- Veröffentlichungsdatum : 16.12.2022
- – Letztes Update : 19.12.2022
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Milizsoldaten wollen üben
Seit 2015 ist Generalmajor Erwin Hameseder Milizbeauftragter des Österreichischen Bundesheeres. Mit dem TRUPPENDIENST sprach er über Herausforderungen, positive Entwicklungen und seine Vision für die Miliz. Das Interview führten Michael Barthou und Selina Lukas.
TRUPPENDIENST (TD): Herr Generalmajor, wie geht es der Miliz aktuell?
Erwin Hameseder: Wie immer fange ich mit dem Positiven an, denn gerade in den vergangenen zwei Jahren und insbesondere im Jahr 2022 gab es wesentliche Veränderungen. Nicht nur für das gesamte Österreichische Bundesheer, sondern auch speziell für die Miliz. Das hängt mit den Rahmenbedingungen zusammen, die die Frau Bundesministerin klar vorgegeben hat, nämlich: Stärkung der Miliz. Es ist ein Faktum, dass von insgesamt 55 000 Soldaten des Österreichischen Bundesheeres 36 000 Milizangehörige sind. Der Wermutstropfen dabei ist, dass von diesen 36 000 Soldaten nur 20 000 übungspflichtig sind. Durch die Teilmobilmachung während der Corona-Pandemie gab es jede Menge „Lessons Learned“, die im Projekt A02 zusammengefasst wurden. Viele Themen aus diesem Projekt konnten in bereits mehr als 80 Einzelmaßnahmen weitestgehend abgearbeitet werden. Insgesamt hat sich die Gesamtsituation bei der Miliz dadurch bereits wesentlich verbessert.
TD: Der Nachwuchs an Milizkader ist dennoch relativ spärlich: Heuer musterten nur 31 Milizoffiziere und 70 Unteroffiziere aus. Wie kann man unter diesen Umständen die Milizlaufbahn konkret attraktiver machen?
Hameseder: Das Prinzip der Freiwilligkeit bereitet mir nach wie vor Sorgen. Als Offizier und Milizbeauftragter habe ich damit nicht wirklich große Freude, das bringe ich auch offen zum Ausdruck. Ich stehe dafür, dass wir wieder in ein Modell der verpflichtenden Waffenübungen zurückkehren müssten, das „6 plus 2“ sein könnte. Unsere Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zeigen, dass wir mit diesen Rahmenbedingungen die Nähr- und Ersatzraten für die Miliz verlässlich stellen können. Dieses Thema ist aber bekanntlich hoch politisch, und bisher gibt es da keine Bewegung. Das ist vorerst zur Kenntnis zu nehmen. Die Frau Bundesministerin hat dennoch einen klaren Auftrag gegeben, bei den Rahmenbedingungen für die Miliz massive positive Veränderungen einzuleiten. Das ist gelungen, mittlerweile gibt es wirklich attraktive finanzielle Anreize.
Auf der anderen Seite geht es darum, die Rahmenbedingungen in der Ausbildung, also der Kaderausbildung für Milizoffiziere und -unteroffiziere, so zu gestalten, dass sie mit einer zivilen beruflichen Verwendung besser vereinbar werden. Da tut sich einiges. Bei der neu eingeführten modularen Milizunteroffiziersausbildung sehen wir schon erste Erfolge bei Quereinsteigern. Da gibt es einen ausgezeichneten Werbungserfolg und die ersten Kursabschlüsse. Wie ich vom Kommandanten der Heeresunteroffiziersakademie, Oberst des Generalstabes Klingenschmid, weiß, stimmt die Qualität. Das ist mir besonders wichtig. Bei der Offiziersausbildung besteht ein enger Kontakt mit der Militärakademie. Es gibt laufend Gespräche mit dem Kommandanten der Militärakademie, Generalmajor Pronhagl, und wir versuchen, die Ausbildungsmodule so zu gestalten, dass man diese trotz Berufstätigkeit absolvieren kann.
