Milizoffiziere als Journalisten
Major Christian Wehrschütz und Leutnant Armin Arbeiter sind Milizsoldaten des Österreichischen Bundesheeres. Hauptberuflich arbeiten sie als Journalisten und Kriegsberichterstatter. In ihrem Berufsalltag profitieren sie von ihrem militärischen Know-how.
Zivilistinnen, die Uniformen für Soldaten nähen. Punks, die Molotowcocktails in einem Zelt auf dem Hauptplatz herstellen. Milizionäre mit gelben Schleifen, die mit abgetragenen Jacken und alten Sturmgewehren an die Front gehen. Das alles erlebt man nur, wenn man sich mitten im Krieg befindet. Als Journalist ist man auf der Suche nach Geschichten, aber die Gefahr in einem Kriegsgebiet ist real. Ein Kriegsgeschehen zu verstehen und unterschiedliche Lagen richtig einzuschätzen, haben Christian Wehrschütz (ORF) und Armin Arbeiter (Kurier) beim Bundesheer gelernt.
Schauplatz Ukraine
Der Ausbruch des Ukraine-Krieges am 24. Februar 2022 kam für viele überraschend. Armin Arbeiter befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Tagen in Charkiw, einer Stadt im Nordosten der Ukraine. Dort erlebte er hautnah mit, wie die ersten Raketen in Wohnsiedlungen einschlugen und wie sich die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung mit einem Schlag veränderte. Der Journalist konnte den aufkeimenden Verteidigungswillen und die Solidarität unmittelbar beobachten. „Es war ein Wahnsinn, wie viel sich in der Stadt mobilisiert hat“, schildert Arbeiter seine Eindrücke aus dem Kriegsgebiet.
Brenzlige Arbeitsbedingungen
Anfangs wurden Armin Arbeiter und sein Fotografenkollege Jürg Christandl noch für Spione gehalten und spürten die Anspannung der dortigen Exekutive am eigenen Leib: Als aus einem Lautsprecher ein Aufruf in russischer Sprache ertönte, fühlten sich die beiden zunächst nicht angesprochen. Nachdem sie aus ihrem Fahrzeug ausgestiegen waren, hatten sie jedoch rasch Gewissheit. Vier Polizisten mit gezogener Waffe brüllten sie auf Russisch an. „Ich habe nichts mehr tun können, als die Hände hochzunehmen, mich auf den Boden zu legen und ihnen zu sagen, dass ich ein österreichischer Journalist bin.“ Die österreichischen Reisepässe der beiden Kollegen konnten die Polizisten glücklicherweise überzeugen. Nach dem gemeinsamen Rauchen einer Zigarette entschärfte die Exekutive die Situation letztendlich mit einer Entschuldigung: „Tut uns leid, dass wir da übernervös waren.“
Glück im Unglück
Während seiner Zeit in der Ukraine konnte der Kriegsberichterstatter Arbeiter zwar vereinzelt Saboteure ausmachen, die die russische Invasion unterstützten, doch der Großteil der Bevölkerung verschrieb sich der Verteidigung ihrer Heimat. Am 4. März 2022 verließen Arbeiter und sein Kollege die Ukraine. Dass sie das noch konnten, war Glück, Zufall oder Schicksal. Am 1. März 2022 fuhren die beiden zunächst in die Stadt Charkiw. Sie planten, davor zu einem Zelt auf dem Hauptplatz zu gehen, wo Lebensmittel, Medikamente und Wasser gesammelt, aber auch Molotowcocktails gebraut wurden. Schlussendlich entschieden sie sich sicherheitshalber nicht hinzugehen.
Eine Stunde später schlug an diesem Ort eine Iskander-Rakete ein. Der Hauptplatz wurde verwüstet, alle Anwesenden getötet. „Das war reines Glück, dass wir nicht dort waren“, stellt der Journalist rückblickend fest. „Es war somit die richtige Entscheidung, zu diesem Zeitpunkt die Stadt zu verlassen.“ Arbeiter und Christandl fuhren mit dem Auto über Rumänien nach Österreich. Anfangs gab es alle 500 Meter Checkpoints, die problemlos funktionierten. Es gab keine Staus und die Rückreise verlief gut.
