Operation im Alpenvorland - Teil 3
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Österreich im Jahre 1955 als unabhängiger neutraler Staat wieder erstanden. Eingekeilt zwischen den beiden Machtblöcken des Warschauer Paktes und der NATO hatte es seine Verteidigung selbstständig zu organisieren. Abermals wurde das Donautal als der österreichische Hauptkriegsschauplatz beurteilt, wenngleich unter gänzlich anderen Vorzeichen als über die Jahrhunderte zuvor. Um einen Ein- und Durchmarsch nachhaltig zu verzögern, wurde das Konzept der Raumverteidigung entwickelt. Es prägte Österreich über weite Strecken dieser Epoche des Kalten Krieges.
Österreich war von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges zwar als ein Teil Deutschlands betrachtet worden, aber dennoch herrschte bei den Alliierten die Absicht vor, dieses Land wieder als eigenständigen Staat herstellen zu wollen. Diese Zwitterstellung zwischen dem besiegten Deutschland einerseits und allen ehemaligen deutschen Verbündeten andererseits brachte es mit sich, dass Österreich von 1945 an ebenso wie Deutschland in alliierte Besatzungszonen aufgeteilt wurde. Erst mit dem Abschluss des Staatsvertrages wurde das Land im Jahre 1955 wieder in die vollständige Unabhängigkeit entlassen. Allerdings war dieser Vertrag an eine Klausel gebunden, die Österreich dazu verpflichtete, in Hinkunft als „immerwährend neutraler Staat nach dem Muster der Schweiz“ zu agieren, wie dies im Moskauer Memorandum 1955 festgehalten worden war.
Verteidigungsanstrengungen 1955 bis 1970
Das Land war daher ab 1955 de facto auf sich allein gestellt und hatte seine Pflichten als Neutraler zu erfüllen. Insbesondere durfte Österreich nicht zu einem militärischen Vakuum werden, um keiner anderen Macht durch einen ungehinderten Einmarsch in Österreich einen etwaigen Vorteil bieten zu können. Während der nach dem Zweiten Weltkrieg angelaufenen Epoche des Kalten Krieges gab es nur zwei Mächte. Die „Warschauer Vertragsorganisation“ (auch: Warschauer Pakt) im Osten umfasste alle von der kommunistischen Herrschaftsidee mehr oder weniger beseelten bzw. erfreuten Staaten unter der Führung der Sowjetunion. Im Westen stand ihr die „Nordatlantische Vertragsorganisation/NATO“ als das Bollwerk des so genannten „Freien Europas“ gegenüber. Mitten durch den Kontinent zog sich also ein Riss von der Ostsee bis zum Mittelmeer - oder treffender ein „Eiserner Vorhang“, wie das der britische Premier Churchill formulierte.
An dieser Nahtstelle zwischen Ost und West war Österreich als Neutraler eingeklemmt und hatte seine Hinderungspflichten so zu organisieren, dass sich keiner der beiden Seiten die Möglichkeit bot, österreichisches Territorium für ihre militärischen Zwecke zu nutzen. Die NATO betrachtete sich als ein Defensivbündnis, das grundsätzlich immer wieder beteuerte, keinen Angriff gegen Osten durchführen zu wollen. Dennoch bestand im Kriegsfalle die Gefahr, dass Österreich von NATO-Angriffen betroffen sein könnte, und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits teilte der Raum Tirol und Vorarlberg in Verbindung mit der Schweiz die NATO in eine Nord- und Südhälfte - ein Umstand, der für die Verbringung von Truppen, den Nachschub und die Gefechtsoperationen einen Nachteil erwarten ließ. Es musste daher zumindest mit einer Inbesitznahme des Unterinntales und des Brennerraumes gerechnet werden.1)
Andererseits wurden die Verteidigungsanstrengungen Österreichs von der NATO scharf beobachtet, denn nördlich und südlich des Alpenhauptkammes boten sich günstige Durchstoßmöglichkeiten in den süddeutschen bzw. in den norditalienischen Raum.
