• Veröffentlichungsdatum : 15.02.2023

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Munitionsbeschaffung für die Raumverteidigung

Christian Enz

Die Truppen des Bundesheeres wurden während des Kalten Krieges in Schlüssel- und Raumsicherungszonen eingesetzt: Das Landwehrstammregiment 11 (LWSR 11) 
war für den Einsatz in der Brucker Pforte vorgesehen. Dieser Raum zwischen dem Leithagebirge und der Donau wurde als Hauptstoßrichtung der Truppen des Warschauer Paktes vermutet und galt im Rahmen der militärischen Beurteilung als eine potenzielle Drehscheibe.
 

Der Einsatz gegen den zu erwartenden Ein- bzw. Durchmarsch von Truppen des Warschauer Paktes mit Hauptstoßrichtung Wien und weiter Richtung Deutschland war im LWSR 11 die Richtschnur des Denkens und Handelns im täglichen Dienstbetrieb, in der Ausbildung und in den Einsatzvorbereitungen. Szenarien, wie sie heute in den militärstrategischen Konzepten zu finden sind, waren damals zum größten Teil nicht vorhanden bzw. noch unbekannt (wie Cyberwar oder hybride Kräfte).

Brucker Pforte 

Die Brucker Pforte hat eine lange Geschichte. Bekannt sind die Kuruzzenschanzen, die bis auf die Zeit der Türkenkriege und Kuruzzenaufstände (Anfang des 18. Jahrhunderts; Anm.) zurückgehen. Entlang der Linien des Kuruzzenwalles – zwischen Petronell und Bruckneudorf – wurden nach dem Ungarnaufstand 1956 Bunkeranlagen errichtet, die ab 1964 als der „Schleinzer-Wall“ (benannt nach dem ehemaligen Bundesminister für Landesverteidigung Dr. Karl Schleinzer) in die Geschichte eingingen. Es war kein Wall im wörtlichen Sinne, sondern ein System von Sperren und Geländeverstärkungen (z. B. Panzergräben), deren Rückgrat die Festen Anlagen darstellten. Zwischen Neusiedl am See und Petronell ist die Kuruzzenschanze noch heute in Resten sichtbar und ist vor allem auf Luft- bzw. Satellitenaufnahmen erkennbar.  Die Region war der Haupteinsatzraum der Verbände, die in den 1980er-Jahren dem LWSR 11 in Friedenszeiten und dem Landwehrregiment 11 (LWR 11) im Fall der Mobilmachung zugeordnet waren.

Sämtliche Straßen und Eisenbahnlinien der Brucker Pforte (z. B. die Ostbahn) waren mit Sprengschächten, Stecksperren oder Panzerigelsperren zur Aktivierung vorbereitet. Auch die Ostautobahn (A4) bekam nach dem Bau im Bereich des heutigen Autobahnknotens Bruck Panzerigel zum Sperren zugeteilt. In der Brucker Pforte errichtete das Bundesheer noch bis zum Ende der 1980er-Jahre Feste Anlagen.

Munitionsausstattung

Das Landwehrstammregiment 11 war etwa 13 Kilometer von der ungarischen Grenze und dem Eisernen Vorhang entfernt eingesetzt. In der Neusiedler Berger-Kaserne wurden in dieser Zeit primär Soldaten für die Raumverteidigung (Sperrjäger und Pioniere) ausgebildet, die danach für eine Mob-Verwendung bei einer Mobilmachung beordert wurden. Diese Regimenter benötigten für die Ausbildung im Frieden und auch für den Einsatz ausreichend Munition. Diese gliederte sich in die Munitionserstausstattung (MunEA), in die damals noch existierende Munitionssperrausstattung (MunSpA) und in die MunEA für Feste Anlagen (MunEA/FAn). 
Die Festen Anlagen waren anfänglich stets mit Munition bestückt, doch nach Einbruchsversuchen wurde davon Abstand genommen. Die Munition wurde fortan aus Sicherheitsgründen in den Munitionslagern gebunkert. 

