• Veröffentlichungsdatum : 07.06.2023

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Lecture Room 21

Reinhard Janko

Taktische Planungs- und Führungsverfahren mit Papier und Folienstiften sollten in Zukunft dem Notbetrieb zugerechnet werden. Der Lecture Room 21 ist eine moderne Lern- und Lehrumgebung für den Stabsdienst. Die Theresianische Militärakademie forscht unter dem Arbeitstitel „Command21“ an der Digitalisierung militärischer Prozesse.

Ein modernes Gefechtsfahrzeug verfügt über einen Feuerleitrechner sowie eine elektronisch unterstützte Stabilisierungs- und Waffenrichtanlage. Dadurch kann sich der Richtschütze darauf fokussieren, ein Ziel zu identifizieren und eine Entscheidung zu treffen. Niemand würde auf den Gedanken kommen, die elektronische Unterstützung abzuschalten und wie vor Jahrzehnten manuell zu richten. In der militärischen Entscheidungsfindung, dem taktischen Planungs- und Führungsverfahren, wird jedoch immer noch manuell mit Papierkarten, Oleaten und verschiedenen Folienstiften gearbeitet. Im Vergleich zum Gefechtsfahrzeug entspricht das dem Notbetrieb nach Ausfall aller Systeme.

Es ist an der Zeit, auch im taktischen Planungs- und Führungsverfahren den Schritt in die Zukunft zu wagen. Die Zeit hierfür ist aufgrund mehrerer Aspekte reif. Zum einen muss ein neues Führungsinformationssystem eingeführt werden, da das derzeitige in naher Zukunft sein technisches Lebensende erreichen wird. Zum anderen steht, aufgrund des technischen Fortschrittes, die Ablöse verschiedener Funk- und Datenübertragungssysteme an. Parallel dazu sollte die Entwicklung der notwendigen Prozesse erfolgen, um eine homogene, interoperable Gesamtlösung zu schaffen. Ein weiteres ganz wesentliches Argument sind die Lehren aus dem Ukraine-Krieg. Ein Hauptlehroffizier für Taktik, Versorgung und Stabsdienst am Institut 2 (Offiziersfortbildung) an der Theresianischen Militärakademie (TherMilAk) hatte die Möglichkeit, an dem Vortrag über „Situational Awareness Capabilities in Ukraine from Idea to Battle-winning Capability“ während der „TIDE Sprint Fall 2022“ (24. bis 28. Oktober 2022) in Virginia Beach, USA, teilzunehmen. Es handelt sich um eine Think-Tank-Veranstaltung des Supreme Allied Command Transformation. Major Artem Martynenko und Major Serhii Halchynski – zwei ukrainische Offiziere, die das dortige Führungsinformationssystem DELTA entwickelt haben – kamen in ihrer Präsentation zum folgenden Schluss: Die Überlebensfähigkeit von herkömmlichen Führungseinrichtungen und IKT-Anlagen ist derart gering, dass ein Abgehen von den bisherigen Verfahren – im Verlauf des Krieges – zwingend notwendig ist. Die Lösung ist, dass die zentrale Bearbeitung der Daten in einer Cloud erfolgen muss und die Bearbeiter (Stäbe, Führungseinrichtungen, Kommandostellen usw.) dezentralisiert und beweglich sein müssen.

Zentralisierte Dezentralisierung

Die „zentralisierte Dezentralisierung“ meint, dass die Arbeit am taktischen Planungs- und Führungsverfahren nicht mehr durch die Experten in der Zentrale eines einzigen Gefechtsstandes erfolgen solle, sondern über eine zentrale Softwareplattform. Die räumliche Aufteilung der Experten (Stabsoffiziere, Militärexperten oder zivile Mitarbeiter) erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einem Anschlag und konzentriert eine allerorts verfügbare Expertise. 

Das Institut für Offiziersweiterbildung der TherMilAk betreibt dazu ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Fachhochschul-Bachelorstudiengang „militärische informations- und kommunikationstechnologische Führung“ (FH-BaStg Mil-IKTFü), der seit dem Wintersemester 2022 angeboten wird. Das Ziel des Projektes besteht in der Entwicklung eines Prototyps für den digitalen Stabsdienst, gemeinsam mit einem digitalen Gefechtsstand. Dies ist in mehreren Phasen beabsichtigt. Zuerst werden, vereinfacht gesagt, Folienstifte, Oleate und Papierkarten gegen digitale Tools getauscht. Im nächsten Schritt werden Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) zur Visualisierung verwendet.

