• Veröffentlichungsdatum : 01.09.2016
  • – Letztes Update : 14.02.2017

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  • 4083 Wörter

Propaganda in der Ukraine-Krise am Beispiel von Russia Today und Euronews

Michael Barthou

Mit der Ablehnung des EU-Assoziierungsabkommens seitens der ukrainischen Regierung im November 2013 kam es in der Ukraine zu Massenprotesten, die in blutigen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Bevölkerung mündeten. Die Regierung wurde abgesetzt und neu gewählt. Dies war auch er Beginn von Separationsbestrebungen der russischsprachigen Bevölkerung im Osten des Landes und der Annexion der Krim durch Russland.

Russland, die USA und die Europäische Union verfolgen dabei ihre jeweiligen Interessen bzw. Wertehaltungen, die vor allem in den Medien zum Ausdruck kommen. Propaganda wird zur gängigen Methode der Berichterstattung.

Einführung

Die Medien sind in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur etc. allgegenwärtig. Sie nehmen einen zentralen Platz in der Gesellschaft ein und gehören zur allgemeinen Lebenssituation, da sie uns fast überall begleiten. Mit der Nutzung von Massenkommunikation verbringt der moderne Mensch einen wesentlichen Teil seiner Zeit. „Was wir über die Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2009)

Spätestens seit der Annexion der Krim im März 2014 sprechen europäische Medien von einem „Propagandakrieg“, der von Russland gegen westliche Staaten und gegen die Ukraine geführt wird. Europäische und US-amerikanische Medien und Politiker werfen Russland den massiven Einsatz von Propaganda vor. Russland behauptet das Gegenteil. Auch zahlreiche österreichische und deutsche Medien sprechen in weiterer Folge über die Berichterstattung russischer Medien von der Ukraine-Krise als eine einzige Manipulation. Der ukrainische Schriftsteller Tymofiy Havryliv schreibt:

„(...) Die russischen Massenmedien sind zum Gegenteil dessen geworden, was die Grundidee von Berichterstattung ist: Fakten und Analyse zu liefern. Russlands Medien sind eine riesige Maschine, die unaufhörlich Manipulation und Propaganda produziert. Ihr Ziel ist die Beleidigung, Entmündigung und sprachliche Eliminierung. (...)“

In einem eigenen EU-Gipfel gegen die „Desinformationskampagne“ im Ukraine-Konflikt wurde ein Gegenpol zur russischen Propaganda ausdiskutiert und ein europäischer russischsprachiger TV-Sender geschaffen.

Spätestens hier stellen sich die Fragen: „Was ist Propaganda? Was ist das Spezielle, das Wesen des Begriffes Propaganda?“ Und „Woran erkennt man, ob eine Nachricht Propaganda ist oder nicht?“ Natürlich können hier nicht alle Fragen in Kürze beantwortet werden. Gewiss ist jedoch, dass Propaganda bei den meisten Menschen, aufgrund der extensiven Verwendung des Wortes in totalitären Regimen und Kriegen des vergangenen Jahrhunderts, einen negativen und anrüchigen Beigeschmack hat bzw. als Mittel politisch-militärischer Auseinandersetzungen angesehen wird. So produziert dieser Begriff die Vorstellung einer bewussten Irreführung.

Deswegen bleibt der Begriff Propaganda im Alltagsgebrauch unklar. Denn Propaganda wird nicht nur von einer wissenschaftlichen Disziplin behandelt, wobei jede dieser Disziplinen eine andere Sichtweise bzw. ein unterschiedliches Schwergewicht zugrunde legt. Eine genaue allumfassende Definition existiert daher nicht, weil der Begriff auch durch jedes politische System unterschiedlich gedeutet wird.

„Die Auseinandersetzung mit Medien wie RT [Russia Today; Anm.] ist auch deshalb nötig, weil es keine verlässliche Definition gibt, was unter ‚Propaganda‘ oder ‚spin‘, also Meinungsmache, eigentlich zu verstehen ist.“ (Peter Pomeranzev, Putins Krieg gegen die Information, 2014)

Doch welche Inhalte kann ein politisch interessierter Mensch noch glauben, wenn sie von „Massenmedien“ wiedergegeben werden? Ist es nur eine Auswahl bestimmter Medien, die zur wahren Erkenntnis führt, oder hängt es davon ab, wieviele Medien der Einzelne konsumiert?

