NATO Defense Planning Process
Die Planung und Bereitstellung von erforderlichen militärischen Fähigkeiten stellt bereits auf nationaler Ebene eine große Herausforderung dar. Die Fähigkeiten müssen nicht nur dem gegenwärtigen Sicherheitsumfeld entsprechen, sie sollten auch zukünftige Entwicklungen im In- und Ausland vorwegnehmen. Für die NATO, als eine Allianz mit 28 Mitgliedsstaaten, bietet der Defence Planning Process auch gleichzeitig die Chance, Kapazitäten gemeinsam aufzubauen und zu harmonisieren.
Die Hintergründe
Die Vorausplanung ist in jeder nationalen und internationalen Organisation von elementarer Notwendigkeit. Da Planung immer eine Abwägung potenzieller Szenarien in der Zukunft ist, hängt viel von der jeweiligen Sichtweise der Beteiligten ab. Je mehr Akteure an diesem Planungsprozess teilnehmen, desto schwieriger wird es, sich auf konkrete Schritte und Notwendigkeiten zu einigen.
Die NATO mit 28 souveränen Mitgliedstaaten, zahlreichen eigenen Direktoraten, Kommanden und Agenturen ist dabei keine Ausnahme. Da die Einsatzfähigkeit der NATO von den Verteidigungskapazitäten der Alliierten abhängt, ist es notwendig, diesen Prozess durchsetzungsfähig und gerecht zu gestalten. Mitgliedstaaten müssen einerseits ein Mitspracherecht haben und sollten nicht übermäßig belastet werden. Andererseits ist es notwendig, dass einzelne Mitgliedstaaten für die Allianz wichtige Kapazitäten nicht blockieren können. In der NATO wurde deshalb der NATO Defence Planning Process (NDPP) eingeführt und kontinuierlich überarbeitet, zuletzt im Oktober 2016.
Die Ziele
Der NDPP ist ein einheitlicher Prozess zur Identifizierung, Entwicklung und zum Verfügbarmachen gegenwärtiger und zukünftig notwendiger Fähigkeiten. Im NDPP sollen die Anforderungen an die NATO und ihre Mitgliedstaaten harmonisiert werden, um die Einsatz und Reaktionsfähigkeit effektiv, sicher und schnell zu gestalten. Er ermöglicht den Mitgliedstaaten die individuell-nationale, multinationale und kollektive (durch NATO-Mittel finanzierte) Fähigkeitenentwicklung. Darüber hinaus soll die Kooperation mit Partnern und der Europäischen Union kohärenter gestaltet werden.
Da nicht alle militärischen Bereiche die gleichen Erfordernisse haben und unterschiedliche Kenntnisse notwendig sind, hat die NATO Bereiche (Planning Domains) definiert, um in diesen adäquates Capability Development zu betreiben.
Diese Bereiche sind:
- Force Planning
- Resource Planning
- Armaments Planning
- Logis cs Planning
- Consultation, Command & Control (C3)
- Civil Emergency Planning
- Air and Missile Defence Planning
- Air Traffic Management
- Standardization
- Intelligence
- Military Medical Support
- Science and Technology
- Cyber
Der Prozess
Um von Beginn an die Perspektive der Mitglieder zu berücksichtigen, hält die NATO zuerst Beratungen mit den Mitgliedstaaten ab, um den strategischen Rahmen und die langfristigen Ziele abzugleichen. Sobald diese Vorbereitung abgeschlossen ist, wird mit dem eigentlichen NDPP begonnen. Dieser teilt sich in fünf Schritte und wiederholt sich in einem Vierjahres-Rhythmus:
- Establish Political Guidance
- Determine Requirements
- Apportion Requirements and Set Targets
- Facilitate Implementation kontinuierlich
- Review Results alle zwei Jahre
Jeder dieser Schritte wird von NATO Dienststellen transparent vorbereitet und geleitet sowie in Kooperation und Rücksprache mit den Mitgliedstaaten durchgeführt, um die Akzeptanz und das Verständnis bei den Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
Establish Political Guidance
In der Political Guidance werden die Hauptziele der NATO-Verteidigungsplanung festgelegt. Sie ermöglicht mittelfristig die Planung auf nationaler und NATO-Ebene in allen Planning Domains. Das Resultat entspricht dem NATO Level of Ambition (Gesamtumfang der benötigten Kräfte und Fähigkeiten) für die kommenden Jahre.
Determine Requirements
In diesem Schritt werden die Minimum Capability Requirements festgelegt, die den Kern des NDPP darstellen. Sie umfassen jene Fähigkeiten, die die Allianz benötigt, um ihr Level of Ambition sowie andere bereits vereinbarte Ziele zu erfüllen. Auch hierbei wird großer Wert auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die Mitglieder gelegt.
Apportionment of Requirements and Setting of Targets
Hierbei kommt es zur Aufteilung der festgelegten Minimum Capability Requirements auf die Mitgliedstaaten. Dafür werden individuelle Target Packages für jeden Staat erstellt. Darüber hinaus können Fähigkeiten auch auf multinationaler und kollektiver Ebene implementiert werden (s. o.). Bei dieser Aufteilung werden zwei Prinzipien berücksichtigt: Fair Burden Sharing und Reasonable Challenge. Fair Burden Sharing bezeichnet die Berücksichtigung mehrerer Kriterien, um kein Mitglied übermäßig zu belasten. Dazu zählen Kriterien wie die wirtschaftliche Leistung, Einwohnerzahl, Truppenstärke und bereits bestehende Fähigkeiten. Durch die Reasonable Challenge wird jeder Alliierte mit den für ihn gesetzten Zielen in einem vertretbaren Rahmen herausgefordert.