Im großen Aufeinanderprallen der Blöcke spielte Österreich keineswegs die Hauptrolle - dafür war die norddeutsche Tiefebene vorgesehen. Dennoch ergaben sich Möglichkeiten, das Donautal rasch zu durchstoßen und damit tief in den bayerischen Raum einzudringen (strategische Richtung „Süddeutschland“). Nur wenn es Österreich gelingen würde, eine entsprechende Abhaltewirkung zu erzielen sowie in weiterer Folge eine effiziente Verteidigung des Donautales zu organisieren, erwies sich dieser Stoß für einen Gegner aus dem Osten als nicht gewinnbringend. Zudem waren seitens der NATO für diesen Angriff zu wenige konventionelle Truppen in Bereitschaft, so dass die französischen Reservekräfte hätten ausgespielt werden müssen. Andererseits bestanden konkrete Planungen, den österreichischen Donauraum mit Nuklearwaffen soweit abzuriegeln, so dass ein Vorstoß aus dem Osten nachhaltig hätte verzögert werden können, wie dies aus der Übung „Kecker Spatz“ 1987 dann auch öffentlich bekannt geworden war.2)
Auch der Warschauer Pakt war grundsätzlich als ein Defensivbündnis angelegt. Allerdings betrachtete die Sowjetunion den präventiven Angriff als fixen Bestandteil ihrer Militärdoktrin. Dies bedeutete, man würde gegen Westen angreifen, sobald sich der Verdacht erhärtete, dass ein Angriff der NATO unmittelbar bevorstünde. Hinzu kam der ideologische Hintergrund des Marxismus-Leninismus, der in der Verbreitung seiner Ideen offensiv ausgerichtet war. Die Offensive bildete folglich das grundsätzliche Mittel operativ-strategischer Handlungen. Bei der Durchführung eines Angriffes gegen die NATO spielten vor allem Überraschung und Schnelligkeit eine wesentliche Rolle. Die Schnelligkeit der Operation war nötig, um den Gegenmaßnahmen der NATO (Mobilmachung, Heranführen von Verstärkungskräften aus den USA) zuvor zu kommen. Für Mitteleuropa bestand die Absicht, innerhalb von sieben Tagen den Rhein und nach spätestens 30 Tagen die Atlantikküste zu erreichen. Die angestrebte Angriffsgeschwindigkeit lag daher bei rund 100 Kilometern in 24 Stunden.3)
Für die österreichischen Verteidigungsvorbereitungen im Donautal bedeutete dies, dass vornehmlich mit einem überraschenden Stoß aus den Räumen Süd-Tschechoslowakei und Ungarn mit Angriffsziel München gerechnet werden musste (Operationsrichtung „DONAU“). Dabei ging es nicht mehr darum, wie in den früheren Kriegen, die österreichische Hauptstadt zu erobern oder Österreich in seiner Gesamtheit zu besetzen, sondern vielmehr einen raschen Geländegewinn zu erzielen, um ein Heranführen von NATO-Truppen in den südbayerischen Raum zu verhindern und die NATO-Verteidigung damit aufzubrechen. Der österreichische Raum, und hier insbesondere das Donautal, waren für diesen strategischen Ansatz nur Mittel zum Zweck.
Österreich hatte gewissermaßen einen Zeitpolster zu erkämpfen, der es ermöglichte, die Truppen des Warschauer Paktes bis zum Heranführen ausreichender NATO-Truppen aus Frankreich in den südbayerischen Raum zu verzögern. Berechnungen zufolge wären für die Durchführung dieser NATO-Operation an die sieben Tage benötigt worden.
Alle Anstrengungen Österreichs waren deshalb darauf auszurichten, den Warschauer Pakt-Kräften einen solchen Widerstand entgegenzusetzen, dass das zeitliche Erfordernis für die Truppen der Warschauer Vertragsorganisation, in weniger als sechs Tagen ab Aggressionsbeginn im Großraum München operativ wirksam werden zu können, in Frage gestellt wurde. Dadurch sollte einerseits der Warschauer Pakt überhaupt davon abgehalten werden, österreichisches Staatsgebiet für seine Kampfführung zu nutzen, andererseits sollte damit eine Abriegelung mit Nuklearwaffen durch die NATO verhindert werden.
„Wehe aber dem angegriffenen Kleinstaat, der versuchen wollte, mit einer auf seine Proportionen herunterprojizierten Mini-Wehrmacht nach gleichen Maximen das Gegenspiel aufzunehmen. Die sich ständig nur vergrößernde Schere der technischen Potentiale müsste ihn in Tagen erdrücken.
“Emil Spannocchi: Verteidigung ohne Selbstzerstörung, Wien 1976, S. 30.
