- Veröffentlichungsdatum : 27.04.2021
- – Letztes Update : 28.04.2021
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Neues Dienstpflichtsystem für die Schweizer Armee
Neben der Weiterentwicklung der Armee installierte das Eidgenössische Department für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport bereits 2014 eine Studiengruppe zur Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems. Nun liegen die ersten Ergebnisse vor. Der weitere politische Prozess wird die nächsten zehn Jahre beanspruchen.
Wie in jeder Armee ist die Personalentwicklung nicht nur wegen der demografischen Entwicklung eine Herausforderung. Während Beschaffungslücken hauptsächlich durch budgetäre Restriktionen limitiert sind und relativ kurz- und mittelfristig gelöst werden können, müssen Personalmaßnahmen langfristig geplant und rechtzeitig eingeleitet werden.
Mit der bereits 2014 eingesetzten Studiengruppe und einer Vorschau auf 2030 erfüllt die Schweiz diese Anforderungen. Die Studiengruppe umfasste etwa 20 Vertreter von Bundesstellen, kantonalen Regierungs- und Fachkonferenzen, Verbänden und Organisationen. Der Auftrag für dieses langfristig angelegte Projekt lautete: „Die Studiengruppe soll sich ganzheitlich mit dem Dienstpflichtsystem befassen. Dabei sollen verschiedene Möglichkeiten erarbeitet werden, um das Dienstpflichtsystem weiter zu entwickeln, und gestützt darauf sollen konkrete Verbesserungsvorschläge und Modelle abgeleitet werden.“
Die Vorgaben
Der Projektgruppe wurde die Einhaltung folgender Vorgaben aufgetragen:
- Die Vorschläge sollen mit dem Zwangsarbeitsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit vereinbar sein.
- Die Tätigkeiten von Dienstpflichtigen haben in der normalen Lage und in besonderen Lagen dem Gebot der Arbeitsmarktneutralität zu genügen.
- Die Beibehaltung der Militärdienstpflicht wurde durch Volk und Stände am 22. September 2013 bestätigt.
- Die Studiengruppe soll die gegenwärtige Aufgabenverteilung zwischen den sicherheitspolitischen Instrumenten nicht grundsätzlich in Frage stellen, sondern nur Vorschläge zu deren Veränderung machen, wenn dadurch der Bedarf besser gedeckt werden könnte.
- Das stark verankerte Milizprinzip soll als Grundlage des Dienstpflichtsystems beibehalten werden.
- Die Armee muss weiterhin in der Lage sein, ihre Personalbedürfnisse decken zu können, damit sie die sicherheitspolitisch geforderten Leistungen erbringen kann.
Das Ergebnis der Arbeit ist ein etwa 200 Seiten umfassender Bericht, dem eine Gesamtsicht über das Dienstpflichtsystem vorangeht. Diese Grundlage soll ermöglichen, dass die künftige Ausgestaltung der Dienstpflicht faktenbasiert und sachlich diskutiert werden kann. Im Zentrum stand eine zeitliche Perspektive bis zum Jahr 2030 und damit ein langfristiger Ausblick über Anforderungen und Herausforderungen des Dienstpflichtsystems. Der Bundesrat nahm am 16. Juli 2016 die Vorschläge der Studiengruppe zur Kenntnis.
Die Bandbreite der Weiterentwicklungsmöglichkeiten des Dienstpflichtsystems sind mit den folgenden vier Modellen dargestellt:
- Status quo plus;
- Sicherheitsdienstpflicht;
- Norwegisches Modell;
- Allgemeine Dienstpflicht.
Die Studiengruppe empfahl, das Norwegische Modell näher zu prüfen und als Option für die Weiterentwicklung der Dienstpflicht ins Auge zu fassen. Das Norwegische Modell sieht kurz gesagt vor, die Militärdienst- und die Schutzdienstpflicht auf Frauen auszudehnen. Dienst leisten sollen jedoch nur diejenigen, die in Armee und Zivilschutz tatsächlich benötigt werden. Frauen und Männer sollen stellungspflichtig sein, aber nur ein Teil von ihnen soll persönlich Dienst leisten.