Eine berechtigte Frage stellt sich in dieser Hinsicht, ob es bestimmte Medien gibt, die gezielt „Propaganda“ forcieren? Oder hängt es nur vom Regierungssystem ab, ob Propaganda betrieben wird? Der Umkehrschluss wäre dann, dass Propaganda von der jeweiligen Regierungsform abhängig ist. Der Politikwissenschaftler und Russlandexperte Gerhard Mangott bringt es auf den Punkt, indem er meint, dass Beobachter aufhören, Beobachter zu sein, und anfangen, sich wie eine Partei im Konflikt zu verhalten:

„Viele Journalisten schreiben so, als müssten sie in dieser Auseinandersetzung für die Ukraine oder Russland Partei ergreifen, als müssten sie auf einer Seite gegen die andere Seite auftreten. Das halte ich für das Bemühen um Wahrheit und Objektivität höchst unzuträglich.“

Definition

Propaganda ist eine Form von Kommunikation von einzelnen Akteuren oder ganzen Systemen, welche über Massenmedien an die jeweilige Zielgruppe beziehungsweise Zielgruppen gerichtet ist.

Propaganda erkennt man daran, dass diese die „Wahrheit“ für sich gepachtet hat, keinen echten Diskurs eingeht und andere Meinungen nur dazu anführt, um diese ins Lächerliche beziehungsweise Absurde zu ziehen. Weiters zeichnet sich Propaganda durch die Nutzung von Verallgemeinerungen, schwer definierbaren Begriffen wie Freiheit oder Gerechtigkeit und Stereotypen aus.

Die Ziele von Propaganda sind die Beeinflussung des Denkens der Mitglieder der Zielgruppe beziehungsweise der Zielgruppen und in weiterer Folge die Durchführung von Handlungen dieser Personen im Sinne der Propaganda. Um dieses zu erreichen, werden Schreckensszenarien aufgebaut und eine Schwarz-Weiß-Logik bedient.

(Michael Barthou, 2015)

Kurzbeschreibung der ausgewählten Medien

Beide Medien sehen sich in ihrer Selbstdarstellung als Gegenpol zur aktuellen Berichterstattung.

Euronews

Euronews existiert seit 1. Jänner 1993 und bezeichnet sich selbst als Europas unabhängiger führender Welt-Nachrichtensender. Die EU subventioniert Euronews mit jährlich fünf Millionen Euro. Der Sender erreicht 400 Millionen Haushalte in 155 Ländern in 15 verschiedenen Sprachen.

Die Aufbereitung der Nachrichten soll keinen sensationellen Aspekt haben, da Euronews meint, dass dies „das Urteil der Zuschauer beeinflusst und verzerrt“. So legt Euronews, laut eigenen Angaben, größten Wert auf eine eigene Meinungsbildung der Zuschauer, die aus genügend Material auswählen können. Des Weiteren soll die Berichterstattung „korrekt[e], wahrheitsgetreu[e], ungeschminkt[e] und schnörkellos[e]“ sein. Das Medium rühmt sich ebenfalls, „ausschließlich Fakten und zwar in der Sprache der Zuschauer“ zu bringen.

Russia Today (RTdeutsch)

Russia Today wurde 2005 in Moskau als englischsprachiger Nachrichtensender ins Leben gerufen, um das Image Russlands in der Welt zu verbessern. Der Sender wird heutzutage laut eigenen Angaben von mehr als 664 Millionen Menschen gesehen und sendet in englischer, spanischer, arabischer und deutscher Sprache (seit 6. November 2014).

Ziel des russisch finanzierten Auslandssenders und des gleichnamigen Online-Portals ist es, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen sowie Medienmanipulationen aufzuzeigen. Das Motto lautet: „Wir zeigen den fehlenden Teil zum Gesamtbild“. Vor allem die Einführung der RTdeutsch-Berichterstattung soll für die deutschsprachige Bevölkerung eine Alternative zu den existierenden Mainstream-Medien sein. Hier wird explizit als Beispiel der Ukraine-Konflikt angeführt, da aus der Sicht von Russia Today darüber manipulativ und sehr einseitig berichtet wird.

Ausgewählte Ereignisse

Um die Nutzung von Propaganda nachzuweisen, griff der Autor einerseits theo­retisch auf Fachartikel im Internet bzw. auf aktuelle Fachliteratur zurück und untersuchte andererseits empirisch Artikel von Euronews und Russia Today (beide online) zu jeweils zwei prominenten Ereignissen im Ukraine-Konflikt.