Seitens Österreichs wurde daher bereits ab 1955 damit begonnen, entsprechende Verteidigungsvorbereitungen zu treffen. Mit speziell dafür aufgestellten Grenzschutzeinheiten sollte ein erstes Vordringen des möglichen Ostgegners ab der Staatsgrenze verzögert werden, bis sich die daraufhin mobil gemachten Truppen einer Schlacht im Raum Alpenvorland-Donautal stellen konnten. In den 1960er-Jahren wurde zusätzlich der Festungsbau intensiviert und in den Räumen der Ödenburger und Brucker Pforte der so genannte „Schleinzer-Wall“ (benannt nach dem damaligen Verteidigungsminister Karl Schleinzer) errichtet. Dabei handelte es sich um ein System von Bunkeranlagen mit Geschützen und vorbereiteten Stellungen entlang der ehemaligen „Reichsschutzstellung/Südostwall“ (Vgl. dazu: Operation im Alpenvorland, Teil 2 in TD-Heft 350, S. 110ff.) zum Schutz vor einem Eindringen ins Wiener Becken. Auch an anderen neuralgischen Punkten entlang des Donautales und im Alpenvorland wurde der Festungsbau vorangetrieben und es wurden Bunkersysteme errichtet.
Das Raumverteidigungskonzept
Allerdings erwiesen sich alle diese Verteidigungsvorbereitungen des neutralen Kleinstaates gegen einen übermächtigen Gegner als ungenügend, denn das Bundesheer galt in seiner Konfiguration als konventionelle Armee, die einem Gegner in offener Feldschlacht gegenübertreten sollte, dieser Aufgabe als nicht gewachsen. Bestätigt wurde diese Ansicht durch ein militärisches Experiment im Jahre 1969 im Rahmen der Übung „Bärentatze“ südlich der Donau im Raum des westlichen Niederösterreichs. Ein aus dem Osten nach Warschauer Pakt-Konfiguration angreifender Gegner (Partei Orange) traf dort auf verteidigende österreichische Truppen (Partei Blau). Dabei stellte sich heraus, dass diese Truppen für einen wuchtig geführten Angriff nur einen geringen Verzögerungswert aufwiesen. Die bis dahin geltende Doktrin der grenznahen Verteidigung war damit hinfällig geworden, und seitens des Bundesheeres wurde damit begonnen, neue Verteidigungskonzepte zu erarbeiten. Als ein erfolgversprechendes Konzept erwiesen sich dabei die Überlegungen von General Emil Spannocchi, der eine flächendeckende Verteidigung des gesamten Bundesgebietes vorschlug, wobei an den neuralgischen Punkten nachhaltig verteidigt werden sollte, während andere Teile zur Abnutzung des Gegners vorgesehen waren.
Die politischen Umwälzungen ab dem Jahr 1970 und die Übernahme der Regierung durch den Sozialisten Bruno Kreisky begünstigten diese Kombination einer strategischen Verteidigung durch die Vermischung von konventioneller Kriegsführung mit Kleinkriegstaktiken und der damit gebotenen Chance zur Erzielung einer Abhaltewirkung. Das so genannte „Raumverteidigungskonzept“ war geboren und blieb bis zum Ende des Kalten Krieges gültige Verteidigungsdoktrin der Republik Österreich. Die Absicht war es, die Kräfte des Bundesheeres in verteidigungsgünstigen Geländeteilen einzusetzen und dem Angreifer immer wieder kleine Gefechte aufzuzwingen. Dieses System sollte nicht zum absoluten Abwehrerfolg führen, sondern vielmehr den Angriff eines Aggressors soweit verzögern, dass es unmöglich sein würde, ein geplantes Zeitkalkül einzuhalten. Die Fortsetzung des Kampfes im Rücken des Gegners sollte die frontale Überlegenheit des Angreifers relativieren (System der „Tausend Nadelstiche“). Das Konzept der Raumverteidigung wurde mittels der Heeresgliederung 72 sowie der „Operationsweisung Nr. 1“ vom 14. April 1980 zur Umsetzung gebracht.