Mittelfristige Maßnahmen
Der Bericht beinhaltet 13 mittelfristige Maßnahmen. Diese dienen zur Optimierung des derzeit bestehenden Dienstpflichtsystems. Sie sind in vergleichsweise kurzer Zeit umsetzbar:
- Entwicklungen im Pflege- und Betreuungsbereich sind vertieft abzuklären. Als vorsorgliche Maßnahme sollen Dienstpflichtige vermehrt den Ausbildungsgang zum Pflegehelfer des Schweizerischen Rotes Kreuz (SRK) absolvieren.
- Es ist zu prüfen, ob vermehrt Zivildienstpflichtige zur Unterstützung von Familien eingesetzt werden sollen, in denen Angehörige gepflegt und betreut werden.
- Die Entwicklung des Ärztemangels ist weiter zu verfolgen und je nach Verlauf die Verpflichtung von neu ausgebildeten Ärzten zu prüfen.
- Es ist zu prüfen, ob vermehrt Dienstpflichtige für die Prävention vor Naturgefahren eingesetzt werden sollen.
- Zivildienstleistende sollen vermehrt in Unterstützungs- und Betreuungsangeboten des SRK und seinen Organisationen eingesetzt werden.
- Es sind Anreize für Militärdienstleistende zu schaffen.
- Wer militärdienstuntauglich wird, soll aus Gründen der Wehrgerechtigkeit Dienst im Zivilschutz leisten, sofern er dazu in der Lage ist (schutzdiensttauglich) und noch nicht die ganze Rekrutenschule in der Armee absolviert hat.
- Alle erforderlichen Maßnahmen sind integral zu prüfen, wenn die Zahl der ausgebildeten Rekruten in den nächsten Jahren wiederholt unter 18.000 fallen sollte.
- Die Tauglichkeitskategorien im gegenwärtigen System sind beizubehalten, das Potenzial der Pflichtigen ist jedoch besser zu nützen.
- Die Gesamtübersicht über das Potenzial der Dienstpflichtigen in Armee, Zivildienst und Zivilschutz ist zu verbessern (gemeinsames Personalinformationssystem).
- Schutzdienstpflichtige sollen auf freiwilliger Basis Diensttage in sozialen Instituten leisten können, wenn sie eine Ausbildung zum Pflegehelfer beim SRK absolvieren und einen Einsatz von sechs Monaten Dauer leisten.
- Das Engagement in Organisationen des SRK soll an die Schutzdienstpflicht angerechnet werden können, wenn dieses das Katastrophendispositiv eines Kantons verstärkt.
Die vier Modelle
Der Kern der Studie zur Weiterentwicklung des Dienstleistungssystems sind die vier Modelle. Dabei wurden durch eine sachliche Analyse die jeweiligen Vor- und Nachteile und die Möglichkeit der Umsetzung in der Schweiz herausgearbeitet. Es war nicht Aufgabe, eine besondere parteipolitisch bevorzugte Variante zu präferieren.
Modell 1: Status quo plus
Vorgeschlagen werden in dieser Variante Verbesserungen des derzeitigen Systems, ohne das Dienstpflichtsystem grundlegend umzugestalten. Aufgenommen werden sollen die Neuerungen, die durch die WEA sowie die Umsetzung der Strategie „Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+“ notwendig wurden. Zudem sollten im Gesundheitswesen durch einen verstärkten Fokus des Zivildienstes in diesem Bereich künftige Engpässe behoben werden.