Die in den Kästen auf dieser und auf den Seiten 192/193 folgenden Botschaften haben sich nach der wissenschaftlichen Bearbeitung der ausgesuchten Artikel der zwei untersuchten Massenmedien ergeben:

Beispiel 1: Herausgearbeitete Botschaften zum Absturz von Flug MH17 über der Ukraine 2014

Euronews:

  • Der vorläufige Untersuchungsbericht des Fluges MH17 stellt als Absturzursache eine externe Einwirkung von Objekten fest.
  • Die Separatisten haben mit einer aus Russland gelieferten BUK-Rakete das Passagierflugzeug Flugnummer MH17 abgeschossen.
  • Der ukrainische Geheimdienst hat mannigfach Beweise für dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
  • Die Separatisten/Rebellen vernichten die Beweise des Flugzeugabsturzes und entfernen Leichen und Material.
  • Die Separatisten lassen Experten keine Beweismittel sichern.
  • Russland ist direkt oder indirekt für den Absturz verantwortlich.

Russia Today:

  • Es gibt keine Beweise für die Absturzursache.
  • Der vorläufige Untersuchungsbericht entlastet die Separatisten als mögliche Täter.
  • Die ukrainische Armee hat über der Volksrepublik Donezk mit einer BUK-Rakete das malaysische Passagierflugzeug MH17 abgeschossen.
  • Das Vorgehen gegen Russland bzw. die eindeutige Schuldzuweisung sind rein durch politische Interessen motiviert.
  • Die Volksrepublik Donezk hat versucht, ein solches Unglück zu verhindern.
  • Es gibt kein Anzeichen, dass internationale Experten an den Absturzort kommen möchten.
  • Die Ukraine ist alleine und gänzlich für den Abschuss von MH17 verantwortlich.

Analyse Beispiel 1: Absturz MH17 im Juli 2014

Bei der Analyse der beiden unterschiedlichen Medien fällt auf, dass beide den vorläufigen Untersuchungsbericht zum Absturz von MH17 anerkennen und als Unfallursache von einer externen Einwirkung von Objekten ausgehen. Hier enden bereits die Gemeinsamkeiten.

Bei Euronews sind die Botschaften eindeutig prowestlich, ergreifen Partei für die Ukraine und richten sich gegen die Separatisten und Russland. Gleich zu Beginn der Berichterstattung wurden die Separatisten als die Verantwortlichen für das Unglück ausgemacht:

„Der ukrainische Geheimdienst SBU veröffentlichte Karten, die zeigen sollen, wo die Separatisten Geschütze auffuhren, mit denen sie laut Kiew die Boeing abgeschossen haben sollen.“ (Euronews online, 18.07.2014)

Vor allem prangert Euronews die Behinderung der Beweismittelsicherung in der Ostukraine an, wobei den Separatisten massive Beweismittelvernichtung vorgeworfen wird. Auch wird die Verwicklung Russlands in diesen Absturz immer wieder erwähnt beziehungsweise in den Raum gestellt.

Im Gegensatz dazu agiert Russia Today eindeutig proseparatistisch und prorussisch. Bereits am Tag des Absturzes und am Beginn der Berichterstattung wird die Ukraine indirekt als Täterin genannt, indem ein Vertreter der „Volksrepublik Donezk“ behauptet, dass der Unfall eine Provokation des ukrainischen Militärs gewesen sei. (Russia Today deutsch, 17.07.2014). Eine Verwicklung separatistischer Kräfte oder Russlands wird dabei immer ausgeschlossen.

 

Bei der Berichterstattung über dieses Thema spielt auch die unterschiedliche Benennung der „Separatisten“ eine wesentliche Rolle, die entweder eine patriotische Bedeutung übernimmt beziehungsweise genau das Gegenteil ausdrücken soll. Euronews bezeichnet dabei die Separatisten unter anderem als „prorussische Rebellen“, „Aufständische“, „Terroristen“, „Bastarde“ etc. Russia Today wählt Begriffe wie „ostukrainische Selbstverteidigungseinheiten“, „Milizionäre“, „Opposition“ etc. Das Wort „Separatisten“ wird in beiden Medien verwendet.