Der wesentliche Mehrwert wird hier deutlich, da durch die VR eine Auseinandersetzung mit dem Gelände auf allen Bewegungsebenen (Supersurface – Surface – Subsurface) möglich ist. Vorhandene Geländedaten und Informationen zum städtischen Umfeld können nun visualisiert werden. Dies war bisher nur durch einen Blick ins reale Gelände möglich. Vor allem wenn es um die Beurteilung der Lage im urbanen Raum geht, ist dieser Mehrwert offensichtlich, da plötzlich die Qualität der Bearbeitung exponentiell ansteigt. Dies wurde im Brigademodul des Führungs- und Stabslehrganges für Berufsoffiziere bei einer konventionellen Lage, die in Linz spielt, erprobt.

Die nächsten Phasen sollen sich den Themen „Data Driven Decision Making“ und der Integration von einfacher Künstlicher Intelligenz zur spezifischen Datenauswertung (z. B. Geländedaten) widmen. Das erklärte Ziel besteht darin, den Menschen von allen Tätigkeiten zu entlasten, die nicht der kreativen Kernkompetenz als militärischer Planer oder Einsatzführer zuzurechnen sind. Der Grund dafür liegt zum einen im Faktor Zeit, da Schnelligkeit in der Entscheidungsfindung einer der maßgeblichen Faktoren für die Initiative im Einsatz ist. Zum anderen kann der Personalbedarf eines Brigadekommandos reduziert und damit indirekt die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöht werden. Durch die smarte Nutzung der technologischen Möglichkeiten wird der Prozess beschleunigt und die Qualität des Ergebnisses gesteigert. Ganz klar festzuhalten ist jedoch, dass die Entscheidung auch weiterhin ausschließlich beim Menschen liegt.

Digitaler Stabsdienst und System DELTA

Der digitale Stabsdienst ist eine Softwareplattform, die in ihrem Kern mit dem System DELTA der ukrainischen Armee vergleichbar ist. Den Nutzern wird damit ein Werkzeug in die Hand gegeben, das sie zeitgleich durch den Prozess leitet. Dieses Ziel wurde durch die Inte­gration von militärischem Basismaterial (z. B. Führungsvorschriften, Handakte oder Merkblätter) verwirklicht. Damit können auch Stäbe von Milizverbänden, die systembedingt weniger oft üben können, optimal unterstützt werden. Gleichzeitig wird dadurch die Aufnahme von zivilem Personal in einen integrierten Einsatzstab erleichtert.

Neben der Technologie ist die Akzeptanz der Nutzer für das Projekt von großer Bedeutung. Daher ist das Referat Führungs- und Kommandantenverhalten des Institutes für Offiziersweiterbildung von Anfang an eingebunden und wertet bei jedem Testlauf die Nutzerexperience aus. Ein erstes Ergebnis lässt bereits jetzt auf hohe Akzeptanz schließen. Durch die daraus resultierenden Erkenntnisse können die Humanfaktoren bestmöglich berücksichtigt werden.

In der konkreten Umsetzung der laufenden Phase werden die neu entwickelten Prozesse mit der vorhandenen Technologie (Virtual Reality und Augmented Reality) bei der Bearbeitung von Planspielen getestet. Der digitale Gefechtsstand wird erstmals in größerem Umfang im Rahmen der Ausbildungsübung „STEINFELD 23“ der TherMilAk zur Erprobung eingesetzt. Der Umstand, dass die Militärakademie als Fachhochschule auch einen Forschungsauftrag hat, bietet den perfekten Nährboden, worauf Innovation wachsen kann.
 

Begriff „#Command 21“

In der Ukraine wird uns gerade deutlich vor Augen geführt, dass unsere Ansätze zur Führung eines konventionellen Gefechtes überdacht werden müssen. Im Institut für Offiziersweiterbildung wurde daher der Begriff „#Command 21“ als Arbeitstitel für die damit verbundenen Überlegungen und Forschungstätigkeiten geprägt. Unter „#Command 21“ wollen wir die zukünftigen Veränderungen im österreichischen Führungsprozess verstehen. Diese Veränderungen werden durch den Krieg in der Ukraine sowie den technologischen Fortschritt befeuert. Sie bieten die Chance, die Effizienz des Führungsprozesses sowohl für den Präsenz- als auch den Milizstand zu erhöhen.

Oberst Reinhard Janko, MA; Hauptlehroffizier für Taktik, Versorgung und Stabsdienst am Institut 2 (Offiziersfortbildung) an der TherMilAk.

 

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