Dieses Modell optimiert das bestehende System, ohne das gegenwärtige Gefüge der Organisationen zu verändern, in denen die Pflichtigen ihren Dienst leisten. Es verschiebt auch keine Aufgaben zwischen den Organisationen. Das Modell enthält ausgewogene Verbesserungen und ist dadurch zugleich sicherheitspolitisch angemessen, staatspolitisch abgestützt und wirtschaftlich verträglich. Es trägt den erkennbaren Herausforderungen pragmatisch Rechnung und bleibt dabei in den von der Bundesverfassung gegenwärtig gesetzten Grenzen.
Modell 2: Sicherheitsdienstpflicht
Dieses Modell sieht vor, den militärischen und den zivilen Bereich als gleichwertig zu setzen, indem die Dienstpflicht entweder in der Armee oder im Katastrophenschutz erfüllt werden kann. Dabei würde der Katastrophenschutz die bisherigen Aufgaben des Zivilschutzes und teilweise auch diejenigen des Zivildienstes übernehmen. Alle Neuerungen des Modells „Status quo plus“ werden übernommen. Wer aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leistet, wird dem Katastrophenschutz zugeteilt und unterliegt dem Tatbeweis. Das Modell richtet sich auf den tatsächlichen Bedarf hin aus. Wer nicht für alle Diensttage aufgeboten wird, leistet etwa gemeinnützige Einsätze (heute: Zivildienst) oder eine Ersatzabgabe. Dieses innovative Modell ist vor allem bei den Kantonen sehr beliebt und weist ein neues Verständnis von Wehrgerechtigkeit auf. Es beruht auf einer einheitlichen Dienstpflicht und führt so zu einer Vereinfachung. Damit kann das Potenzial der Dienstpflichtigen besser genutzt werden. Das Modell schlägt staatspolitisch einen neuen Blick auf die Wehrgerechtigkeit vor und erhöht die sicherheitspolitische Flexibilität. Zur Umsetzung muss die Bundesverfassung revidiert werden.
Modell 3: Norwegisches Modell
Dieses Modell sieht vor, dass Frauen und Männer grundsätzlich wehrpflichtig sind und die Armee jährlich jene Personen auswählt, die sie benötigt. Mit der Wehrpflicht wird in Norwegen somit nicht der Gedanke verknüpft, dass alle Pflichtigen eine persönliche Leistung erbringen müssen. Vielmehr steht die Idee im Vordergrund, den Streitkräften die Möglichkeit zu geben, aus einem großen Reservoir an Menschen die Qualifiziertesten und Motiviertesten auszulesen. Es müssen nicht alle Dienst leisten und nicht alle gleich viel. Wer nicht persönlich Dienst leistet, bezahlt die Wehrpflichtersatzabgabe. Die Dienstleistenden werden belohnt, die Wehrpflichtersatzabgabe wird erhöht. Auch dieses Modell bedingt ein neues Verständnis von Wehrgerechtigkeit.
Das Modell weicht stark von den gegenwärtigen staatspolitischen Auffassungen ab, verbessert sicherheitspolitisch die Leistungsfähigkeit der Einsatzorganisationen und ist wirtschaftlich tragbar. Es schlägt einen grundlegend neuen Ansatz vor: Der Alimentierung der Einsatz- organisationen wird absolute Priorität eingeräumt. Die Dienstpflicht führt nicht mehr dazu, dass möglichst viele persönlich Dienst leisten, sondern dient als Grundlage für eine Auslese: Mann und Frau sind pflichtig. Ob sie persönlich Dienst leisten oder die Wehrpflichtersatzabgabe entrichten, hängt vom Bedarf der Einsatzorganisationen ab. Diese Variante behebt die Schwierigkeiten nachhaltig, die sich bei der Rekrutierung von Spezialisten immer deutlicher abzeichnen. Zur Umsetzung muss die Bundesverfassung revidiert werden.
Modell 4: Allgemeine Dienstpflicht
Dieses Modell sieht vor, dass alle Schweizer dienstpflichtig sind, wobei bei Diensttauglichkeit grundsätzlich frei entschieden werden kann, welcher Dienst geleistet werden soll (Armee, Feuerwehr, Zivilschutz, Einsatzorganisation Schweizerisches Rotes Kreuz, Gemeinschaftsdienst). Dabei sollen auch Ausländer dienstpflichtig sein, wobei kein Zugang zum Armeedienst gewährt würde.