Wichtig für den Aspekt der Propaganda ist die gebetsmühlenartige Wiederholung dieser Anschuldigungen von beiden Medien in fast allen untersuchten Artikeln zu diesem Ereignis. Ebenfalls werden in beinahe jedem Artikel von Euronews und in jedem von Russia Today angebliche Beweise, Zeugen, Experten und Politiker präsentiert. Russia Today sorgt in seiner Berichterstattung dafür, dass die Separatisten als Opfer falscher Berichterstattung und quasi als „Selbstverteidiger“ ihrer Heimat dargestellt werden.

Vor allem Russia Today arbeitet mit der Erzeugung von Emotionen. So wird zum Beispiel zwischen den Absätzen mittels der Schilderung der Absturzstelle und den dort vorgefundenen Leichen Emotion erzeugt: „Soldiers told us that there are bodies scattered all around the area“ (Russia Today online, 17.07.2014). Und Experten sollen zunächst einen neutralen Eindruck über die Situation gegenüber dem Leser hinterlassen, indem sie offensichtlich nicht wissen, wer MH17 abgeschossen haben könnte, jedoch als Nachsatz die Vermutung abgeben, dass es doch am wahrscheinlichsten nur die Ukraine gewesen sein könnte. Auch ein Verweis auf einen ukrainischen Abschuss einer russischen Maschine vor zehn Jahren soll diese Vermutung untermauern.

Euronews begann am 9. September 2014 mit einer neutralen Berichterstattung über den vorläufigen Untersuchungsbericht. Keine Verantwortlichen werden genannt, keine Anschuldigungen vorgebracht. Das ändert sich am Tag darauf. Darin wirft, laut der Artikelüberschrift, Russland der Ukraine vor, Schuld am Absturz zu sein (Euronews online, 10.09.2014). Implizit drehen die Art und Weise beziehungsweise die Reihenfolge der Vorwürfe und der darauffolgenden Verteidigung die Botschaft um. Die Vorgehensweise erinnert an ein Gerichtsverfahren. Das heißt, es wird zuerst die „Anklage “ zitiert, dann die „Verteidigung“. Das letzte Wort hat das gewichtigere Argument und entlastet so die Ukraine wieder. Die russische Argumentationslinie wird oberflächlich und auf einem schwer bis nicht nachvollziehbaren Niveau wiedergegeben.

Am 30. März 2015 bringt Euronews wieder einen Artikel über MH17. Diesmal werden „Zeugen für [einen] möglichen Abschuss“ (Euronews online, 30.03.2015) gesucht. Dabei wird ein Videomitschnitt präsentiert, der beweisen soll, dass Separatisten den Abschuss verübt hätten. Das Video selbst beweist nichts, außer dem Abschuss einer BUK-Rakete. Aber alleine durch die Existenz dieses Videos wird eine Beweiskraft suggeriert, dass es genau diese Rakete war, die MH17 traf. Dazu wird ein Telefonmitschnitt zwischen Separatisten präsentiert, der eine Mitverantwortung vorspiegelt. Gleichzeitig werden dadurch die ukrainischen Kräfte freigesprochen.

Russia Today bringt ebenfalls am 30. März 2015 einen Artikel heraus, in welchem Russia Today wieder die Rolle des „Aufdeckers“ einnimmt. Russia Today beschuldigt dabei die „internationale“ Nachrichtenagentur Reuters, die Aussagen eines Augenzeugen zulasten der Separatisten verfälscht wiedergegeben zu haben. Das „international“ steht dabei für den Westen. Dabei wird suggeriert, dass die eingeschworene westliche Staatengemeinschaft bewusst lügt, um den Separatisten und Russland die Schuld für den MH17-Absturz zu geben.

„Für die politische Führung in Kiew und ein Gros westlicher Staaten war der Schuldige am Absturz umgehend klar. Sie klagten bis heute, ohne stichhaltige Beweise vorlegen zu können, die ostukrainischen Selbstverteidigungseinheiten als auch Russland direkt an.“ (Russia Today deutsch, 30.03.2015)

Beispiel 2: Herausgearbeitete Botschaften zum Minsker Abkommen II

Euronews:

  • Die Ukraine tut alles für den Frieden - die Separatisten nicht.
  • Die Separatisten halten sich nicht an Waffenruhe, die ukrainische Armee schon.
  • Ukrainische Truppen sind Opfer.
  • Die EU will Frieden, Russland nicht.
  • Den Separatisten und Russland kann nicht vertraut werden.

