• Veröffentlichungsdatum : 12.04.2023
  • – Letztes Update : 11.04.2023

  • 9 Min -
  • 1838 Wörter
  • - 5 Bilder

Niemals vergessen!

Georg Hoffmann, Thomas Schiffl, Gerold Keusch

Die Kooperation des BMLV mit dem Mauthausen Memorial ist eine europaweit hervorstechende Initiative. Sie besteht seit dem Jahr 2021 als Beitrag des Ressorts zur europäischen und nationalen Strategie gegen Antisemitismus, Rassismus und Totalitarismus. Diese Bildungskooperation ist ein wesentlicher Baustein der Antisemitismus- und Extremismusprävention im und mit dem Österreichischen Bundesheer.

Sinn, Zweck, Ziel 

Ziel der Kooperation ist das Schaffen und Heben des Bewusstseins zur Geschichte Österreichs sowie die Vermittlung von historischem Wissen zum Nationalsozialismus und der damit verbundenen Verbrechen auf allen Ebenen. Die Zielgruppe dieser Initiative sind alle Angehörigen des Ressorts, vor allem Soldatinnen und Soldaten, vom Grundwehrdiener bis zum Offizier. 

Mit dieser Initiative soll auch das Bewusstsein für demokratische Werte und die demokratische Identität gestärkt werden – konkret durch die „Übersetzung“ von historischem Wissen (NS-Herrschaft in Österreich) in die Gegenwart. Das Korrelationsprinzip „Soldat und Gesellschaft“ ist dabei ein wesentlicher Faktor, entscheidet doch die Verfasstheit einer Gesellschaft auch über das Wesen seiner bewaffneten Macht und ihrer Angehörigen. Die Betrachtungsweise des Staatsbürgers in Uniform als Teil der demokratisch orientierten Gesellschaft, bei gleichzeitiger Funktion in einer hierarchisch strukturierten legitimierten und demokratischen Werten verpflichteten Staatsorganisation hat dabei eine entscheidende Bedeutung.

Hier tritt vor allem die Landesverteidigungsakademie als höchste Forschungs- und Bildungseinrichtung des Bundesheeres auf den Plan. Sie unterstützt als Leitakademie des Militärhochschulverbundes mit zielorientierter Forschung und Elementen der praktischen Umsetzung diese gemeinsame Anstrengung für das Bundesheer und die Gesellschaft, aus der es sich rekrutiert. Die Werkzeuge dieser Initiative sind Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Themenkomplex Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust zur Reflexion des eigenen, gesellschaftlichen und historischen Bildes über diese Zeit. Die Vermittlung grundlegender Aspekte des Wesens von Radikalismus und Extremismus jedweder Ausrichtung bilden hier die Grundlage des weiteren Zuganges. Damit hat die Kooperation im Wege der eingesetzten Informationsoffiziere auch eine Scharnierfunktion zur Geistigen Landesverteidigung, für die das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung zuständig ist. Teil dieser Initiative sind, neben dem Mauthausen Memorial, aktuell

  • die Akademien und Schulen des Bundesheeres (Landesverteidigungsakademie, Theresianische Militärakademie, Heeresunteroffiziersakademie),
  • das Pionierbataillon 3 (Melk) und 
  • der Verein MERKwürdig – Zeithistorisches Zentrum Melk.

Ein wesentliches Element dieser Initiative sind jene Informationsoffiziere, deren Bedarfsträger das Mauthausen Memorial ist. Aufgrund ihrer besonderen fachlichen Kenntnisse und Qualifikationen haben sie eine bedeutende Rolle, auf die in diesem Artikel noch eingegangen wird. 

Die Praxis

Aktuell gibt es bei dieser Initiative vier Schwerpunkte:

  • Unterrichte und Lehrveranstaltungen (alle Akademien des Bundesheeres);
  • Ausbildung von Grundwehrdienern am ehemaligen NS-Verbrechensort Birago-Kaserne (Melk) und die Schaffung eines Gedenkortes;
  • Gedenken am Tag der Menschenrechte in der Belgier-Kaserne (Graz);
  • Ausbildung von speziellen Informationsoffizieren an der Landesverteidigungsakademie (Wien).