Insgesamt sollten zur Realisierung dieses Konzeptes 300.000 Soldaten aufgeboten werden. Die Masse von ihnen war als Miliz in der so genannten „Landwehr“ organisiert, der die Aufgabe zukam, aus vorbereiteten Stellungen und Festungen (Festen Anlagen/FAn) sowie als Kleinkriegskräfte die Verteidigung zu führen. Die Ausnutzung der Geländekenntnisse („Heimvorteil“) sollte vor allem der „Raumgebundenen Landwehr“ zugutekommen, die in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnorte eingesetzt wurde. Die „Mobile Landwehr“ war in Brigaden organisiert und sollte in den angegriffenen Teilen des Staatsgebietes die Raumgebundene Landwehr verstärken. Somit konnte eine strategische Schwergewichtsbildung erzielt werden, um auf die Absichten des Gegners entsprechend reagieren zu können. Als Krisenfeuerwehr der ersten Stunde war die so genannte „Bereitschaftstruppe“ vorgesehen. Sie bestand de facto aus dem stehenden Heer, also einem großen Teil des Kaderpersonals und Teilen der eingerückten Grundwehrdiener, sowie einem „Beurlaubtenstand der Reserve“. Sie umfasste die 1. Panzergrenadierdivision, Infanterieverbände und die Luftstreitkräfte. Ihre Aufgabe war es zunächst, einen Angreifer zu verzögern, bis die Miliz ihre Stellungen bezogen hatte, und sich in weiterer Folge als Gegenangriffskräfte bereitzuhalten.
Das Staatsgebiet selbst wurde dazu in Schlüssel- und Raumsicherungszonen sowie den Zentralraum unterteilt. Als Schlüsselzonen wurden jene Geländeteile definiert, die ein Aggressor für die Erreichung seines militärischen Zieles unbedingt in Besitz nehmen musste. In einer Schlüsselzone eingesetzte eigene Kräfte hatten die Bewegungen eines Aggressors nachhaltig zu behindern und die Abnutzung seiner Kräfte herbeizuführen. Daher wurde in Schlüsselzonen der Kampf vorwiegend durch Verteidigung von Schlüsselräumen und Sperrstellungen geführt. Gegenangriffskräfte wurden zur Zerschlagung oder Verzögerung des in die Schlüsselzone eingebrochenen Aggressors herangezogen. Im abwehrgünstigen Gelände waren schon im Frieden Sperren und Feste Anlagen mit Panzerabwehr- und Artilleriegeschützen vorbereitet.
Vorwärts und zwischen den Schlüsselzonen sollte der Aggressor verlangsamt, abgenützt und behindert werden. In der Folge war es die Absicht, ihm die ungehinderte militärische Nutzung des Raumes für Bewegungen, Versorgung usw. zu verwehren. Diese Räume wurden als Raumsicherungszonen bezeichnet. Im grenznahen Bereich eingesetzte Kräfte übernahmen auch die Grenzüberwachung. Der Kampf in Raumsicherungszonen erfolgte als so genannter „Jagdkampf“ unter Anwendung von Kleinkriegstaktiken wie Überfälle, Hinterhalte und Störaktionen. Zusätzlich erfolgte in diesen Zonen die Verteidigung aus selbstständigen Schlüsselräumen und Sperrstellungen.
Jene Teile des Staatsgebietes, die außerhalb der zu erwartenden feindlichen Hauptstoßrichtung lagen, wurden als Basisraum bezeichnet. Dieser Raum variierte je nach Bedrohungsrichtung. Der allen möglichen Basisräumen gemeinsame Raum wurde als Zentralraum bezeichnet. Der Zentralraum sollte im Falle eines Angriffes und einer Besetzung jenen Teil des Staatsgebietes bilden, der die Aufrechterhaltung des Status als Völkerrechtssubjekt rechtfertigte. Er war deshalb von wesentlicher Bedeutung, bildete daher einen eigenen Führungsbereich und war an den Eingängen zu verteidigen. Der Zentralraum sollte außerdem die Versorgungsbasis für alle Zonen sein.