 Russia Today:

  • Die Separatisten halten sich an Abkommen, die ukrainische Armee nicht.
  • Die Volksrepublik Donezk ist verhandlungsbereit und will Frieden, die Ukraine nicht.
  • Die ukrainische Armee ist nicht vertrauenswürdig.
  • Russland steht für eine unabhängige Überwachung des Minsker Abkommens.
  • Es gibt eine Verschwörung der USA gegen Russland, die westeuropäischen Staaten werden als Handlanger eingesetzt.

Analyse Beispiel 2: Minsker Abkommen II vom 11. Februar 2015

Bei der Analyse der Inhalte beziehungsweise der Kernaussagen von Euronews und Russia Today fällt auf, dass beide grundsätzlich das Minsker Abkommen II als solches respektieren. Hier enden wiederum die Gemeinsamkeiten. Euronews agiert etwas subtiler in der Verbreitung seiner Botschaften als Russia Today. Inhaltlich stehen sich die beiden Medien jedoch in nichts nach.

Bei der Berichterstattung über das Minsker Abkommen II werden einige Prinzipien der Kriegspropaganda von beiden Medien aktiv angewendet, was in den Kästen angeführten Kernaussagen und Botschaften klar ersichtlich ist. Diese werden mit Zitaten untermauert wie unter anderem bei Euronews „Unser Ziel ist der Friede“, „Wir wollen keine Sanktionen aussprechen“ (Euronews online, 20.02.2015) und bei Russia Today „Kampf gegen die eigene Bevölkerung“ (Russia Today deutsch, 25.02.2015), „(...) eine Antwort unsererseits, zu provozieren“ (Russia Today deutsch, 16.02.2015) etc.

Kurz nach dem offiziellen Beginn des Waffenstillstandes in der Ostukraine zwischen den beiden Konfliktparteien berichtete am 16. Februar 2015 Euronews mit dem scheinbar neutralen Titel: „Waffenruhe auf dem Prüfstand: Konfliktparteien in der Ostukraine beschuldigen sich gegenseitig“. Geht man in die Tiefe des Textes treten einige semantische Feinheiten hervor. So werden die Aussagen eines Separatistenanführers als Behauptung desselben angeführt, während die Aussagen des Sprechers der ukrainischen Armee als Tatsachen dargestellt werden, die viel ausführlicher die Worte des Separatisten widerlegen. Die zusätzliche Anführung von hohen Verlusten der ukrainischen Armee gegenüber viel weniger Gefallenen bei den Separatisten soll die ukrainische Armee dabei als Opfer erscheinen lassen.

Russia Today veröffentlicht am selben Tag ebenfalls einen Artikel über die vereinbarte und brüchige Waffenruhe. Der Titel „Plant Kiew gezielte Provokationen zur Unterminierung der Waffenruhe?“ (Euronews online, 16.02.2015) soll jedoch keine Frage darstellen, sondern ist bereits eine Feststellung. Durch die Bezeichnung der Auskunft gebenden Person als „Vize­stabschef der Milizen der selbsterklärten „Volksrepublik Donezk“ wird gleichzeitig suggeriert, dass es sich hierbei um einen bereits gut strukturierten Staat handelt, der Probleme erkennt und für konstruktive Gespräche bereit ist. In weiterer Folge werden Waffensysteme und die dazugehörigen Stellungen genau beschrieben, was die Glaubwürdigkeit der Aussagen nochmals unterstreicht. Zusätzlich wird eine offensichtlich von der Ukraine gezielt geplante Provokation gegenüber den Separatisten aufgezeigt, die sich quasi in weiterer Folge verteidigen müssten.

Ein Artikel von Euronews vom 19. Februar 2015 präsentiert sich in den ersten Absätzen als eine objektive Berichterstattung über die Ukraine-Krise. Eine offene Verhandlungsbereitschaft aller Konfliktparteien, Russlands und der EU wird vorgegeben. Im Laufe des Artikels wird jedoch der Verteidigungsminister der selbst ausgerufenen Volksrepublik mit den Worten zitiert: „Wenn sie jetzt welche schicken, dann haben wir nichts dagegen“. Im folgenden Text wird insinuiert, dass UN-Truppen zur Friedenssicherung kommen können, aber mit keiner Unterstützung der Separatisten zu rechnen brauchen, was letztlich einer Ablehnung der Beteiligung der UNO und der westlichen Staatengemeinschaft gleichkommt. Auch wird in weiterer Folge der Verteidigungsminister selbst als Separatist angesprochen. Kurz: Der Beitrag relativiert am Ende die Aussagen der Separatisten durch Tatsachenberichte der ukrainischen Armee, die das genaue Gegenteil behauptet (Euronews online, 19.02.2015).

