervenkampfstoffe detektiert werden. Die Anzeige erfolgt ebenfalls durch Verfärbung, wobei das Annehmen einer Farbe das Nichtvorhandensein eines Nervenkampfstoffes anzeigt. Beide Detektionsmittel tragen dazu bei, dass chemische Kampfstoffe frühzeitig erkannt werden und somit der ABC-Alarm rasch ausgelöst wird und ABC-Individualschutzmaßnahmen rechtzeitig getroffen werden können.
Die Säulen der ABC-Abwehr
Die Ziele der ABC-Abwehr sind, Angriffe mit ABC-Kampfstoffen bzw. Freisetzungen von ABC-Gefahrstoffen zivilen Ursprunges zu verhindern, Soldaten und Bevölkerung vor den Auswirkungen von ABC-Gefahrstoffen zu schützen und Maßnahmen zur Wiederherstellung nach ABC-Ereignissen zu unterstützen.
Die ABC-Abwehr baut auf drei Säulen auf: Prevent – Protect – Recover.
Prevent
Die erste Säule der ABC-Abwehr hat das Ziel, zu verhindern, dass gegnerische Kräfte in den Besitz von ABC-Kampfstoffen kommen. Falls sie bereits im Besitz solcher sind, ist es das Ziel, diese zu vernichten oder deren Bestand zur verringern. Dies umfasst auch die Vorbeugung von Unfällen mit ABC-Gefahrstoffen. Dadurch wird das Risiko für die eigenen Soldaten, für die Zivilbevölkerung und die Kritische Infrastruktur reduziert.
Protect
Ziel der zweiten Säule der ABC-Abwehr ist der Schutz vor ABC-Bedrohungen sowie dessen Auswirkungen zu reduzieren, falls die Prävention keine Wirkung zeigen sollte. Dazu zählt der Schutz militärischer Kräfte, der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur. Um den Schutz zu gewährleisten und die eigene Verwundbarkeit zu senken, ist es maßgeblich, ABC-Schutzmaßnahmen rechtzeitig zu ergreifen. Dies beinhaltet sowohl die Identifikation bestehender ABC-Gefahren als auch die Vermeidung dieser, sofern es im Bereich des Möglichen liegt.
ABC-Schutzmaßnahmen gelten als präventiv, da sie vor der Gefährdung getroffen werden. Zu diesen Maßnahmen zählen zum Beispiel die Vorbereitung von Maßnahmen zur Dekontamination sowie Kollektiv- und Individualschutzmaßnahmen. Eine wesentliche Rolle spielen dabei auch die Planung und die Vorbereitung auf mögliche ABC-Ereignisse.
Recover
Das Ziel der dritten Säule ist es, die Auswirkungen auf die Streitkräfte zu reduzieren und die Einsatzbereitschaft nach einem ABC-Angriff oder einer Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen wiederherzustellen. Darunter fallen unter anderem Dekontaminations- sowie medizinische Maßnahmen, Rettungs- und Evakuierungmaßnahmen oder ABC-Aufklärungsmaßnahmen, um das Ausmaß der ABC-Gefährdung festzustellen. Die Koordinierung mit zivilen Einsatzorganisationen spielt dabei eine wesentliche Rolle.
Der Einsatz von ABC-Kampfstoffen bzw. das gewollte Freisetzen von ABC-Gefahrstoffen zivilen Ursprunges können dem Gegner auf dem Gefechtsfeld einen taktischen Vorteil verschaffen. Möchte man einen ABC-Angriff verhindern, darf der Einsatz von ABC-Waffen sowie die gewollte Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen zivilen Ursprunges für den Gegner nicht erfolgversprechend sein.
Die Verfügbarkeit eines modernen, effektiven ABC-Individualschutzes und eine qualitative ABC-Individualschutzausbildung aller Soldaten spielen dabei eine wesentliche Rolle. Eine fehlende bzw. inadäquate ABC-Individualschutzausrüstung oder mangelhafte Ausbildung ladet hingegen den Gegner geradezu ein, ABC-Kampfstoffe einzusetzen oder im Einsatzraum befindliche ABC-Gefahrstoffe ziviler Herkunft gezielt freizusetzen. Eine glaubhafte Demonstration der Fähigkeit zum ABC-Individualschutz hat daher eine enorme präventive Wirkung.
Werden dennoch ABC-Gefahrenstoffe gewollt oder ungewollt freigesetzt, so können durch einen effektiven ABC-Individualschutz die eigenen Verluste minimiert und nachteilige Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der Truppe stark reduziert werden.
Rechtzeitige und adäquate ABC-Individualschutzmaßnahmen erleichtern zudem die Wiederherstellungsmaßnahmen nach ABC-Ereignissen. So kann beispielweise bei Soldaten, die rechtzeitig die ABC-Individualschutzmaßnahmen getroffen haben, allein durch die Trockendekontamination die Einsatzbereitschaft wiederhergestellt und medizinische Zugriffe geringgehalten werden.
ABC-Individualschutzmaßnahmen reduzieren die Kampfkraft
Um sich vor einem überraschenden Einsatz von ABC-Kampfstoffen oder der Freisetzung von ABC-Gefahrstoffen zivilen Ursprunges zu schützen, müssen ABC-Individualschutzmaßnahmen möglichst frühzeitig getroffen werden. Diese reduzieren jedoch die Kampfkraft der Truppe. Darüber hinaus ist das Tragen des ABC-Individualschutzes nur über eine beschränkte Dauer möglich. Schutz vor Überraschung und Erhaltung der Kampfkraft stehen somit im Widerspruch.
