• Veröffentlichungsdatum : 19.10.2020
  • – Letztes Update : 22.12.2020

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Navigation Warfare

Friedrich Teichmann

Kriegsführung mit "Fake"-Navigationsdaten

Die Auswirkungen von „Fake“-Navigationsdaten sind ein Horrorszenario für die militärische Führung und die moderne Gesellschaft. Das Geotracking von Konvois kann gestört werden, ebenso die Standortdaten der eingesetzten Truppe, digitale Lagekarten werden falsch dargestellt. Ebenso ist es möglich, Finanztransaktionen im Zivilen durch einen falschen Zeitstempel zu beeinflussen. Den gegenwärtigen Abhängigkeiten von sicheren Position-Navigation-Timing-Daten (PNT) sollte man nicht blind vertrauen. Daher schafft Österreich die „GALILEO-Behörde“ und ein Feldlabor auf dem Truppenübungsplatz Seetaler Alpe. Dort soll EU-weit Forschung stattfinden und die Zuverlässigkeit von Navigationsgeräten getestet werden.

Die USA haben das NAVSTAR GPS (Global Positioning System) geschaffen und finanzieren es seit den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das GPS war und ist ein militärisches System aus etwa 30 Satelliten im Mid Earth Orbit (MEO). Es basiert auf Radiosignalen im Gigahertz-Frequenzbereich und kann die eigene Position global innerhalb kurzer Zeit auf einige Meter genau bestimmen. Dieses System war und ist so erfolgreich, dass nicht nur die militärischen Anwendungen dafür zugenommen haben, sondern auch die Gesellschaft den Mehrwert erkannt hat. Die hohe GPS-Durchdringung hat jedoch eine technische Abhängigkeit zur Folge. Deshalb haben zusätzlich zum US-amerikanischen GPS andere Länder ihre eigenen Global Navigation Satellite Systems (GNSS) entwickelt und in den Orbit befördert.

Derzeit sind folgende GNSS in Verwendung:

  • NAVSTAR GPS (Global Positioning System) der USA;
  • GLONASS (Globales Navigationssatellitensystem) der Russischen Föderation; 
  • BEIDOU (früher COMPASS) der Volksrepublik China; - GALILEO der Europäischen Union.

Zusätzlich zu diesen sind eine Reihe von komplementären und regionalen Navigationssatellitensystem, wie das europäische EGNOS (European Geostationary Navigation Overlay Service) in Betrieb bzw. in Entwicklung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das NAVSTAR GPS noch immer das dominante globale Navigationssatellitensystem und der primäre Anbieter für fast alle Applikationen, insbesondere für mobile Anwendungen, die eine Positionsbestimmung oder genaue Zeitangabe benötigen.

Europäische Lösung – GALILEO

GALILEO ist das in Fertigstellung befindliche Europäische GNSS. Es stellt verbesserte Positions- und Zeit-Services zur Verfügung und sollte unzählige europäische Anwendungen und Nutzergruppen unterstützen. Im Orbit werden etwa 30 Satelliten fliegen. Sie umkreisen die Erde auf drei verschiedenen Bahnen in 24 000 km Höhe mit einer Bahnneigung von 56 Grad zum Äquator. Den Kern der Bodeneinrichtungen bilden die zwei GALILEO-Kontrollzentren in Deutschland (Oberpfaffenhofen) und in Italien (Fucino). GALILEO bietet drei Dienste an,

  • das frei verfügbare OS (Open Service), 
  • den Spezialdienst HAS (High Accuracy Service bzw. ehemaliges Commercial Service) und 
  • das verschlüsselte PRS (Public Regulated System).

Zusätzlich liefert GALILEO einen wesentlichen Beitrag zum globalen Such- und Rettungsdienst (Search and Rescue – SAR).

Nachteile der GNSS

Die Benutzerfreundlichkeit der GNSS hat durch das offene GPS-Signal auch Nachteile. So sind in den vergangenen Jahren die Sicherheitslücken immer stärker hervorgetreten und deren Gefahren wurden erkannt. Diese Sicherheitslücken werden in der Navigation Warfare (NavWar) ausgenutzt. NavWar agiert an der Schnittstelle zwischen Elektronischer Kampfführung (primär mit Radiosignalen) und dem GeoDienst, um Positionsdaten zu sichern oder zu manipulieren. Daraus ergeben sich die notwendigen militärischen Fähigkeitsfelder für NavWar:

  • Beobachtung der relevanten Signale im elektromagnetischen Spektrum; 
  • Sicherstellen von korrekten bzw. verlässlichen PNT-Diensten für die eigenen Systeme; 
  • Sicherstellen von Risikomanagement und Gegenmaßnahmen bei Störungen; 
  • Eine missionsbezogene aktive Einschränkung der gegnerischen PNT-Dienste in der umfassenden Einsatzführung.