Russia Today kontert am selben Tag mit einem Beitrag, der zum Inhalt hat, nicht jeden Tag neue Vorschläge zu machen, sondern einfach das Minsker Abkommen II umzusetzen. Russland wird dabei als Hüter des Minsker Abkommens dargestellt. Beide Konfliktparteien (ukrainische Armee und Separatisten) werden als Bürgerkriegsparteien auf eine Ebene gestellt (Russia Today deutsch, 19.02.2015). Es kommen in weiterer Folge Aussagen der ukrainischen Seite, die im Anschluss durch Russia Today mit der Betonung auf „völlig unrealistisch“ entkräftet werden und gleichzeitig die Absurdität der ukrainischen Vorschläge ausdrücken sollen. Die Bedeutung des Wortes „Demarkationslinie“ unter Anführungszeichen soll aussagen, dass die derzeitige Situation der Waffenstillstandslinie nicht endgültig sein kann. Zugleich wird mit dem unter Anführungszeichen stehenden „unkontrollierten“ Grenzübergängen zu Russland suggeriert, dass bereits ein organisierter und kontrollierter Grenzverkehr durch die Separatisten stattfindet.

Russia Today verbreitet am 23. Februar 2015 Putschgerüchte gegen den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, der nicht mehr Herr der Lage wäre, die Einhaltung des Minsker Abkommens II zu garantieren (Russia Today deutsch, 23.02.2015). Dabei werden ein nicht näher genannter „Politikwissenschaftler“ sowie ultranationalistische ukrainische Abgeordnete zitiert. Zusätzlich wird Poroschenko selbst ins Lächerliche gezogen, indem ein Großteil des ukrainischen Parlamentes seine „friedlichen“ Bemühungen zur Lösung des Konfliktes nicht billigt. Hier soll mit der Definierung "friedlich" unter Anführungszeichen suggeriert werden, dass Poroschenko eben keinen Frieden will. Vor allem wird die faschistische Gefahr gezeigt, die von der Ukraine ausgeht beziehungsweise ausgehen kann. Untermalt wird der Artikel mit Fotos von rechtsradikalen Kämpfern und von Kriegsschäden mit Verwundeten, was emotional wirken soll und Empathie für die Separatisten und Russland schafft.

Am 24. Februar 2015 veröffentlicht Russia Today einen Beitrag, worin Kiew vorgeworfen wird, das Minsker Abkommen zu boykottieren und falsche Informationen in die Welt zu setzen (Russia Today deutsch, 24.02.2015). Der Text macht in weiterer Folge glauben, dass die Separatisten die Waffenruhe nicht gebrochen haben und dass es eine Verschwörung der USA gegen Russland gebe, wobei die europäischen Staaten - allen voran Deutschland - als Handlanger eingesetzt werden.

Das genaue Gegenteil vom o. a. Russia Today-Artikel behauptet der Euronews-Beitrag vom 25. Februar 2015. Hier kommt gleich mit der Überschrift „Ostukraine: Rebellen bewegen stellenweise Artillerie, Armee bezweifelt Ernsthaftigkeit“ klar zum Ausdruck, dass man den Separatisten einfach nicht trauen kann (Euronews online, 24.02.2015). Ein „Rebellenkommandeur“ wird zitiert, dass seine Truppen ihr Gerät zwar wegbewegen, jedoch nicht überall. Gleichzeitig werden Berichte von Journalisten wiedergegeben, die den Transport schwerer Geschütze der Separatisten Richtung Frontlinie gesehen haben. Dabei wird die ukrainische Armee als seriöser Player dargestellt, der sich an das Abkommen halte, im Gegensatz zu den dubiosen Machenschaften der Rebellen, die sich hier nur umgruppieren, um weiterzukämpfen.

Am 25. Februar veröffentlicht Russia Today einen Beitrag, in welchem es die Ukraine als ein sich im „Waffenrausch“ befindliches Land bezeichnet (Russia Today deutsch, 25.02.2015). Dabei wird der Ukraine unterstellt, regelrecht nach neuem Kriegsgerät zu „betteln“. So genannte Experten, deren Namen und Herkunft nicht genannt werden, geben ihre Einschätzung der Lage ab, die eine Modernisierung der ukrainischen Armee durch die NATO und eine Verschwörung des Westens sehen.

