• Veröffentlichungsdatum : 30.09.2024

  • 9 Min -
  • 1780 Wörter

PerspektivenReich: Aufrüstung für den Frieden?

Katharina Reich

Betrachtet man die Welt aus drei Perspektiven, so stechen ähnliche Haltungen ins Auge in Bezug auf die Themen Frieden und Rüstung. China, die USA und Europa sind sich offensichtlich bewusst, dass Friede immer auch das Denken in militärischen Kategorien bedeutet. Der 43. US-Präsident George W. Bush meinte beispielsweise „Unsere Feinde sind innovativ und erfinderisch, genau wie wir. Sie denken ständig über neue Wege nach, wie sie unserem Volk schaden können, genau wie wir.“ Blickt man nach Europa, so begegnet man ähnlichen Haltungen, wie jener von François Mitterrand, französisches Staatsoberhaupt von 1981 bis 1995, der meinte: „Nationalismus bedeutet am Ende immer Krieg!“ Damit nahm er auch eine klar anti-nationalistische Haltung bezogen auf die Ideologie ein. Selbst China vertritt ähnliche Einstellungen, wie die folgende Aussage des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas, Mao Zedong, zeigt: „Politik ist Krieg ohne Blutvergießen. Krieg ist Politik mit Blutvergießen.“ Woher kommt dieser Zugang?

Philospohie in China, Griechenland und Rom

Blicken wir zurück zu den alten Römern und den alten Chinesen. Bereits Sun Tzu, jener Philospoph, der im 5. Jahrhundert vor Christus lebte, nannte einige Hauptkonzepte in seinem Werk „Die Kunst des Krieges“, um Frieden zu wahren. Er wusste, dass man den Krieg mitdenken muss, um den Frieden zu sichern. Dafür sind in seinen Augen die Wichtigkeit von Strategie und Planung, die Nutzung von Täuschung und Überraschung, die Bedeutung der Kenntnis von sich selbst und des Feindes, und die Idee, dass der ultimative Sieg darin besteht, Konflikte zu vermeiden oder zu minimieren, relevant.

Die alten Römer kannten mit dem Spruch „Si vis pacem para bellum“ ein lateinisches Sprichwort, das übersetzt die Bedeutung hat: „Wenn du (den) Frieden willst, bereite (den) Krieg vor.“ Dazu gibt es auch freiere Übersetzungsversionen, die sinngemäß bedeuten: „Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“ oder „Wer den Frieden sucht, bereite den Krieg (vor)“. Kurz, es ist klug, sich immer für den Ernstfall zu rüsten.

Die Idee zu diesem Gedankengang findet sich bereits bei Platon im antiken Griechenland, der meinte: „Die vornehmste Grundlage eines glückseligen Lebens aber ist dies, dass man weder Unrecht tut noch von anderen Unrecht erleidet. Hiervon ist nun das Erstere nicht so gar schwer zu erreichen, wohl aber so viel Macht zu erwerben, dass man sich gegen jedes Unrecht zu sichern vermag, und es ist unmöglich auf eine andere Weise vollkommen zu derselben zu gelangen als dadurch, dass man selber vollkommen tüchtig dasteht. Und ebenso ergeht es auch einem Staate. Ist er tüchtig, so wird ihm ein friedliches Leben zuteil, ist er es nicht, so bedrängt ihn Fehde von innen und außen. […] Steht es aber so damit, so muss sich jeder nicht erst im Kriege, sondern schon in Friedenszeiten auf den Krieg einüben, und darum muss eine verständige Bürgerschaft in jedem Monat nicht weniger als einen Tag Kriegsdienste tun, wohl aber noch mehrere, wenn es den Behörden nötig erscheint, und dabei weder Frost noch Hitze scheuen.“

Das römische Sprichwort „Si vis pacem para bellum“  bezeichnet übrigens die Quintessenz einer nach allen Regeln der Rhetorik gehaltenen Grundsatzrede von Marcus Tullius Cicero 43 v. Chr. vor dem römischen Senat. Darin stellt er sich zunächst als Anwalt des Friedens vor. Anschließend legt er offen, weshalb ein Friede mit Marcus Antonius erstens schimpflich, zweitens gefährlich und drittens unmöglich sei. Am nächsten kommt dem der römische Militärschriftsteller Vegetius allerdings um etwa 400 n. Chr. mit dem Satz „Qui desiderat pacem, bellum praeparat“, der in der Übersetzung bedeutet „Wer (den) Frieden wünscht, bereitet (den) Krieg vor.“ Kurz, das Paradoxum von Frieden durch Rüsten für den Krieg ist in seiner Grundüberlegung schon sehr alt. Doch was hat dies nun mit der Gegenwart zu tun?