Junge Menschen sollen sich für die Gemeinschaft engagieren müssen – darauf ist das Modell staatspolitisch ausgerichtet. Es verwirklicht die Gleichberechtigung von Mann und Frau und bietet Ausländern eine Integrationsmöglichkeit. Im Zentrum des Modells stehen staatspolitische Ideen und nicht mehr wie im gegenwärtigen System der Bedarf bzw. die Sicherheitsleistungen der Organisationen, die sich auf Dienstpflichtige stützen. In der Umsetzung wird es kaum möglich sein, für bis 3,75 Millionen Pflichtige effizient ausführbare Beschäftigungen zu finden, ohne von der gegenwärtigen Auffassung zur Arbeitsmarkt- und Wettbewerbsneutralität abzuweichen. Sicherheitspolitisch besteht dafür keine Notwendigkeit und wirtschaftlich ist das Modell letztlich ineffizient. Zur Umsetzung muss die Bundesverfassung revidiert werden. Die Studiengruppe lehnt dieses Modell ab.
Reaktionen
Die vorgestellten Überlegungen sind auf den Personalbedarf der Armee ausgerichtet. Alle interessierten Kreise wurden aufgefordert, anhand dieses Berichtes über das künftige Dienstpflichtsystem zu diskutieren. Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) beispielsweise anerkennt die darin enthaltenen „interessanten Denkanstöße und Modellvorschläge“. Sie forderte aber, dass zuerst die gravierenden Probleme der personellen Alimentierung der Armee und der Vollausrüstung nachhaltig gelöst werden. Für die SOG ist es schließlich durchaus denkbar, die Weiterentwicklung des bewährten Norwegischen Modells auch in der Schweiz einzuführen. Hierbei wären nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen dienstpflichtig, wodurch der Pool an Stellungspflichtigen auf einen Schlag verdoppelt würde. Mit der Verfassung in Einklang könnte die anschließende Dienstleistung der rekrutierten weiblichen Militärdienstpflichtigen immer noch freiwillig geschehen.
Die Kritiker an den Vorschlägen argumentierten im Wesentlichen damit, dass, was gut für andere Länder ist, wie das Norwegische Modell, nicht auch für die Schweiz erstrebenswert sein müsse. In diesem Sinne lehnte etwa die nationalkonservative, rechtspopulistische und wirtschaftsliberale Schweizerische Volkspartei/SVP einen Systemwechsel zu einem generellen Dienstpflichtsystem für Männer und Frauen ab. Gerade die Frauen leisteten bereits heute durch Freiwilligenarbeit und in den Familien einen überaus wichtigen Beitrag zugunsten der Allgemeinheit, weshalb diesen nicht eine zusätzliche Dienstpflicht auferlegt werden sollte.
In seiner Sitzung vom 28. Juni 2017 hat der Bundesrat entschieden, die langfristige Entwicklung der Alimentierung von Armee und Zivilschutz mit qualifizierten Dienstpflichtigen näher zu untersuchen. Die Arbeiten wurden bis Ende 2020 erledigt. Die Grundlage dazu war das von der Studiengruppe Dienstpflichtsystem empfohlene Norwegische Modell.
Dienstpflicht für Frauen
Bei der Dienstpflicht für Frauen handelt es sich um eine sicherheitspolitische und gesellschaftspolitische Frage, die tiefgreifender diskutiert werden muss. Im Juni 2017 war der Bundesrat der Ansicht, dass sich Frauen weiterhin freiwillig in Armee und Zivilschutz engagieren sollen. Dies solle gefördert werden. Dabei erkannte der Bundesrat den von der Studiengruppe festgestellten Konflikt zwischen dem Bedarf und dem Ziel, dass möglichst viele Dienstpflichtige persönlich Dienst leisten sollten. Diesen Konflikt löst die Studiengruppe in ihren Modellen klar zugunsten des Bedarfes.