Die Verteidigung des Donauraumes
In der Endphase des Kalten Krieges (ab 1985) wurde durch die militärische Führung folgende Feindabsicht als die wahrscheinlichste beurteilt und den Einsatzvorbereitungen des Bundesheeres zugrunde gelegt:
In einer ersten Phase erfolgt der Ansatz aus dem Raum Znaim-Brünn mit zwei Divisionen voraus (1. Operative Staffel, vermutlich 30. GardeMotSchDiv und 31. Panzerdivision der Zentralgruppe der Truppen/ZGT) mit dem Auftrag: Gewinnen und Forcieren der Donau zwischen Tulln und Krems; gleichzeitig der Ansatz von zwei Divisionen aus Ungarn durch das Wiener Becken und den Wienerwald zur Einnahme des Raumes St. Pölten. Weiters ein gleichzeitiger Ansatz von ein bis zwei Divisionen (tiefgestaffelt) aus dem Raum Budweis (15. MotSchDiv der Tschechoslowakischen Volksarmee/CVA und 48. GardeMotSchDiv/ZGT) über das mittlere Mühlviertel mit dem Ziel: Forcieren der Donau zwischen Eferding und Mauthausen, um den Raum Linz-Enns-Steyr-Wels frühzeitig für den südlich der Donau zu erwartenden Hauptstoß zu öffnen. Zum Zwecke der Bindung von im Süden Österreichs eingesetzten Kräften des Bundesheeres: Ansatz von Kräften der Ungarischen Volksarmee (ein bis zwei Divisionen) in den Raum Graz. Ein weiterer Stoß nach Oberitalien wurde ausgeschlossen.
In einer zweiten Phase erfolgt die Öffnung des Donautales durch die 2. Operative Staffel (zwei Divisionen) der Stoßrichtung aus dem Weinviertel; parallel dazu durch ein bis zwei Divisionen mit der Stoßrichtung aus Ungarn zur Abriegelung in den Voralpen gegen den Zentralraum als Flankenschutz.
In einer dritten Phase sollte dann die 2. Strategische Staffel (38. Armee/Militärbezirk Karpaten) in den südbayerischen Raum durchstoßen. Die Inbesitznahme des gesamten österreichischen Staatsgebietes hatte nachgeordnete Bedeutung und sollte erst in einer weiteren Phase erfolgen. Die Luftunterstützung in allen Phasen hätte durch die 36. und 57. Frontluftarmee erfolgen sollen.
Anhand dieser strategischen Feindabsicht gegenüber Österreich sollen nun die einzelnen Räume entlang des Donautales besprochen werden:
Ganz im Osten führen drei Bewegungslinien in das niederösterreichische Alpenvorland: Die Hainburger Pforte mit dem Donaudurchbruch zwischen Alpen und Karpaten, die Brucker Pforte zwischen Donau und Neusiedler See sowie die Ödenburger Pforte zwischen Leithagebirge und Rosaliengebirge. In der Zeit der Raumverteidigung hatte die Hainburger Pforte keine militärische Bedeutung, da sie durch die viel breitere Brucker Pforte leicht zu umgehen war. Durch die Brucker Pforte werden Ost-West-Bewegungen kanalisiert. Aus österreichischer Sicht hat sie daher eine hohe strategische Bedeutung, da sie die letzte Verteidigungsmöglichkeit vor Wien bietet.
Mit dem Inkrafttreten der Raumverteidigung als neues Verteidigungskonzept wurde der Raum um die Brucker Pforte zur Raumsicherungszone 11. Die bestehenden Stellungen und Sperren aus den 1960er-Jahren wurden als Sperrstellung übernommen und ergänzt, um einen Feindstoß Richtung Wien und den Wienerwald zu verzögern. Die Ödenburger Pforte ist eine 13 Kilometer breite Senke zwischen dem Leithagebirge und dem Rosaliengebirge und verbindet das Wiener Becken mit dem Eisenstädter Becken. In der Zeit der Raumverteidigung bildete dieser Raum einen Teil der Raumsicherungszone 12. Zur Verzögerung eines Angriffes war das Sperrbataillon 122, abgestützt auf Feste Anlagen und Sperren, eingesetzt, um einen Feindstoß in das Wiener Becken zu verzögern.
Das nächste Hindernis für einen Stoß nach Westen war der Wienerwald, ein 45 Kilometer langes und 20 bis 30 Kilometer breites Mittelgebirge, das das Nordost-ende der Alpen bildet. Das stark bewaldete, hügelige Gebiet trennt das Wiener Becken vom Tullnerfeld. Es weist Höhen zwischen 300 und knapp 900 Metern auf. Der Wienerwald wird zwar von mehreren, in Ost-West-Richtung verlaufenden Tälern durchzogen, keines davon durchläuft den Wienerwald jedoch in seiner Gänze. Hinzu kommt, dass diese Täler nur sehr geringe Breiten aufweisen. Für einen Stoß nach Westen stellt der Wienerwald ein starkes Hindernis dar. Dementsprechende Bedeutung kam dem Wienerwald in der Raumverteidigung zu, und er wurde zur Schlüsselzone 34 erklärt, die 1983 in einen nördlichen (Schlüsselzone 21) und einen südlichen Bereich (Schlüsselzone 34) geteilt wurde. Dort sollten zwei Tage Zeitgewinn erkämpft werden.