Die gegenwärtige Gesellschaft ist von Friedensdenken und Pazifismus geprägt, wie es Eric Guier, Chefredakteur der NZZ, beschreibt: „Die Gesellschaft mutiert zur Erziehungsanstalt, die ihren Insassen beibringt, welches Auto sie fahren, welche Heizung sie benutzen und wie sie korrekt sprechen sollen.“ Die Möglichkeit eines Krieges fehlt in dem aktuellen gesellschaftlichen Gedankenmuster de facto völlig. Der Ukrainekrieg änderte das mit einem Schlag. Plötzlich war klar geworden, dass Frieden zu wahren auch bedeutet gerüstet zu sein. Nun stellt sich die Frage, wie es mit der Rüstung um Europa steht und was getan werden kann.

Europas Rüstung für den Frieden

Europa ist aktuell weniger einig denn je. Die gemeinsame Sprache der Europäer gibt es in der EU zwar inoffiziell mit dem Englischen, außerhalb von Städten – und selbst dort – wird es jedoch schwierig, eine Konversation auf Englisch zu führen. Das gilt für beinahe alle EU-Staaten. Eine gemeinsame Lingua Franca ist also noch lange keine europäische Realität. Der Fokus auf den eigenen Staat ist hier wenig hilfreich und verhält sich ähnlich negativ wie die bereits erwähnte pazifistische Grundhaltung.

Unzufriedenheit der Europäer

Ein prägender Aspekt der heutigen Zeit ist die verbreitete Sorge und Unzufriedenheit in Europa, trotz des herrschenden Wohlstands. Obwohl die Lebensbedingungen besser sind als je zuvor, scheint das Klagen allgegenwärtig zu sein. In Österreich mag eine kritische Haltung kulturell verankert sein, doch eine dauerhaft negative Einstellung kann die Entwicklung positiver Initiativen behindern. Diese Stimmung hat sich mittlerweile in Europa ausgebreitet und führt eher zu Stagnation als zu Lösungen, insbesondere in Bezug auf Politik und Wirtschaft.

Die Menschen tun sich zunehmend schwer, mit dieser Negativität umzugehen, was den Fokus stärker auf Work-Life-Balance und Privatleben verlagert, während die Arbeit an Bedeutung verliert. Dies könnte jedoch das Gefühl der Hilflosigkeit verstärken.

Ein Blick nach Italien zeigt, dass trotz großer Herausforderungen wie Migration und Arbeitsmarktproblemen eine positive Lebenseinstellung vorherrscht, die den Alltag prägt. Gemeinsame Mahlzeiten und familiärer Austausch stärken den Zusammenhalt. In Österreich hingegen fehlt es oft an spontaner Lebensfreude, wie etwa einem kurzen Besuch im Café, um positive Gedanken auszutauschen. Ein solcher Ansatz könnte helfen, das Miteinander zu fördern und der allgemeinen Negativität entgegenzuwirken.

Soweit der Abriss zum aktuellen kulturellen Stimmungsbild in Europa. Blickt man nun in Richtung der Verteidigungsfähigkeit wird es düster. Die Bedeutung von diplomatischen Maßnahmen, Wirtschaftssanktionen und militärischer Abschreckung in der Außenpolitik europäischer Länder sowie die Rolle der USA in internationalen Angelegenheiten ist wichtiger denn je, doch die Maßnahmen sind oftmals halbherzig bis zahnlos. Was sind die Schwierigkeiten, die es zu lösen gilt bzw. was sind Lösungen?

Diplomatische Maßnahmen und Wirtschaftssanktionen sind zwar beliebte Instrumente, können jedoch keine wirksame militärische Abschreckung ersetzen. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass das Militär ordentlich gerüstet und verteidigungsfähig sein muss. Diplomatie kann trotz ihrer hohen Relevanz für das friedliche Miteinander nicht die bewaffnete Macht des Staates - das Militär – ersetzen.

Die Medien und die Politik sind derzeit von der Berichterstattung zu den Präsidentschaftswahlen in den USA geprägt. Unabhängig von der Person des gewählten Präsidenten wird dieser mit kriegerischen Herausforderungen konfrontiert sein, zu denen auch die Bewältigung der geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China zählt. Doch Amerikas Status als „Weltpolizei“ ist nicht mehr derselbe wie er es in den 1980er-Jahren war. Die Diskussionen darüber, wie Europa auf einen möglichen US-Wahlausgang reagieren sollte, sind insofern beschämend, da dabei die eigene Verantwortung für die Sicherheit und Verteidigung kaum eine Rolle spielt. Das zeigt sich auch in den nach wie vor geringen Militärausgaben der meisten europäischen Staaten.

Der Ukraine-Krieg dauert seit einigen Jahren an. Gespräche über einen möglichen Waffenstillstand gewinnen demnach an Bedeutung, unabhängig von der politischen Ausrichtung des US-Präsidenten. Bisher haben sich Kiew und der Westen strikt gegen ein Friedensabkommen gewehrt, das vor einem Abzug aller russischen Truppen aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet geschlossen werden würde. Dennoch gibt es in letzter Zeit vermehrt Zeichen, dass es Gespräche über einen möglichen Waffenstillstand geben könnte.