Was zusätzlich wichtig ist, ist die Identifikation. Ich habe mich sehr gefreut, als ich Anfang Oktober, am Tag der Leutnante, mit unserem Generalstabschef, General Striedinger, den Offizierssäbel an die Milizoffiziere übergeben durfte. Das sind wichtige Zeichen der Wertschätzung und des Respektes gegenüber der Miliz. An der Heeresunteroffiziersakademie ist seit einigen Jahren ebenfalls ein positiver „Kulturwandel“ im Umgang mit dem Milizkader im Gange. Das halte ich für mindestens so wichtig, wie die finanziellen Anreize. Ich bin überzeugt, dass wir da einiges zum Positiven weiter verändern müssen.
Das Projekt „Miliz wirbt Miliz“ funktioniert sehr gut. Im Gesamten sind dadurch schon etwa 1 000 Personen erfolgreich angeworben worden. „Miliz wirbt Miliz“ ist ein wegweisendes Projekt, das jetzt auch direkt in den präsenten Verbänden angekommen ist. So kommen wir verstärkt von einem Nebeneinander zu einem Miteinander. Wenn wir all diese einzelnen Mosaiksteine zusammenfügen, dann merkt man schon, dass ein Ruck durch das Bundesheer geht. Ob das ausreichen wird, um genügend Milizoffiziere und Milizunteroffiziere auszubilden, wird man genau beobachten müssen.
TD: Das Verteidigungsbudget wird um etwa 660 Millionen Euro anwachsen. Wo sehen Sie da den Anteil für die Miliz? Die Beschaffungspläne sehen hochtechnische Systeme (Flugabwehrsysteme, Aufrüstung der Panzer) vor. Wo ist der Mehrwert für die Miliz, die nicht für ein regelmäßiges verpflichtendes Üben vorgesehen ist?
Hameseder: Erstens bin ich stolz, dass das 200-Millionen-Euro-Investitionspaket aus dem Jahr 2020, das ausschließlich der Miliz zugeordnet wurde, voll in Umsetzung ist. Die Beschaffungen laufen, da geht es z. B. um Mobilität, die ein großes Problem für die Miliz-Jägerbataillone war. Jetzt haben wir eine Kompanie pro Bataillon, die zumindest ungeschützt mobil ist. Diese Mannschaftstransportfahrzeuge sind den Bataillonen bereits zugelaufen. Außerdem werden die Sturmgewehre modifiziert, Scharfschützensysteme laufen zu und die Nachtsicht- sowie Kommunikationsfähigkeit werden ebenfalls deutlich verbessert. Bis 2024 wird dieses Beschaffungspaket Miliz abgeschlossen sein. Das wird von den Milizkommandanten anerkennend wahrgenommen, weil das wirkliche Verbesserungen sind. Genauso wie der neue Kampfanzug, der zeitgleich mit den präsenten Verbänden zu den verschiedenen Einheiten ausgeliefert wird.
Zweitens eröffnet der neu beschlossene Budgetpfad die Möglichkeit von dringend notwendigen Nachholinvestitionen zur Stärkung des Österreichischen Bundesheeres im Kernbereich der militärischen Landesverteidigung. Damit wird es sukzessive möglich, dass alle Soldaten gleich ausgerüstet werden. Wir können es uns nicht leisten, dass es zwischen präsenten Kräften und der Miliz einen Ausrüstungsunterschied gibt. Selbstschutz ist das erste Gebot, weil es sonst unverantwortlich ist, Menschen in den Einsatz zu schicken. Es betrifft nicht nur die Mannesausrüstung, idealerweise werden alle Bereiche zur deutlichen Verbesserung von Schutz und Wirkung sowie Mobilität berücksichtigt. Ansonsten wird man in einem Einsatz das Problem der Kompatibilität haben, wenn es um die Ablöse von Soldaten geht. Damit gehen der Respekt und die Anerkennung für unsere Miliz einher, weil man weiß, dass alle Soldaten und damit alle Verbände des Bundesheeres gleich behandelt werden. Das ist ein unglaublicher Erfolg. Diese grundsätzliche Einstellung zur Gleichbehandlung ist eine Änderung der Unternehmenskultur des Bundesheeres, und das ist mir ganz besonders wichtig. Im Einsatz ist die Verantwortung gleich, da gibt es keinen Unterschied. Die österreichische Armee ist ein Einsatzheer. Nur so gibt es die legistische und verfassungsrechtliche Basis und Akzeptanz. Daher muss es diesen Grundsatz der Gleichbehandlung ganz klar geben.