Für den aus dem Raum Znaim-Brünn durch das Weinviertel zu erwartenden Hauptstoß bildete die Donau das erste Hindernis. Nördlich der Donau war nur der Einsatz von Jagdkampfkräften vorgesehen. Ab der Stadt Krems betritt die Donau das flache ca. 50 Kilometer lange und bis zu 14 Kilometer breite Tullnerfeld. Der Fluss weist dort eine durchschnittliche Breite von 350 bis 400 Metern auf. Vor allem nördlich der Donau erstreckt sich zusätzlich ein bis zu 4,5 Kilometer breiter Augürtel. Zwischen Krems (einschließlich) und Klosterneuburg befanden sich mit Stand 1987 fünf Brücken (drei Straßen-, zwei Eisenbahnbrücken). Weitere Übersetzmöglichkeiten ergeben sich im Bereich der Kraftwerke Greifenstein und Altenwörth. Aufgrund der Stauräume ist die Fließgeschwindigkeit gering und lässt somit ein Übersetzen mittels Fähren oder Pontonbrücken zu. Dennoch bildet die Donau ein massives Hindernis.
In der Umsetzung des Raumverteidigungskonzeptes wurde zwischen dem Wienerwald und der Wachau die Sperrzone 33 festgelegt. Eine Sperrzone ist eine an ein starkes Hindernis angelehnte Zone, in der tiefgestaffelte ständige Befestigungen an Bewegungslinien vorbereitet werden und über einen befohlenen Zeitraum zu behaupten sind. Die in der Sperrzone 33 eingesetzten Kräfte hatten den Auftrag zur Verteidigung der Donauübergänge zumindest über zwei Tage. Neben den Panzerabwehrwaffen in Festen Anlagen beruhten die Abwehrmaßnahmen vor allem auf dem „Abwehrsystem Donau“. Dessen Ziel war es, durch Öffnung der Kraftwerksschleusen die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen und durch gezielte Dammsprengungen Überflutungen herbeizuführen.
Im Raum St. Pölten kommt es zum Zusammenwirken der Stoßrichtung aus dem Weinviertel und der Stoßrichtung aus Ungarn. Ein Staffelwechsel in diesem Raum war zu erwarten. Der Raum um St. Pölten bildete in der Zeit der Raumverteidigung die Raumsicherungszone 36. Aus dem Raum St. Pölten führen zwei operative Bewegungslinien Richtung Westen: Entlang der Autobahn A1, dabei kommt es jedoch zwischen Melk und dem Hiesberg zu einer starken Kanalisierung, und eine weitere durch die Mank-Kilber-Senke in den Raum Wieselburg und weiter über Euratsfeld an die Ybbs südlich von Amstetten. Zwischen Ybbs und Amstetten werden die Bewegungsmöglichkeiten auf eine Breite von rund acht Kilometer kanalisiert und durch die Flüsse Erlauf, Kleine Erlauf und Ybbs zusätzlich behindert. Dementsprechende Bedeutung bekam dieser Raum für die nunmehrigen Verteidigungsplanungen.
„Das Alpenvorland mit dem Donau-Tal ist die wichtigste Ost-West-Durchgangszone in Österreich. Die operative Bedeutung ist insbesondere durch den Ausbau der Verkehrsverbindungen und die gegebene, hohe Durchlässigkeit für einen raschen Bewegungsablauf sowie durch den Charakter des Angeländes, welches sehr gute Voraussetzungen für einen mechanisierten Vorstoß und für Umfassungsmöglichkeiten bietet, gegeben. Unbeschadet dieser Gegebenheiten bietet aber der Raum stellenweise, zufolge kanalisierender Wirkung und örtlicher Geländehindernisse, aufeinanderfolgend immer wieder günstige Bedingungen für eine statische Verteidigung aus Stellungen.“4)
Dieser Geländeabschnitt wurde daher als Schlüsselzone/SZ35 festgelegt. Der Zonenauftrag lautete: „Verhinderung eines Durchbruches von zwei unmittelbar angesetzten Divisionen aus Richtung Osten zur Inbesitznahme der Enns zumindest über drei Tage“. Mit der 9. Panzergrenadierbrigade, der 3., 5. und 7. Jägerbrigade sowie dem Landwehrregiment 35 waren starke Kräfte des Bundesheeres zum Einsatz in der SZ35 vorgesehen. In Belangen der friedensmäßigen Einsatzvorbereitungen (Errichtung Fester Anlagen, Stellungsbau, Vorbereitung von Sperren) hatte die SZ35 erste Priorität. Bis zum Ende der 1980er-Jahre wurden deshalb rund 70 PAK/FAn in der SZ35 errichtet.