Der Bundesrat wollte in jedem Fall die personelle Alimentierung der Armee sicherstellen. Ziel ist es, die Tauglichkeitsquote zu stabilisieren, die Zahl der medizinischen Abgänge aus den Rekrutenschulen zu reduzieren und die Zahl der Wechsel aus der Armee in den Zivildienst nach absolvierter Rekrutenschule zu verringern. Der Bundesrat sah im gegenwärtigen Verfassungsrahmen kaum Spielraum, den Vollzug der Militärdienstpflicht zu flexibilisieren.
Für alle von der Studiengruppe vorgestellten Modelle, außer dem Modell „Status quo plus“ müssten die Artikel 59 und 61 der Bundesverfassung (siehe Kasten) revidiert werden. Dazu besteht aus Sicht des Bundesrates vorderhand keine Veranlassung.
Der Bundesrat hat das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) beauftragt, die langfristige Entwicklung der Alimentierung von Armee und Zivilschutz mit qualifizierten Dienstpflichtigen aufzuzeigen. In dieser Analyse sollte untersucht werden, wo Mangel herrscht, wie er sich entwickeln wird und ob er in der Armee und Zivilschutz intern behoben werden kann oder struktureller Natur ist. In derselben Analyse sollte auch aufgezeigt werden, ob sich die WEA und die bereits getroffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Alimentierung von Armee und Zivilschutz auf das Dienstpflichtsystem ausgewirkt haben werden.
Erfahrungen in Norwegen
Die norwegische Armee geht mit der Verpflichtung beider Geschlechter zum Wehrdienst in Europa einen eigenen Weg. Insgesamt stehen jährlich etwa 60.000 Jugendliche beider Geschlechter zur Wehrpflicht heran. Der Auswahlprozess sieht vor, dass zunächst ein Fragebogen auszufüllen ist. Zu beantworten sind dabei online 115 Fragen. Nach der Auswertung dieser Fragebögen werden etwa 19.000 Wehrpflichtige an Auswahltagen mit medizinischen Tests, Ermittlung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Interviews durch einen Offizier, der jeweils 15 Kandidaten begleitet, weiter untersucht. Rund 12 000 von ihnen werden dabei als tauglich erachtet. Erfahrungsgemäß scheiden von diesen 12 000 Tauglichen bis zum Beginn des Grundwehrdienstes vor allem aus gesundheitlichen oder Studiengründen 3.500 Personen aus, so dass am Ende des Verfahrens jährlich 8.500 zum Grundwehrdienst einberufen werden. Während des Grundwehrdienstes, der für die Landstreitkräfte auf 16 Monate verlängert wurde, scheiden weitere 500 Personen aus, sodass etwa 8.000 Grundwehrdiener die Ausbildung abschließen. Nach dem abgeschlossenen Grundwehrdienst streben etwa 400 bis 500 von ihnen eine Berufslaufbahn bei den Streitkräften an, der Rest wird für ein Jahr als Reserve beordert und kann sich danach für die freiwillige Heimwehr verpflichten.