Die Kooperation ist bedarfsträgerorientiert und in der aktuellen Form dezentral angedacht. So sollen, wie die Beispiele Melk und Graz zeigen, lokale Bezüge hergestellt und diese für die Vermittlungsarbeit genutzt werden. Da es in Österreich unzählige Orte mit historischem Bezug gibt, ist es de facto in jeder Garnison möglich, diesen Ansatz zur Geltung zu bringen. Hier bietet sich die Zusammenarbeit mit Gemeinden und/oder regionalen Vereinen an, wodurch auch ein Link zu lokalen Institutionen etabliert werden kann. 

Unterrichte und Lehrveranstaltungen

Für alle Grundwehrdiener ist die Vermittlung von Inhalten der staats- und wehrpolitischen Bildung vorgesehen. Eine Doppelstunde von insgesamt zehn Unterrichtseinheiten beschäftigt sich mit dem Thema Nationalsozialismus. Bei den Akademien des Bundesheeres gibt es neben dem Schwerpunkt der wehrpolitischen Bildung auch Lehrveranstaltungen zum Themenkomplex Führung, Recht, Moral, Ethik und Wehrpolitik.

Ein Bespiel dafür ist das Modul „Führung, Recht und Moral“ an der Theresianischen Militärakademie, das ein integraler Bestandteil der Offiziersausbildung ist. Die Inhalte dieses Moduls werden unter anderem mit historischen Beispielen bearbeitet – aufgrund des historischen Erbes Österreichs vor allem aus der NS-Zeit mit regionalem Bezug. Ergänzt werden diese Lehrveranstaltungen durch Exkursionen zur KZ-Gedenkstätte Mauthausen und Workshops mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätte, womit sich der Kreis zu dieser Kooperation schließt. 

Ausbildung von Grundwehrdienern

Ein NS-Verbrechensort war die heutige Birago-Kaserne in Melk, wo sich vom 21. April 1944 bis 15. April 1945 ein Konzentrationslager (Außenlager von Mauthausen) befand. Von dieser Zeit zeugen noch zahlreiche historische Fragmente. Anhand dieser sowie einer permanenten Ausstellung im Kasernenareal wird Grundwehrdienern und Kadersoldaten dieses Thema vor Ort nähergebracht und Wissen zur Geschichte „ihrer“ Garnison vermittelt. Dabei soll auch das Bewusstsein gebildet werden, dass viele NS-Verbrechen nicht „irgendwo“ oder an speziellen Orten, sondern auch „vor der Haustüre“ stattfanden. Federführend für diese Initiative ist der Melker Verein MERKwürdig, der seit dem Jahr 2018 in Kooperation mit dem Pionierbataillon 3 die Gedenk- und Erinnerungsarbeit in Melk organisiert, so wie auch hier das Mauthausen Memorial.

Gedenken am Tag der Menschenrechte

In der Grazer Belgier-Kaserne befand sich zwar kein Konzentrationslager, dennoch wurde auch dieser Ort am Ende des Zweiten Weltkrieges – als SS-Kaserne Wetzelsdorf – zu einem nationalsozialistischen Tatort. Mehr als 200 Menschen wurden in den letzten Kriegstagen dort ermordet und ihre sterblichen Überreste in Bombenkratern innerhalb der Kaserne sowie auf dem Schießplatz Feliferhof, wo ebenfalls zahlreiche Gegner des NS-Regimes (z. B. Justifizierte der NS-Militärgerichtsbarkeit) getötet wurden, verscharrt. Zwischen 2008 und 2011 befasste sich eine vom BMLV eingesetzte Forschergruppe der Grazer Karl-Franzens-Universität mit diesen Verbrechen. Im Jahr 2011 wurde ein Gedenkhain in der Belgier-Kaserne errichtet, der jene Stellen markiert, an denen die NS-Opfer begraben sind.

In der Belgier-Kaserne finden um den Tag der Menschenrechte (10. Dezember) Führungen, Konferenzen, Workshops und andere Vermittlungsangebote für Angehörige des Bundesheeres, aber auch für Schulen statt. Im Fokus dieser Tätigkeiten steht die Vermittlung ethisch-moralischer Werte (Demokratie, Menschenrechte, Völkerrecht etc.), wobei die NS-Verbrechen vor Ort den thematischen Ausgangspunkt bilden. Getragen wird diese Initiative vom Militärkommando Steiermark, gemeinsam mit der Stadt Graz und der Liga für Menschenrechte.