Das Mühlviertel gehört zum Granit- und Gneishochland der Böhmischen Masse. Durch den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Haselgraben wird das Mühlviertel in das obere (westliche) und untere (östliche) Mühlviertel geteilt. Das Mühlviertel ist eine von Flüssen tief eingeschnittene Hügellandschaft. Die einzigen flachen Zonen des Mühlviertels befinden sich an der Donau zwischen Aschach und Ottensheim (der nördlich der Donau gelegene Teil des Eferdinger Beckens) und zwischen Mauthausen und Grein (Machland). Die rund 25 Kilometer breite Feldaistsenke zwischen dem Sternstein und dem Viehberg bildet den niedrigsten und für mechanisierte Kräfte geeignetsten Übergang vom Moldauraum in den Donauraum. Von dort aus wurde mit dem Ansatz von zwei motorisierten Schützendivisionen gerechnet, um den Raum Linz-Enns-Steyr-Wels frühzeitig für den südlich der Donau zu erwartenden Hauptstoß zu öffnen. Zur Abwehr dieses Angriffes wurde die Schlüsselzone 41 eingerichtet. Es sollte dort eine nachhaltige Verteidigung über zwei Tage erfolgen; die zur Verteidigung eingesetzten Kräfte stützten sich auf rund 60 PAK/FAn ab.
Mit diesem für das Donautal entwickelten Konzept rechnete man zunächst, eine Abhaltewirkung zu erzielen, die dem Gegner den Eintrittspreis in den südbayerischen Raum über Österreich als zu hoch erscheinen lassen sollte. Die Hauptmacht des Bundesheeres war daher für die Verteidigung im Donautal aufgeboten und sollte dort mindestens sechs Tage erkämpfen. Eine kampflose Übergabe des Raumes nach dem Muster von 1938 sollte sich aufgrund der furchtbaren Erfahrungen im und nach dem Zweiten Weltkrieg jedenfalls nicht mehr wiederholen. Zudem stand mit der nuklearen Bedrohung für das Donautal eine Rute im Fenster, deren Erfahrungen man nach den Ereignissen in Hiroshima nicht unbedingt machen wollte. Es wurde daher viel Geld in die Verteidigung des Donauraumes investiert. Nichtsdestoweniger wurden alle diese mühsam geschaffenen wirkungsvollen Anlagen unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges im Gegensatz zur Schweiz abgebaut und aufgegeben.
An der Donau sollten u. a. durch weitreichende Überflutungen mechanisierte Bewegungen unmöglich gemacht werden. Ein Vergleich der Überflutung durch das Donauhochwasser 2002 mit dem Normalzustand im Raum Ardagger vermittelt einen Eindruck von der beabsichtigten Wirkung des Abwehrsystems Donau (siehe Fotos unten: ÖBH).
Oberst dG MMag. DDr. Andreas Stupka; Forscher an der Landesverteidigungsakademie. Oberstleutnant Thomas Lampersberger, MSD; FH-Lektor an der Theresianischen Militärakademie.
Fußnoten
1) Vgl.: Spannocchi, Emil: Verteidigung ohne Selbstzerstörung, Wien 1976, S. 27.
2) Vgl.: Pleiner, Horst: Kecker Spatz - Moineau Hardi, in: Österreichische Militärische Zeitschrift 6/87, S. 524.
3) Siehe dazu auch: Széles, Róbert: Die strategischen Überlegungen des Warschauer Paktes für Mitteleuropa in den 70er Jahren und die Rolle der Neutralen. In: Rauchensteiner, Manfried; Etschmann, Wolfgang; Rausch, Josef (Hrsg.): Tausend Nadelstiche, das Österreichische Bundesheer in der Reformzeit 1970-1978, Graz 1994, S. 25-41.
4) GenMjr i. R. Günther Hochauer, zitiert nach: Peierl Georg, Die militärische Bedeutung des niederösterreichischen Alpenvorlandes in der Zeit der Raumverteidigung, S. 31, Bachelorarbeit, TherMilAk 2015.