Obwohl eine ganze Reihe von GNSS-unabhängigen Navigations- bzw. PNT-Diensten verfügbar sind, wie landbasierende Funkortungen, diverse Luftfahrtnavigationssysteme, Trägheitsnavigationssysteme, sternenbasierende Orientierung oder der herkömmliche Gelände- und Kartenvergleich, liegt der aktuelle Fokus eindeutig auf satellitenbasierender Navigation. Bei allen GNSS wie auch dem GPS sind primär drei unterschiedliche Angriffsvektoren bzw. Serviceeinschränkungen für korrekte Koordinaten bzw. PNT-Dienste zu unterscheiden: Interferenz, Jamming und Spoofing.

Zusammenarbeit in der EU

Der Grundgedanke ist, den durch die EU bereitgestellten GNSS-Dienst den Nutzern als kostenloses und zuverlässiges Service zur Verfügung zu stellen. In den kommenden Jahren sollte das Monitoring der GNSS-Landschaft Österreich abgeschlossen sein. Das inkludiert die erforderlichen internen und externen Reports, die aktuellen Risikoabschätzungen zu GNSS für die österreichische Kritische Infrastruktur sowie die jeweiligen Bedienerschulungen zur Implementierung für die Bedarfsträger und auch die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen. Hierzu ist die feldverwendbare Inbetriebnahme des Freiluftlabors auf dem Truppenübungsplatz Seetaler Alpe (TÜPL SA) ein wesentlicher Baustein. Seitens EU und EDA (European Defence Agency) ist der Abgleich von Weltraumtechnologie und Weltraumrecht aus geopolitischer Sicht erwünscht. Österreich liefert dazu einen beachtlichen Beitrag.

Feldlabor auf dem TÜPL SA

Derzeit arbeitet das Österreichische Bundesheer (ÖBH) international vernetzt an der möglichen Umsetzung eines europäischen Qualitätssiegels für GNSS-Empfänger. Unterstützt durch nationale und internationale Fördertöpfe werden Konzepte und Prototypen für das Feldlabor auf dem TÜPL SA erarbeitet. In den kommenden Jahren werden durch das ÖBH Sende-, Empfangs- und Opfer-Logs von GNSS-Signalen erzeugt und gehalten, um eine technisch nachvollziehbare Beurteilung unterschiedlicher Receiver und Plattformen durchzuführen. Dort sollen darüber hinaus taktische und betriebliche Schulungen durchgeführt werden.

Konkret sollte ein geeichter Bereich zum Senden und Empfangen von Signalen in den GNSS-Bändern entstehen. Ein zu überprüfendes Gerät wird dabei möglichst nah an eine Referenzstation herangeführt und mit „Fake“-Navigationsdaten „befeuert“. Nach Auswertung der Daten kann eine qualifizierte Aussage zur Störanfälligkeit und zu möglichen Sicherheitslücken des zu überprüfenden Gerätes getroffen werden. Ziel ist es, das GALILEO-PRS (Public Regulated System) in Österreich zu etablieren, die öster- reichische Kritische Infrastruktur vor den Gefahren der Nutzung von GNSS-Signalen zu schützen, die heimische Industrie zu stärken und das ÖBH für moderne Einsätze zu rüsten.

GALILEO-Behörde

In Österreich werden die Aufgaben der „GALILEO-Behörde“ (korrekterweise CPA – National Competent GALILEO Public Regulated System Authority) zwischen dem Bundeskanzleramt (BKA) und dem Bundeministerium für Landesverteidigung (BMLV) aufgeteilt. Die internationale Koordination und die Aufgabendefinition erfolgen im BKA. Die Aufgaben werden in einem interministeriellen Gremium und in jeweiligen Arbeitsgruppen besprochen und dann im Bundesheer durch das Institut für Militärisches Geowesen (IMG) umgesetzt.