Ausbildung spezieller Informationsoffiziere

Die Hauptaufgabe von Informationsoffizieren ist es, die Bevölkerung über „Bundesheer-Themen“ zu informieren, beispielsweise durch Vorträge an Schulen. Sie werden im Sinne der aktuellen Zielsetzungen der militärischen Öffentlichkeitsarbeit tätig und agieren als wichtige Kommunikatoren und Meinungsbilder. Zusätzlich stehen sie für die staats- und wehrpolitische Ausbildung von Grundwehrdienern zur Verfügung. Gemeint sind z. B. die sogenannten Stundenbilder, das sind jene zehn Unterrichtseinheiten, bei denen die letzte Doppelstunde dem Thema Nationalsozialismus gewidmet ist. 

Die Informationsoffiziere für den Bedarfsträger Mauthausen Memorial haben sich im Zuge eines einschlägigen Studiums (Politikwissenschaft, Geschichte etc.) vertieft mit dem Thema Nationalsozialismus, aber auch Radikalismus und Extremismus anderer Provenienz auseinandergesetzt. Hier dient das Wissen über den ideellen Hintergrund und die Methodik des NS-Terrors zur Herausarbeitung der radikal/extremistischen Ideologien. Durch einschlägige Module fachlich qualifiziert, ist ihre Aufgabe als Mittler und Multiplikatoren dieser Initiative die 

  • allgemeine und spezielle Mitarbeit an diesem Projekt durch das Einbringen ihres Fachwissens bei Workshops, Seminaren, Kasernenrundgängen etc., 
  • Vorstellung dieser Kooperation als wesentlicher Träger, beispielsweise bei der Leistungsschau des Österreichichen Bundesheeres am Nationalfeiertag (in Wien am 26. Oktober), aber auch im Zuge zielgruppenorientierter Sensibilisierungs- und Bewusstseinsmaßnahmen für alle Ressortangehörigen, im Kontext von politisch und religiös motiviertem Extremismus in Zusammenarbeit mit weiteren zuständigen Ressortstellen,
  • gesellschaftliche Vernetzung als Beitrag zur Geistigen Landesverteidigung,
  • Schulung von Informationsoffizieren, um deren Vermittlungskompetenz bei der staats- und wehrpolitischen Ausbildung (vor allem bei der Doppelstunde Nationalsozialismus) zu erhöhen.

Erinnerung im Bundesheer

Eine aktive Erinnerungskultur an Opfer von NS-Verbrechen wird im Österreichischen Bundesheer seit Jahrzehnten gepflegt und durch die Militärhistorische Denkmalkommission des BMLV geprüft. Beispiele dazu sind

  • die Benennung von Kasernen nach österreichischen Offizieren, die Gegner des NS-Regimes waren, wie die Generale Alfred Jansa (Jansa-Kaserne, Großmittel), Wilhelm Zehner (Zehner-Kaserne, Ried im Innkreis), Rudolf Towarek (Towarek-Schulkaserne, Enns) oder Widerstandskämpfer der Deutschen Wehrmacht, wie Oberstleutnant Robert Bernardis oder Feldwebel Anton Schmid (Amtsgebäude Rossau Bernardis-Schmid, Sitz des BMLV, Wien),
  • die Errichtung von Erinnerungszeichen in Kasernen für Widerstandskämpfer (in der Towarek-Schulkaserne 2004 oder auf dem Schießplatz Feliferhof 1980).

Die Gedenk- und Erinnerungsinitiativen zeigen, wie das BMLV und die überwiegende Anzahl der Ressortangehörigen die historische Verantwortung leben. Das darf aber kein „Ruhekissen“ sein, wie einzelne „Problemfälle“ zeigen. Historisches Bewusstsein und Reflexion des eigenen historischen und gesellschaftlichen Bildes sind ein Entwicklungsprozess. Daher finden aktuell Diskussionen zu Kasernennamen statt, die aus heutiger Sicht hinterfragt werden. Diese „Problemfelder“ zeigen die Notwendigkeit einer aktiven Gedenk- und Erinnerungsarbeit sowie der Kooperation mit dem Mauthausen Memorial.

Europäische Strategie gegen Antisemitismus, Rassismus 
und Totalitarismus

Die Werte, auf die sich die EU gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Minderheiten. Die EU setzt sich gegen alle Formen von Hass und Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Geschlecht, sexueller Ausrichtung, Alter oder Behinderung ein.