Alarm- und Dauerbereitschaft
Schon vor Beginn des Ukraine-Krieges entschieden sich Major Christian Wehrschütz und sein Team dafür, in das Krisengebiet zu fahren und dort zunächst in der Stadt Mariupol zu bleiben. Für den ORF-Journalisten war seit dem 17. Februar 2022 klar, dass es zu einem Krieg kommen würde. Der ORF war in den Tagen vor Kriegsbeginn in ständiger Alarmbereitschaft. Das bedeutete für Wehrschütz, dass er rund um die Uhr erreichbar und bereit sein musste.
Schlussendlich kam es tatsächlich zu einer Alarmierung: Am 24. Februar 2022 um 0400 Uhr erfolgte nach dem ersten Beschuss die Kontaktaufnahme mit Wehrschütz. Ab diesem Zeitpunkt wurden die ersten Beiträge direkt aus Mariupol gesendet. Dank seiner militärischen Ausbildung und seiner guten Kontakte zu Offizieren hatte er ein klares Lagebild, wo welche Angriffe erfolgen könnten.
Sprache verbindet
Im Mai 2022 befand sich Christian Wehrschütz in Charkiw, wo die Ukrainer die russischen Streitkräfte zurückdrängen konnten. Der Journalist beschrieb den Krieg als Gemetzel mit Drohnen- und Artillerie-Beschuss. Mit den Kriegen der Jahre 2014 und 2015 sei die Lage nicht vergleichbar. Besonders die Drohneneinsatzführung sei laut Wehrschütz „gewaltig“.
Er beschreibt auch, wie viele Menschen ihre Heimat verließen. In Städten wie Charkiw lebten vor dem Krieg 1,5 Millionen Menschen, im Mai 2022 waren es noch 400 000 bis 500 000. Aber egal, welcher Sprachgruppe sie angehören, alle sagen: „Wir kämpfen ums Überleben“, so Wehrschütz. Obwohl Charkiw eine russischsprachige Stadt ist, gebe es laut ihm kein Verständnis für das, was passiert – den Angriff Russlands.
Der ORF-Journalist wurde, wie sein Kollege vom Kurier, zeitweise ebenfalls für einen russischen Spion gehalten. Dies führte zu einigen unangenehmen Situationen. „Interessanterweise ist die Hysterie in der Westukraine größer, obwohl der Krieg viel weiter weg ist. Das macht das Arbeiten schon schwierig“, stellt er fest.
Neben seiner Muttersprache Deutsch spricht Christian Wehrschütz Englisch, Russisch, Ukrainisch, Bosnisch-Serbisch-Kroatisch, Französisch, Slowenisch, Mazedonisch und Albanisch. Zudem ist er Militärdolmetscher für Russisch und Ukrainisch. Für ihn ist das Beherrschen der Sprache in der Krisenregion wesentlich. Denn, wenn man erst überlegen müsse, was eine zugerufene Anweisung bedeuten könnte, kann es brenzlig werden. Besonders in der Ukraine merke er, dass es ein Vorteil sei, die Landessprache zu beherrschen. „Das öffnet Herzen und Türen. Vor allem, dass ich die Sprache nicht durch verwandtschaftliche Beziehungen kann, sondern, dass ich sie mir selbst angeeignet habe“, so Wehrschütz.
Sicherheit hat Priorität
Beide Kriegsberichterstatter haben eine spezielle Ausrüstung für den Einsatz in Krisengebieten. Major Wehrschütz setzt bei seiner journalistischen Tätigkeit auf Splitterschutzweste und Helm, wenn es nötig ist. „Das soll niemanden beeindrucken, sondern eine Sicherheitsmaßnahme sein“, so Wehrschütz. Ebenso wichtig ist die technische Komponente: Der Journalist verfügt mittlerweile über vier Telefone – ein serbisches, ein ukrainisches, eines für mobiles Internet und ein iPhone. Die Rufnummer von letzterem kennen nur Wehrschütz selbst und der ORF. Diese Maßnahme soll verhindern, dass während der Live-Einstiege über Skype jemand anruft und dadurch die Verbindung plötzlich abbricht. Der Major hat somit alles, das er für seine Arbeit braucht – und weiß nach eigenen Angaben inzwischen gar nicht mehr, wie viele Ladekabel er hat. Wichtig sind für ihn auch Kanister mit Benzin, da Kraftstoff in Kriegsgebieten oft Mangelware ist. Zu guter Letzt ist ein Talisman seiner Enkeltochter „immer am Mann“.