Zur Zeit der Raumverteidigungsdoktrin galt die bedingungslose Regel, dass für alle Waffen des Bundesheeres die entsprechende Munition für den Einsatz zu bevorraten ist – egal ob diese Waffe dem Aktiv-, dem Miliz- oder dem Reservepersonal zugeordnet war. Nur so konnte im Mobilmachungsfall die Einsatzbereitschaft sichergestellt werden. 

Waffen und Munition 

Die Waffen und die Munition der ehemaligen Sperrverbände in der Brucker Pforte umfassten: 

  • die Pistole 80 (P 80);
  • die Maschinenpistole 41 (MP 41);
  • die Sturmgewehre 58 und 77 (StG 58 und StG 77);
  • die Maschinengewehre MG 42, MG 74, MG A4;
  • das überschwere Maschinengewehr;
  • die Granatwerfer mit den Kalibern 81 mm, 107 mm und 120 mm;
  • Geschütze wie die 85-mm-Panzerabwerkanone 52 (PAK);
  • die 106-mm-rückstoßfreie Panzerabwehrkanone (rPAK); 
  • den Panzerturm des M-47 „Patton“ mit der 90-mm-Panzerkanone (PzK) M36;
  • die umgerohrten Panzertürme der „Charioteer“ auf Kaliber 105 mm mit der PzK L7A1;
  • den Panzerturm „Centurion“ mit der 105-mm PzK L7A1;
  • Artilleriegeschütze wie die 105-mm-leichte Feldhaubitze 18/40. 

Den größten Anteil hatte die Munitionssperrausstattung mit den Spreng- und Zündmitteln, den Panzerminen für die Vorbereitung der Minenfelder sowie den Steck- und Sprengsperren für Straßen und Eisenbahnen. Beispielsweise wurden über 23.000 Stück Panzerminen (PzMi 75) auf Stapeln gelagert, damit diese im Anlassfall durch zwei Pionierkompanien händisch verlegt werden konnten. 

Munitionsoffizier

Das Munitionswesen erforderte die Ausbildung von Munitionsoffizieren an der Militärakademie in Wiener Neustadt. In den höheren Kommanden (wie den Korpskommanden) war im Versorgungsbereich ein Referat Munition mit einem Munitionsoffizier vorhanden. Nicht zuletzt gab es im Bundesheer einen eigenen Munitionsinspektor für diesen Fachbereich, der alle Verbände und Munitionslager auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen für die Lagerung und die Einsatzvorbereitung überprüfte. 

In der Entwicklung von Munition gab es gemeinsame Projekte des Bundesheeres mit der in Österreich zu dieser Zeit noch vorhandenen Rüstungsindustrie, um die Munitionsarten auf die Bedürfnisse des Bundesheeres abzustimmen. So wurden Artilleriegranaten, elektronische Panzerminen und Sprengmittel gemeinsam entwickelt und schließlich auch beschafft.

Munitionslager

Die Absicht der militärischen Führung, „garnisonsnahe“ Munitionslager zu haben, wurde noch bis in die 1990er-Jahre strikt verfolgt. So wurde die zugeordnete Munition in das nächstgelegene Munitionslager gebracht und für den Einsatz bis auf den letzten Schuss eingeplant. Die meisten Garnisonen waren weniger als 50 Kilometer vom nächsten Munitionslager entfernt. Die zentralen Munitionslager im Bundesgebiet (z. B. Hieflau) für die Aufnahme großer Bestände – sowohl in oberirdischen als auch unterirdischen Lagern – waren in den 1980er-Jahren errichtet worden. Garnisonsnahe Lager wurden noch bis 1991 errichtet bzw. ausgebaut (Munitionslager Bruckneudorf, 1988, und Zwölfaxing, 1991). Die Planungen für weitere zentrale Lager wie Niederösterreich Süd waren schon weit fortgeschritten. Mit Ausnahme von Vorarlberg gab es in jedem Bundesland militärische Munitionslager.