Antisemitismus ist eine Gefahr für jüdisches Leben, aber auch für eine offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft, und daher mit den Grundwerten Europas unvereinbar. In den vergangenen Jahren kam es innerhalb der EU zu gewaltsamen und tödlichen Anschlägen mit antisemitischem Hintergrund. Diese Vorfälle erfordern eine entschlossenere Reaktion. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Ursprung der antisemitischen Haltung eine rassistisch-biologistische Weltsicht ist, die häufig dem rechtsextremistischen Lager zuzuordnen ist, oder ob ein religiös motivierter politischer Extremismus dahintersteht. 

Ein Teil dieser Reaktion ist die Europäische Strategie gegen Antisemitismus, Rassismus und Totalitarismus. Mit dieser verpflichtet sich die EU-Kommission zur Förderung von jüdischem Leben durch 

  • die Erinnerung an die Shoa auch nach dem Tod der letzten Überlebenden,
  • das Gedenken an die Opfer der Shoa oder 
  • die Wissensvermittlung über jüdisches Leben, Antisemitismus und die Shoa durch Bildungs- und Forschungsmaßnahmen sowie den Austausch mit lokalen Gemeinschaften.

Bis Ende 2022 waren die EU-Staaten dazu aufgerufen, nationale Strategien zur Bekämpfung des Antisemitismus bzw. Aktionspläne gegen Rassismus zu entwickeln. Österreich hat diese Forderung im Jahr 2021 mit der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus umgesetzt. Der Beitrag des BMLV wird darin wie folgt beschrieben:

„Durchführung von Bildungsaktivitäten, Veranstaltungen und Besuchen von Gedenkstätten durch das Österreichische Bundesheer im Rahmen des Ausbildungsprinzips staats- und wehrpolitische Bildung zum Zwecke der Leistung eines gesamtstaatlichen Beitrags zur Förderung der Menschenrechte und als Maßnahmen gegen Totalitarismus, Antisemitismus und Rassismus.“

Die Kooperation des Österreichischen Bundesheeres bzw. des BMLV mit dem Mauthausen Memorial ist ein Resultat dessen. Sie ist somit der konkrete Beitrag des Ressorts zur Umsetzung der europäischen und nationalen Strategien gegen Antisemitismus, Rassismus und Totalitarismus. Entscheidende Bedeutung für den Erfolg der Strategie kommt der Partizipation der Bediensteten des Bundesheeres zu – Militärpersonen und Zivilbedienstete. Verständnis, reflektiertes Annehmen und Mittragen der gemeinsamen Anstrengungen sind dabei grundlegende Säulen. 

Das soll jenes Mind-Set im Bundesheer schaffen, das politisch und religiös motivierten Extremismus in seinen Reihen weder aufkommen lässt noch diesen duldet. Durch diesen Wertekodex soll auch das Thema sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz keinen Platz im Bundesheer haben. Teil der Initiative ist zudem die Schaffung einer Kommission zur Bekämpfung staatsfeindlicher Tendenzen durch das Bundesministerium für Landesverteidigung (7. November 2022).
 

Auf einem Blick

Die Kooperation des BMLV mit dem Mauthausen Memorial ist eine europaweit in ihrer Bedeutung hervorstechende Kooperation zwischen Streitkräften und einer KZ-Gedenkstätte. Als Bildungsinitiative im Bereich des Themenkomplexes Ethik und Moral in Streitkräften hat sie eine Scharnierfunktion zur Geistigen Landesverteidigung, für die das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung zuständig ist. Die dezentrale Bearbeitung von Themen und speziell geschulte Informationsoffiziere bieten die Möglichkeit eines bedarfsträgerorientierten, flexiblen und regionalen sowie maßgeschneiderten Zuganges. Durch den Ansatz, historisches Wissen in die Gegenwart zu übersetzen und so Bewusstsein zu bilden, soll diese Kooperation auch zur Stärkung der demokratischen Werte in den Streitkräften und letzlich in der österreichischen Gesellschaft beitragen.   

Mag. Dr. Georg Hoffmann; Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums

Hofrat Mag.(FH) Mag. Thomas Schiffl; Leiter Referat Wehrpolitik am ZMFW

Hofrat Gerold Keusch, BA MA; Leiter Online-Medien bei der Redaktion TRUPPENDIENST

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)