TD: In Ihrer Funktion als unmittelbarer Berater der Frau Bundesministerin: Welche Punkte haben Sie ihr gegenüber konkret angesprochen bzw. wozu haben Sie ihr geraten?
Hameseder: Meine bisherigen Empfehlungen sind mittlerweile weitgehend abgearbeitet. Darüber bin ich sehr froh, und es zeigt, dass die Funktion als Milizbeauftragter einiges bewirken kann und in Bewegung bringt. Strukturell bleibt die Grundsatzbotschaft, dass es keinen Unterschied mehr in der Bewaffnung und in der Ausrüstung der Verbände unserer Soldaten geben soll. Wenn wir das weiterdenken, dann ist klar, dass wir auf der Ausbildungsebene flexibel sein müssen. Da wurde schon vieles gemacht. Man darf nicht vergessen: Unsere Milizkameraden haben einen Hauptberuf. Es geht daher um die Herstellung einer besseren Vereinbarkeit mit einer Milizfunktion.
Ganz wesentlich wäre es, den Unternehmern den Mehrwert, den Milizsoldaten in ihrer zivilen Funktion in ein Unternehmen einbringen, noch deutlicher zu machen. Wenn die Akzeptanz seitens der Arbeitgeber höher ist, würde das auch der Freiwilligenmeldung der Milizsoldaten sehr entgegenkommen. Auf dieser Ebene befinden sich meine Anliegen. Aber das kann ich nicht allein umsetzen, dafür ist die politische Unterstützung nötig. Ich glaube, auf der militärischen Ebene sind wir gut unterwegs. Aber Richtung Wirtschaft bzw. Arbeitgeber müssen wir noch mehr tun. Es gibt zwar das Miliz-Gütesiegel und den Miliz-Award, aber das sind wichtige Mosaiksteine, die wir weiterentwickeln müssen. Wir schauen uns da vieles von der Schweizer Armee ab. Ein Beispiel dafür ist der geplante Bildungsscheck-Miliz, der nächstes Jahr in die Realität umgesetzt wird. Da geht es darum, dass die militärische Ausbildung in das Zivile übersetzt wird. Milizsoldaten können dann ihrem Arbeitgeber sagen, dass sie z. B. einen Zugs- oder einen Einheitskommandantenkurs absolviert haben und dafür wird es eine Bepreisung geben. Dieses Geld kann der zivile Arbeitgeber für eine Weiterbildung im eigenen Bereich verwenden. Die Schweizer praktizieren das mit großem Erfolg.
TD: Wie wird das bei Ihnen im Unternehmen gehandhabt? Fördern Sie Miliztätigkeiten Ihrer Mitarbeiter bzw. suchen Sie Leute von außen vom Militär für Ihr Unternehmen?
Hameseder: Wenn man auf die Homepage der Raiffeisen Holding NÖ-Wien und Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien schaut, sieht man, dass bei uns jeder mit Milizfunktion gefördert wird. Das geht bis hin zur Gehaltsfortzahlung bei Milizübungen bzw. zu Aus- und Weiterbildungen. Was in der Miliz beim Bundesheer gelehrt wird, das hat auch für uns einen besonderen Mehrwert. Ich kann mich nicht hinstellen und versuchen, andere Unter-nehmer zu begeistern, und selbst machen wir das nicht. Es muss in der Wirtschaft wahrgenommen werden, dass man sich die Führungsausbildung, die Erfahrungen usw. im zivilen Leben in dieser Form nirgendwo aneignen kann. Man lernt das Führen in Krisen sowie in Situationen, die man so nicht vorbereiten kann, inklusive der Berücksichtigung von interkulturellen Aspekten. Das sind alles Fähigkeiten, die jemand aus der Miliz mitbringt, und das sollte auch richtig bewertet werden. In diesem Sinn bin ich überzeugt, dass die Wirtschaft das Bundesheer unterstützen soll und muss. Das ist ein wesentlicher Beitrag zur Resilienz der Republik
Österreich.