NATO als Verteidigungsstärkung?

Derzeit wird zum Thema der Verteidigungsfähigkeit gerne die NATO herangezogen. Sie hat während des Ost-West-Konflikts durch glaubwürdige Abschreckung den Frieden gesichert und ehemalige Feinde zu Bündnispartnern und Freunden gemacht. Heutzutage verstärkt die NATO ihre Präsenz in Osteuropa, um auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren. Europa muss sich auf eine stärkere Bedrohung durch Russland einstellen, auch weil China und Russland militärische Aktivitäten an neuen Grenzen wie dem Weltraum und der Arktis durchführen.

Eine glaubwürdige europäische militärische Abschreckung ist entscheidend, um Bedrohungen zu begegnen und politischen Willen zu zeigen. Die NATO schließt derzeit jene sicherheitspolitischen Lücken, die Europa nicht zu schließen vermag. Unabhängig von den USA sollte Europa sich aber darauf vorbereiten, den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen. Denn wenn es in den USA 330 Millionen Menschen schaffen ihren Einfluss auf die Welt zu projizieren, ist es eine faule Ausrede, dass es Europa mit 450 Millionen Bürgern nicht schafft, sich – und somit seine Werte – zu verteidigen. Daher muss die europäische Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen enger werden, innerhalb der NATO oder mit anderen Bündnispartnern. Die Europäische Kommission steht vor der Herausforderung, ihre Rolle im Bereich der Verteidigung glaubwürdig zu gestalten. Fest steht jedoch, dass Europa in der Lage sein muss, eine verlässliche Verteidigung aufzubauen, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Andernfalls könnte es Gefahr laufen, anfällig für äußere Bedrohungen zu werden, was eine besorgniserregende Perspektive darstellt.

Abrüstung durch Aufrüstung?

Der Weg zur weltweiten Abrüstung kann durchaus über den Umweg der Aufrüstung gegangen werden. Doch weshalb? Es geht darum, gegenwärtige und zukünftige Aggressoren durch eine glaubhafte Verteidigungsfähigkeit davon abzuschrecken, Europa zu gefährden. Deutschland plant, eingefädelt von Bundeskanzler Olaf Scholz, US-Mittelstreckenwaffen zur Friedenssicherung zu stationieren. Erinnerungen an Helmut Schmidts Bonner Friedensdemonstration zum NATO-Doppelbeschluss werden wach.

Zur aktuellen Lage gibt es genauso viele Unterschiede wie Parallelen. Hier zeigt sich, dass Geschichtskenntnisse relevant sind, um weise zu handeln. Russland hat heute ein Arsenal von etwa 500 bodengestützten Mittelstreckenraketen, damals waren es Mittelstreckenraketen vom Typ SS-20, denen die NATO etwas entgegensetzen musste. Schmidt trieb damals die Abrüstung voran, da er mit der Stationierung von Pershing-II-Raketen und Cruise-Missile-Marschflugkörpern selbst gut gerüstet war. Das war seine Verhandlungsbasis für die Gespräche mit Moskau.

Die eigene Partei setzte ihn allerdings unter Druck, denn es machte sich die Angst hinsichtlich einer Eskalation zum Atomkrieg breit. Auch die USA hatten gefährliche Waffensysteme Richtung Russland gerichtet, die den Europäern Angst machten. Bei den Entscheidungen der meisten Politiker spielt der Pazifismus des Volkes, das sie wählt, eine Rolle. Diesem fehlt weitgehend das Verständnis, dass ein europäischer Abschreckungsaspekt wichtig wäre, der gegenwärtig nur unzureichend gegeben ist.

Europa befindet sich in einer verwundbaren Situation, sollte nicht rasch aufgerüstet werden. Deutschland scheint aktuell den Kurs zu wechseln und beschafft „Tomahawk“-Marschflugkörper und ballistische Hyperschallraketen. Damit können ab ihrer Stationierung im Jahr 2026 auch weit entfernte Ziele von einer relativ sicheren Position aus getroffen werden . Diese Aufrüstung könnte, wie unter Helmut Schmidt, in die Rüstungskontrolle eingebettet werden. Gegenwärtige Rüstungsversäumnisse in die Rüstungskontrolle einzubinden ist ein richtiges Vorhaben, das Signale des Friedenswillens setzt und gleichzeitig Stärke demonstriert. Das ist auf den ersten Blick ein Paradoxon, dem jedoch ein Plan zu Grunde liegt, der ein Ziel verfolgt: Frieden in Europa.

Mag. Arch. Katharina Reich CMC lehrt zu sicherheitsrelevanten Infrastrukturen, Ökonomie und komplexem Denken an diversen Universitäten und Fachhochschulen und hält regelmäßig Vorträge an der Landesverteidigungsakademie in Wien.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)