Der Inhalt dieses Paketes wird zwischen NATO und den jeweiligen Staaten verhandelt und im Bedarfsfall überarbeitet. Bei multilateralen Verhandlungen unter den Mitgliedern werden die Target Packages beschlossen. Hat ein Mitgliedstaat einen Einwand bezüglich seines Paketes, wird dieser Einwand von den Alliierten untersucht und besprochen. Findet sich mindestens ein zweites Mitglied, das den Einwand unterstützt, wird dieser Punkt des Paketes gestrichen.
Findet sich kein weiterer Unterstützer zum beanstandenden Alliierten, muss dieser die Forderungen akzeptieren. Dieses Prinzip ist für NATO-Abstimmungen unüblich, die grundsätzlich im Konsens erfolgen, und wird deshalb Consensus Minus One genannt. Nach Abschluss aller Verhandlungen werden die vereinbarten Ziele in einem Bericht zusammengefasst. Über Fähigkeiten, die in den Verhandlungen gestrichen wurden, wird ein Risk Assessment durchgeführt, um daraus entstehende potenzielle Risiken abschätzen zu können.
Facilitate Implementation
Während des gesamten Prozesses unterstützt die NATO alle Mitgliedstaaten beispielsweise durch Rüstungskooperationen, ihre Agenturen etc., um die Ziele zu erreichen.
Review Results
Alle zwei Jahre werden die Verteidigungs- und Finanzpläne der Staaten geprüft. Dazu wird bei den Mitgliedern der aktuelle Stand ihrer nationalen Fähigkeiten und Fortschritte erhoben. Alle Informationen werden in einem Bericht zusammengefasst und bilden so eine ganzheitliche Bewertung der Fähigkeiten, die der NATO zur Verfügung stehen.
Vom NDPP lernen?
Der NDPP ist ein umfangreicher Prozess mit genau definierten Aufgaben und Regeln für alle Beteiligten. Da sich die Europäische Union zur Stärkung ihrer Verteidigungsfähigkeiten entschlossen hat, stellt sich die Frage, ob und was die EU vom NDPP lernen kann. In der EU wird dieser Bereich durch den Capability Development Plan (CDP) abgedeckt. Im direkten Vergleich zum NDPP fallen jedoch einige Unterschiede auf. Diese fangen schon bei der Zielsetzung an.
In der NATO ist von Beginn an klar, dass am Ende dieses Prozesses die Mitglieder ein detailliertes Paket über die zu erbringenden Fähigkeiten bekommen. In der EU dient der CDP zur Information der Mitgliedstaaten. Er beinhaltet die erforderlichen Kapazitäten, die zur Erreichung des europäischen Level of Ambition notwendig sind. Es wird jedoch keine bindende Aufteilung auf die Mitgliedstaaten getroffen.
Somit ist es schwieriger, eine Koordination unter den Mitgliedstaaten zuwege zu bringen, da es den Mitgliedern frei steht, welche Fähigkeiten sie entwickeln und einmelden. Dadurch wird nicht das volle Potenzial der möglichen Zusammenarbeit im militärischen Bereich ausgeschöpft . Um den Vorgang zu optimieren, wäre es notwendig, dass Staaten sich zum Aufbau von Fähigkeiten (politisch) „verpflichten“, weil dadurch die gesamte Union gestärkt wird. Die Mitsprachemöglichkeit der Mitgliedstaaten wird über die im Prozess integrierten bi- und multilateralen Beratungen sichergestellt. Somit sind die Staaten in diesem Prozess von Beginn an bei der Entwicklung ihrer Zielpakete involviert.
Zudem wird der NDPP durch kontinuierliches Feedback und Überarbeitungen weiterentwickelt. Zur Stärkung der in der EU Global Strategy angeführten EU-Verteidigungskapazitäten ist es erforderlich, den CDP zu reformieren. Die Kapazitäten der europäischen Mitgliedstaaten brauchen ein kohärentes Format, um das Pooling und eine bessere Kooperation zu ermöglichen. Dabei ist es wichtig, die Bedürfnisse der individuellen Staaten miteinzubeziehen.
So muss einerseits gewährleistet werden, dass es in jenen Staaten, die sowohl NATO- als auch EU-Mitglied sind, zu keinen Doppelstrukturen kommt und eine Synergie der Kapazitäten ermöglicht wird. Andererseits muss der Status der neutralen Mitgliedstaaten der EU berücksichtigt und gesichert werden. Der NDPP zeigt, dass Capability Planning keine einfache Angelegenheit ist. Er zeigt allerdings auch, dass es möglich ist, einen Prozess so zu gestalten, dass sowohl die Organisation als auch die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung der Ziele mitwirken können.
Ein solches kooperatives Umfeld ist notwendig, um die Akzeptanz der Ergebnisse zu gewährleisten. Das Potenzial, das in einer solchen Überarbeitung des CDP liegt, ist nicht zu unterschätzen. Dadurch könnten die vorhandenen Ressourcen effizienter genutzt und die Einsatzfähigkeit europäischer Einheiten verbessert werden. Die derzeitige Diskussion zur EU Global Strategy bietet dazu eine passende Bühne.
Roland Hubner, BSc war 2016 Verwaltungspraktikant in der Militärvertretung Brüssel/NATO-Abteilung.