Aufgrund der Vielzahl an Waffensystemen im Bundesheer und der unterschiedlichen Kaliber und Munitionsarten war eine munitionsspezifische Ausbildung notwendig. Daher wurde damals an der Heeresversorgungsschule ein eigenes Schulungszentrum für Munition auf dem Gelände der Heeresmunitionsanstalt Großmittel errichtet. In der Ausbildung zum „Fachkundigen Munitionspersonal“ wurden die Teilnehmer über alle Munitionsarten des Bundesheeres unterrichtet. Mit der Verwendung von Kampfmittelbeseitigern in den Auslandseinsätzen begann auch die Ausbildung an Munition fremder Armeen. 

Ende der Landwehrstammregimenter 

Nach der Auflösung des Warschauer Paktes 1991 richtete sich das Bundesheer neu aus. Die Landwehrstammregimenter wurden aufgelöst und 1994 als Jägerregimenter neu aufgestellt. Das LWSR 11 wurde in das JgR 11 transformiert. Es war nun nicht mehr für einen ortsfesten Bereich der Raumverteidigung zuständig. Die Ausbildung musste sich komplett ändern – von einer stationären Verteidigung zu einer beweglichen Kampfführung. Die Großübungen fanden nicht mehr im bisherigen Einsatzbereich, sondern in größeren Verbandsübungen in anderen Bundesländern statt. Die Munition der Sperrtruppe wurde abgeliefert. Neue und andere Waffen, wie die 20-mm-Fliegerabwehrkanone (FlAK) und die Panzerabwehrlenkwaffe 2000 (PAL 2000) „BILL“ (Bofors Infantry Light and Lethal), wurden eingeführt. 

Auflösung der Munitionslager

Die Munitionslager Pinkafeld, Totenhauer (Mistelbach), Langenlebarn, Hölles, Gollarn, Zwölfaxing, Hörsching, Ebelsberg, Perneck, Gois, Lofer, Kalsdorf, Kaltwasser, Gradnitz und Muraunberg wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten geräumt und geschlossen. Ein Verkauf derselben konnte nur zum Teil erfolgen. Teilweise erfolgt auch eine militärische Nachnutzung.  

Heute stellen nur mehr die Munitionslager Bruckneudorf, Großmittel, Edelbach, Stadl-Paura, Buchberg, Innsbruck, Zeltweg und Hieflau (mit ihren ober- und unterirdischen Lagerräumlichkeiten; Anm.) die Munitionsversorgung des Bundesheeres sicher. Zum Teil werden sie entgegen ihrem vorgesehenen Zweck für die Lagerung von Waffen, Großgerät und medizinischen Produkten verwendet. Das Munitionslager Hölles wird – nach einer mehrjährigen Abtretung an das Bundesministerium für Inneres (BMI) – vom Entminungsdienst (EMD) betrieben. Das Munitionslager Perneck fand noch eine Zeit lang Nutzung als Attrappenlager. In Kärnten und der südlichen Steiermark existiert kein Munitionslager mehr, obwohl dort derzeit zwei Jägerbataillone, ein Stabsbataillon, ein Pionierbataillon, ein Aufklärungs- und Artilleriebataillon, ein Versorgungsregiment und ein Führungsunterstützungsbataillon sowie die unmittelbaren Teile von zwei Militärkommanden disloziert sind. 