Um diesen Widerspruch zu entgegnen, muss man einerseits das Risiko, überrascht zu werden, reduzieren und andererseits müssen die Auswirkungen der ABC-Individualschutzmaßnahmen auf die Kampfkraft der Soldaten minimiert werden. Durch die Beschaffung permeabler ABC-Schutzbekleidung kann dieser Gegensatz stark eingeschränkt werden, da diese luftdurchlässig ist und dadurch die Auswirkung auf die Kampfkraft der Soldaten geringer ist.
Lageangepasste Individualschutzstufen
Der Kommandant ab der Ebene Einheit und darüber legt legt auf Basis der aktuellen ABC-Bedrohung mittels lageangepasster Individualschutzstufen (LIST) die Maßnahmen des ABC-Individualschutzes für die unterstellten Teile fest. Bei der Beurteilung und Festlegung der LIST sind nicht nur die Verringerung des Risikos der Überraschung durch einen ABC-Waffeneinsatz, sondern insbesondere die Anforderungen des taktischen Auftrages zu beachten. Eine höhere LIST verhindert naturgemäß die Beweglichkeit der Soldaten und verringert die Kampfkraft der Truppe. Die Festlegung der LIST ist immer ein Kompromiss aus Schutz vor Überraschung und Erhaltung der Kampfkraft.
Ein aktuelles und detailliertes ABC-Lagebild ist die Voraussetzung, eine LIST zielgerichtet für die Truppe festzulegen. Ist dieses nicht oder nicht ausreichend vorhanden, müssen die Kommandanten entweder das Risiko tragen, überrascht zu werden, oder durch die Festlegung möglichst hoher LIST Einbußen in der Kampfkraft in Kauf nehmen. Den ABC-Fachdiensten obliegt bei der Festlegung der LIST eine wesentliche Bedeutung. Sie sind aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung dazu befähigt, den Kommandanten auf Basis des ihnen zur Verfügung stehenden ABC-Lagebildes zu beraten.
Die im Bundesheer festgelegten LIST sind an internationale Standards angepasst. Es gibt fünf Stufen, LIST 0 bis 4. Ist eine ABC-Bedrohung vorhanden, so ist zumindest die LIST 0 zu befehlen. Die ABC-Schutzmaske ist bei LIST 0 am Kampfanzug zu tragen, und die ABC-Schutzbekleidung ist mitzuführen. Sie befindet sich entweder im Gepäck des Soldaten, am Gefechtsstand oder im Gefechtsfahrzeug. Wie oder wo bei LIST 0 die ABC-Schutzbekleidung mitzuführen ist, entscheidet der jeweilige Kommandant. Zu beurteilen wären unter anderem die maximale Entfernung der Soldaten zu ihrem Gefechtsfahrzeug, der verfügbare Transportraum am Gefechtsfahrzeug oder die Art der ABC-Gefährdung im Einsatzraum. Der Kommandant stützt sich dabei auf die Beratung seiner ABC-Fachdienste.
Ab der LIST 1 ist die ABC-Schutzbekleidung zu tragen. Die Unterbekleidung kann dabei den Witterungsverhältnissen angepasst werden. Bei der LIST 2 werden zusätzlich die ABC-Überschuhe angezogen. Zwischen der LIST 2 und 3 gibt es im Bundesheer keinen Unterschied, da die ABC-Schutzhandschuhe erst bei der LIST 4, nachdem die ABC-Schutzmaske aufgesetzt worden ist, getragen werden. Mit der LIST 4 wird der ABC-Individualschutz vollständig hergestellt. Nach einem ABC-Alarm stellen die Soldaten automatisch die LIST 4 her.
Fazit
Der ABC-Individualschutz ermöglicht den Soldaten im Falle eines ABC-Ereignisses zu überleben. Dazu bedarf es einer modernen ABC-Individualschutzausrüstung und einer fundierten ABC-Individualschutzausbildung aller Soldaten. Darüber hinaus trägt eine glaubhafte Demonstration der Fähigkeit zum ABC-Individualschutz dazu bei, den Gegner vom Einsatz von ABC-Kampfstoffen abzuhalten. Um die Auswirkungen des Tragens der ABC-Individualschutzausrüstung auf die Kampfkraft gering zu halten, muss eine moderne ABC-Individualschutzausrüstung einen möglichst hohen Tragekomfort aufweisen.
Abgeleitet von der jeweiligen ABC-Bedrohung wird durch die LIST der Grad des ABC-Individualschutzes für die Soldaten festgelegt. So wird sichergestellt, dass die Soldaten einerseits ausreichend vor Überraschung geschützt und andererseits die Kampfkraft der Soldaten möglichst wenig reduziert werden. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die ABC-Fachdienste, die ihren Kommandanten beratend zur Seite stehen. Die zielgerichtete Festlegung der LIST bedingt darüber hinaus, dass ein möglichst aktuelles und detailliertes ABC-Lagebild vorhanden ist.
Oberst dG Mag.(FH) Gernot Wurzer, MBA MA; Abteilungsleiter ABC-Abwehrzentrum
Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST 4/2024 (400).