Über seine Eindrücke vom norwegischen Modell vor Ort berichtet der frühere österreichische Militärattaché in Norwegen, Brigadier August Reiter, der auf die überaus hohe Motivation der Wehrpflichtigen in Norwegen verweist. Er führt diese auf mehrere Gründe zurück: „Tatsächlich handelt es sich zum überwiegenden Teil um Freiwillige. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein abgeleisteter Wehrdienst bei Bewerbungen für spätere Arbeitsplätze im zivilen Umfeld oder beim Studieneintritt (Extrapunkte) positiv berücksichtigt wird. Viele Jugendliche trainieren hart dafür, dass sie den Wehrdienst leisten dürfen. Es macht sie stolz, einen Mehrwert einzubringen. Nach dem Abrüsten gehen sehr viele Arbeitgeber davon aus, dass die Absolventen besonders in ihrer Persönlichkeit gefestigt und leistungsorientiert sind, sowie Sinn für Ordnung und Führungsqualitäten mitbringen. Wie überall im Norden wird diesen Personen ein hohes Maß an Respekt entgegengebracht und Verantwortung übertragen, die ihr Selbstwertgefühl anspricht. Wegen des hohen Verteidigungsbudgets verfügen die norwegischen Streitkräfte über topmodernes Gerät und Ausstattung, ein Umstand, der die Jugend besonders motiviert.“
Aktueller Stand
Die Umsetzung des schon vor Jahren eingeleiteten Projektes WEA ist weitgehend realisiert. Dies bedeutet etwa kleinere Bestände der Armee und Reorganisation der Kaderausbildung und der Dienstpflichtdauer.
Ein Teil der Empfehlungen der Studiengruppe zur Verbesserung des Dienstpflichtsystems wurde umgesetzt und das Modell „Status quo plus“ teilweise realisiert, wie etwa differenzierte Anforderungsprofile und Zuteilung sowie wirkungsvollere Anreize für Militärdienstpflichtige. Die Personalstände von Armee und Zivilschutz sind insbesondere wegen der höheren Abgänge zum Zivildienst nicht nachhaltig gesichert.
Während der Corona-Krise wurden Verbände der Sanitäts- und Logistiktruppen der Armee sowie des Zivilschutzes zur Unterstützung des öffentlichen Gesundheitswesens aufgeboten. Diese leisteten wertvolle Dienste. Mit der zweiten Coronawelle im November 2020 sind erneut Dienstpflichtige der Armee und des Zivilschutzes aufgeboten worden.
Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems
Das Modell „Sicherheitsdienstpflicht“ gewinnt klar an Unterstützung. Vor allem die für die Sicherheit zuständigen Stellen der Kantone sehen darin eine Vereinfachung von Führung und Organisation der zivilen Sicherheitsorgane sowie zusätzliche Synergiegewinne. Dieses Modell will nur noch zwei Bereiche: die Armee als militärischen Teil und die Zusammenfassung von Zivildienst und Zivilschutz in einem zivilen Bereich.
Das „Norwegische Modell“ genießt zwar durchaus Sympathien. Die Einführung einer grundsätzlichen Dienstpflicht für Frauen ist bis auf weiteres jedoch politisch unrealistisch. Ein berufsspezifischer Einbezug von Frauen bei ausgeprägten Bedarfssituationen in das Modell „Sicherheitsdienstpflicht“ ist jedoch denkbar.
Das Modell „Allgemeine Dienstpflicht“ genießt als Idee eines Beitrages aller zur Gemeinschaft immer wieder Aufmerksamkeit. Bei einer näheren Betrachtung verliert diese Lösung aufgrund des ersichtlichen Aufwandes jedoch schnell an Reiz. Zudem steht dieses Modell im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot von Zwangs- und Pflichtarbeit). Es steht auch im Gegensatz zur Forderung nach Arbeitsmarkt- und Wettbewerbsneutralität und beeinträchtigt die Freiwilligenarbeit.
Ausblick
Die Arbeitsgruppe „Nachhaltige Alimentierung von Armee und Zivilschutz“ wird dem Bundesrat bis Mitte 2021 einen Bericht mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen vorlegen. Die mittelfristigen Maßnahmen können mit Gesetzesrevisionen (zwei bis drei Jahre) realisiert werden. Der politische Prozess zum Bestimmen des zu realisierenden Dienstpflichtmodells und der entsprechenden längerfristigen Maßnahmen beanspruchen einen Zeitraum von etwa zehn Jahren.
Hptm aD Prof. Ing. Ernest F. Enzelsberger, MBA; (WU Wien); Präsident der Gesellschaft für Landesverteidigung und Sicherheitspolitik in Vorarlberg.