Armin Arbeiter besitzt hingegen eine „Zaubertasche“. In dieser sind Bargeld, Reisepass, Powerbank, Notizblöcke und ein paar Bücher. Im Notfall brauche er nur diese Tasche zu nehmen und sei an jedem Ort der Welt gut gerüstet. Alles Weitere könne er sich vor Ort immer noch beschaffen. Schutzausrüstung, wie Helm oder Schutzweste, nimmt der Journalist allerdings nicht mit in den Einsatzraum: „Das ist nicht praktikabel und im Ernstfall schützen sie auch nicht ganz, davon bin ich überzeugt.“
Vorteile der militärischen Ausbildung
Sowohl Major Wehrschütz als auch Leutnant Arbeiter sind der Meinung, dass ihre militärische Ausbildung im Berufsalltag nützlich ist. Als Beispiel dafür nennt Armin Arbeiter Erlebnisse in der Stadt Charkiw. Zwei Kilometer von seinem Hotel entfernt kam es zu einem Feuergefecht, bei dem die Ukrainer die russischen Soldaten besiegten.
„Als dieses Gefecht vorbei war, sagte ich zu meinem Fotografen: Wir müssen so schnell wie möglich weg, es wird bald Granatwerferbeschuss geben oder Artillerie. Die Russen haben eine gute Aufklärung und es ist logisch, dass nach einem verlorenen Gefecht die Artillerie kommt“, erklärt Arbeiter. Nachdem die beiden losgefahren waren, hörten sie bereits die erste Explosion und spürten die Druckwelle, die ihr Fahrzeug anschob. „Nur, weil ich beim Bundesheer gelernt habe, dass nach normalem Beschuss Artillerie kommen kann, konnte ich richtig handeln.“ Auch an der Front war es das Credo des Leutnants, nie länger als vier Minuten bei den Soldaten zu bleiben, da ein Beschuss jederzeit passieren kann.
Major Wehrschütz erklärt, dass er beim Bundesheer gelernt habe, Lagebeurteilungen (Situation erkennen, beurteilen, Folgen ableiten; Anm.) durchzuführen. Sein Verständnis von Krieg und Waffen habe sich dadurch verbessert. Viele Menschen hätten dank der „Hollywoodisierung“ des Krieges falsche Vorstellungen. Im Film komme es fälschlicherweise infolge eines Handgranatenwurfes oft zu einer riesigen Explosion. „Jeder, der einmal eine Handgranate geworfen hat, weiß aber: Jetzt sind gleich die Splitter da“, relativiert der ORF-Journalist Actionfilmszenen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Für Kriegsberichterstatter ist es oft nicht einfach, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Es gibt viele Gefahren und Risiken, mit denen Eltern, Kinder, Verwandte oder Bekannte indirekt konfrontiert sind. Laut Major Wehrschütz sind die Kinder immer besorgt. Bei seinem Einsatz 2001 in Mazedonien war es für seine Kinder am Schlimmsten, wenn sie gefragt wurden, ob sie keine Angst um ihren Vater hätten. Auch seine Enkeltochter merke, dass irgendetwas nicht stimmt, wenn der Großvater lange nicht da ist.
Ähnlich geht es Leutnant Arbeiter. Sein Vater, Oberleutnant der Miliz, war selbst schon in einigen Einsätzen. Die Situation ist für die Familie somit nichts Neues. Der Journalist stellt aber klar, dass er mit seiner Lebensgefährtin immer offen kommuniziert. Während seiner Tätigkeit in der Ukraine habe seine Partnerin zuhause Höllenqualen gelitten. Sobald man nicht alleinstehend ist, müsse man auf die Partnerin Rücksicht nehmen, da es nicht mehr „egal“ sei, was passiert. „Das soll aber nicht heißen, dass ich keine Einsätze mehr mache, egal ob militärisch oder journalistisch.“
Die Ukraine war nicht der erste Kriegsschauplatz von Armin Arbeiter. Im Jahr 2017 war er dabei, als Marawi auf den Philippinen befreit wurde (siehe dazu auch TRUPPENDIENST-Heft 4/2018, „Die Schlacht um Marawi“). Die Stadt wurde damals von etwa 5 000 islamistischen Extremisten besetzt und ihre Bewohner als Geiseln gehalten. Auch aus Papua-Neuguinea, Hongkong, dem Libanon oder Uganda berichtete der Journalist bereits. Was braucht es also laut Armin Arbeiter, um Kriegsberichterstatter zu werden? „Eine ordentliche Portion Neugier, sehr viel Mut, aber auch sehr viel Vorsicht.“
Laura Oberfeld, BA; Referentin bei der Internen Kommunikation in der Abteilung Zielgruppenkommunikation.