TD: Wohin soll sich Ihrer Meinung nach die Miliz in den nächsten zehn Jahren entwickeln? Was würden Sie sich für die Miliz wünschen?
Hameseder: Ich wünsche mir die volle Übungsfähigkeit. Was die Milizsoldaten wollen, ist üben! Dafür müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wie schon zu Beginn erwähnt, sind etwa 16 000 Soldaten nicht übungspflichtig. Darüber muss man sprechen. Im Zuge der Teilmobilmachung haben wir gesehen, dass vielen Milizsoldaten gar nicht bewusst ist, dass sie überhaupt noch einberufen werden können. Diese haben auch nie geübt. Das heißt, die Einsatzvorbereitung muss deutlich länger sein. Es wäre ein wesentlicher struktureller Schritt zu entscheiden: wer in der Miliz ist, der ist übungspflichtig und muss üben. Das kostet Geld. Dieses Argument fällt nun mit den neuen budgetären Rahmenbedingungen weg.
Es wird außerdem ein Pilotprojekt: „Miliz in höherer Bereitschaft“ geben. Dabei wird es sich um eine Miliz handeln, die zumindest in Teilen deutlich öfter üben wird. Wenn wir sagen, dass sich die Miliz auf einer Ebene mit den präsenten Kräften befindet, heißt das auch, dass man dafür etwas tun muss. Damit meine ich, mehr und verzahnter mit präsenten Einheiten zu üben. Ein gutes Beispiel dafür war für mich die Übung „HANDWERK 22“ der 4. Panzergrenadierbrigade. Brigadekommandant, Brigadier Mag. Siegwart Schier, hat sich danach lobend über die Miliz geäußert, die gemeinsam mit den präsenten Kräften wirklich gefordert wurde.
TD: Was steht noch auf Ihrer To-Do-Liste?
Hameseder: Ein Thema, das mir ein großes Anliegen ist, ist das Legistikpaket. Für dieses Paket setze ich mich jetzt schon einige Zeit intensiv ein. Es ist nicht einzusehen, dass Menschen, die mehr für die Republik Österreich tun als andere, einen Nachteil beim Familienzeitbonus, Kinderbetreuungsgeld, beim Frühstarterbonus, Pensionsbonus bei geringer Pension usw. haben. Hier gibt es gravierende sozialrechtliche Nachteile für Milizsoldaten. In der Regel sind davon junge Familienväter, Chargen, Unteroffiziere und Offiziere betroffen, die eine Mehrausbildung beim Bundesheer absolvieren und denen dann Tage fehlen, die ihnen z. B. bei den Sozialversicherungszeiten nicht angerechnet werden. Das wird quasi bestraft. Das ist ein No-Go. Politisch ist das zwar mittlerweile parteienübergreifend anerkannt, aber das Gesetz bzw. die notwendigen Änderungen fehlen noch. Ich habe jedoch die Zusage, dass das 2022 noch verwirklicht wird.
Das 200-Millionen-Euro-Paket war auch ein Bohren harter Bretter, ist aber letztendlich umgesetzt worden. Im Falle des Legistikpaketes ist das Brett vielleicht noch dicker, weil mehrere Ministerien davon betroffen sind. Aber für unsere Milizsoldaten müssen wir das rasch und eindeutig geregelt bekommen - hoffentlich noch in diesem Jahr.
Oberst dhmfD Mag.(FH) Michael Barthou, MA MBA, Stv Chefredakteur/Chef vom Dienst des TRUPPENDIENST
Selina Lukas, MA, Redakteurin beim TRUPPENDIENST