Munitionsvernichtung spart Lagerraum

Nach 2010 wurden weitere Munitionsarten entsorgt, die heute noch zu gebrauchen wären. Die Trichterladung 70 (über 18.000 Stk.) wurde teilweise entsorgt, ebenso große Teile der Richtsplitterladung leicht (über 37.000 Stk.) und vor allem die mechanischen Panzerminen 75 (PzMi75, über 135.000 Stk.). Die mechanische Panzermine 75, die Trichterladung und die Richtsplitterladung hätten aus technischer Sicht keine Einschränkungen in ihrer Lebensdauer gehabt und könnten noch verwendet werden. Aus der damaligen Beurteilung und Situation in Europa wurde aber beschlossen, dass das Bundesheer nur eine kleine Anzahl an Panzerminen benötigt. Anstatt diese für die Sprengausbildung und als Sprengladungen zumindest teilweise weiterzuverwenden, wurden, mit der Absicht „Lagerraum frei zu machen“, auch diese Bestände der Vernichtung zugeführt.

Da zahlreiche Waffensysteme des Bundesheeres ausgeschieden wurden, mussten weitere Munitionsbestände im Bundesheer vernichtet werden. Darunter fielen 

  • das System 85-mm-Panzerkanone 52 (PAK 52), 
  • die 40-mm-FlAK, 
  • die 105-mm-leichte Feldhaubitze M2 (lFH M2), 
  • der 128-mm-Rakenwerfer (RakW) und 
  • das 74-mm-Panzerabwehrrohr 70 (PAR 70). 

Die Bestände der 20-mm-FlAK und 20-mm-Maschinenkanone 66 (MK66) wurden ordnungsgemäß in Fachbetrieben entsorgt oder verkauft. Die Bestände der Munition für die 105-mm-Panzerkanone M-68 (PzK M-68) und Panzerkanone L7A1 (PzK L7A1) wurden zusammen mit dem Kampfpanzer M-60A3 (KPz M-60A3) an Ägypten verkauft. Die elektronische Panzermine 88 (PzMi 88) hat nach anfänglicher Reduktion der Bestände mittlerweile ihr Lebensdauerende erreicht und wird bis zum Null-Bestand weiter delaboriert.

Bei der Schließung von Munitionslagern ist der gesetzlich festgelegte Gefährdungsbereich aufzulassen. Das bedeutet, dass die geschlossenen Lager auch in Zukunft nicht mehr als Munitionslager verwendet und reaktiviert werden können. Eine Wiedererrichtung eines Gefährdungsbereiches ist heute mit vielen Auflagen verbunden.

Keine Munition für eine Mobilmachung

Zur Zeit der Raumverteidigung wurde für jede physisch vorhandene Waffe im Bundesheer die entsprechende Menge an Munition gebunkert. Die derzeitige Regelung legt fest, dass nur mehr beschränkt Munition für In- und Auslandsaufgaben mit einer vordefinierten Anzahl an Waffen und Systemen (etwa einer gemischt-verstärkten Brigade) und der erforderlichen Ausbildungsmunition für etwa zwei Jahre sowie einer Reserve (20 Prozent) zu bevorraten sind. Dies verminderte das Lagervolumen erheblich. Mit diesen Mengen sind Einsätze im vordefinierten Ausmaß möglich, eine Mobilmachung aller Kräfte führt jedoch zum Munitionsmangel. 

Dafür wurde die Lagerhaltung digitalisiert und die Applikation LOGIS/MatV/Mun löste die Karteikarten ab. Das elektronische Munitionsverwaltungssystem bietet genaue Daten der Bestände – mit Losnummern, Sperren, Verwendungszweck und Lagerort – aller Truppenkörper des Bundesheeres. Damit kann die Munition schneller und zielgerichteter verschoben werden. Dennoch ist nicht ausreichend Erstausstattungsmunition für alle Waffen des Bundheeres vorhanden. Im Jahr 2022 zeigt sich: Munition kann nicht bei Bedarf à la minute gekauft und geliefert werden. 

Die Munition ist von allen militärischen Mengenversorgungsgütern das wichtigste Versorgungsgut, um in Konflikten den Auftrag erfüllen zu können. Ohne gebunkerte Munition in ausreichender Menge wird die militärische Landesverteidigung eine Herausforderung.

Vizeleutnant Christian Enz; Sachbearbeiter Munitionsbeschaffung in der Abteilung Waffensystme und Munition.

 

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