Mit der Aufstellung des neuen Referates „Navigation & GALILEO“ am Institut für militärisches Geowesen (IMG/IKT& CySihZ) im Februar 2020 mit sechs neuen Arbeitsplätzen konnte mit dem Aufbau der neuen Fähigkeiten zur Satellitennavigation durch die Nutzung der modernen und verschlüsselten GALILEO-Signale, wie dem PRS (Public Regulated Service), begonnen werden. In den kommenden Jahren wird, neben der Identifikation von Nutzern des GALILEO-PRS-Signals, das nationale Regelwerk für die Verwendung von PRS gemäß den EU-Vorgaben durch die „GALILEO-Behörde“ ausgearbeitet werden. Erste Schwerpunkte der technisch-operativen Entwicklungen der Behörde sind einerseits das Verständnis (Awareness) für die neuen Bedrohungen im Bereich Navigation zu wecken sowie die im ÖBH und die in der Kritischen Infrastruktur der Republik eingesetzten Navigationssatellitensystem im Sinne von Risikomanagement zu testen, um eine substanzielle Verbesserung der Sicherheit zu erwirken.

Zukunft der Navigation Warfare im ÖBH

Nicht nur aufgrund der aktuellen Bedrohungen im Bereich Navigation Warfare, sondern insbesondere wegen zukünftiger Entwicklungen wie autonomer Systeme, selbstfahrender Autos, künstlicher Intelligenz oder direkter M2M-Prozesse (Machine-to-Machine) und Entscheidungen muss sich jede moderne Streitkraft (das gilt ebenfalls für die Kritische Infrastruktur) der Thematik „sichere PNT“ (Position-Navigation-Timing) stellen.

Auf einen Blick

Mit der Fähigkeit NavWar wird im ÖBH durch gesicherte PNT-Services ein entscheidender Beitrag zum Schutz von Soldaten, Waffensystemen, Plattformen und der Infrastruktur geleistet. Geprüfte PNT-Dienste sind ein integraler Bestandteil zur Generierung eines korrekten Lagebildes (Common Operational Picture) für die Einsatzführung.

NavWar ist ein Alleinstellungsmerkmal des BMLV gegenüber den anderen Ressorts. Die sicheren PNT-Services sind ein entscheidender Mehrwert für sämtliche Waffengattungen in allen Einsatzarten. Das neue Kompetenzzentrum für GNSS im ÖBH liefert als operationeller Anteil der österreichischen CPA aktuelle und zielorientierte Beiträge zur nationalen „Umfassenden Sicherheitsvorsorge“ und zum staatlichen Krisen- und Katastrophenmanagement. Weiters setzt dieses neue Element als Teil der nationalen CPA (in Österreich beim Bundeskanzleramt angesiedelt) die Nutzung von GALILEO PRS in Österreich um und stellt Experten im Bereich PNT-Services auf nationaler und internationaler Ebene.

Das Kompetenzzentrum für Navigation bringt einen entscheidenden Mehrwert für die Fähigkeitsentwicklung mit der Expertise aus dem operationellen Anteil der nationalen CPA und aus dem Alleinstellungsmerkmal des BMLV in der unmittelbaren Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, speziell EU/EDA und NATO.

Die operativen Aufgaben der „GALILEO-Behörde“

(National Competent GALILEO Public Regulated System Authority – CPA)

  • Sicherstellung der nationalen Betriebssicherheit der Komponenten des PRS-Systems; 
  • Management von Sicherheitsrisiken der PRS-Nutzergruppen; 
  • Sicherstellung und Betrieb der innerstaatlichen Infrastrukturen und des Informationsmanagements sowie der internationalen Verbindungen zu entsprechenden Akteuren; 
  • Technische Betreuung der PRS-Nutzergruppen in Kooperation mit dem GSMC (GALILEO Security Monitoring Centre); 
  • Entwurf und Umsetzung operationeller Konzepte und Prozeduren für die Verwendung von PRS im Zusammenwirken mit der Informationssicherheitskommission; 
  •  Management der PRS-Schlüssel und anderer damit zusammenhängender Verschlusssachen und deren Verteilung; 
  • Erarbeitung von Berichtsprozeduren im Zusammenwirken mit der Informationssicherheitskommission.

Brigadier Mag. Dr. Friedrich Teichmann, MSc MAS ist Leiter des Institutes für militärisches Geowesen am IKT&CySihZ.

 

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