Euronews publiziert am 5. März 2015 einen Artikel mit dem Inhalt, dass die Ukraine nun zusätzliche Soldaten mobilisiere, um endlich den „Aggressor“, sprich die Separatisten, stoppen zu können (Euronews online, 05.03.2015). Die kritischen Aussagen Russlands zur Ukraine, dass diese ausländische Waffen und Ausrüstung bekomme, um weiter zu kämpfen, wird bewusst als Hetze gegen die USA abgetan. Am Ende des Beitrages wird wiederholt auf die Friedensbemühungen der Ukraine hingewiesen.

Überschneidende Auffälligkeiten

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Länge der einzelnen Beiträge von Russia Today im Durchschnitt das Doppelte bis Dreifache von jenen von Euronews beträgt. Auffällig sind bei Russia Today die eingefügten, meist symbolischen Fotos, die zusätzlich Emotionen wecken und den Westen (meistens die USA) als Aggressor darstellen. Dies ist bei Euronews nicht der Fall, was aber die propagandistischen Aussagen der Artikel deswegen nicht mindert. Ebenfalls ausgeprägt ist bei beiden Medien, dass Meinungen, die gegen die interne festgelegte Richtung sind, durch das Lächerlich-Machen herabgesetzt werden. Dies erfolgt in umso stärkerer Form, je glaubhafter die andere Seite etwas darzustellen versucht. Dies kann bis zur völligen Bloßstellung der „gegnerischen“ Berichterstattung führen.

Ebenfalls bedient sich Russia Today so genannter „Experten“, welche jedoch meist ohne Namen und Herkunft genannt werden. Dies soll umso mehr den Eindruck einer seriösen Berichterstattung widerspiegeln. Vor allem einfache und auch nichtssagende Worthülsen finden auf beiden Seiten Verwendung, zumal die Rezipienten hier das meiste hineininterpretieren können. Der Spin, in welche Richtung es geht, kommt jedoch vom Medium selbst beziehungsweise erfolgt durch den jeweiligen Inhalt der Artikel.

Conclusio

Euronews und Russia Today unterscheiden sich nur marginal, aber augenfällig bei der Anzahl der untersuchten Artikel bei der Nutzung von aggressivem Wording. Man kann also sagen, dass Euronews sich bei der Wortwahl etwas zurückhält, aber nicht bei der Eindeutigkeit von Schuldzuweisungen und der Kenntnis der „Wahrheit“.

Euronews gibt eine westliche Sichtweise wieder, während Russia Today russische „Verschwörungstheorien“ aufs Tapet bringt. Da die westliche Sichtweise beim zugrundeliegenden Konflikt von einem russischen Aggressor ausgeht, aber vice versa die russische Seite eine westliche Verschwörung (EU und USA) gegen russische Interessen annimmt, nehmen die Medien diametrale Standpunkte ein. Aufgrund der Tatsache, dass beide Medien nicht „unabhängig“ sind, sondern jeweils eine Exekutive dahinter steht (EU-Kommission beziehungsweise russische Regierung), ist eine Einseitigkeit im Sinne der Propagandadefinition nachvollziehbar.

Diese eklatante Nutzung von Propaganda in dem zu Grunde liegenden Konflikt ist offensichtlich nicht nur auf die hier untersuchten Medien beschränkt; Fachleute bestätigen, dass aufgrund der ideologischen Vereinnahmung des Konfliktes durch die handelnden Parteien und ihre „Verbündeten“ die jeweils nationalen Medien bewusst (Russland, aber auch der Westen) oder auch unbewusst (Westen) propagandistische Züge angenommen haben. Die untersuchten Medien als direkt der Exekutive zurechenbare Organe beweisen diesen Trend.

Aufgrund der politischen und kulturellen Entwicklung der Ukraine ist die Haltung Russlands verständlich. Russia Today als russisch gesteuertes Medium tritt für Separatisten und gegen die Ukrainisierung ein beziehungsweise lehnt das weitere Vordringen des Westens in die russische Einflusssphäre ab.

Euronews, als von der EU-Kommission initiiertes Medium, vertritt eindeutig eine prowestliche Argumentationslinie. Hier spielt auch die Maidan-Bewegung, die NATO-Osterweiterung und die angestrebte EU-Erweiterung mit der Ukraine eine wesentliche Rolle. Dies führt zu einer enormen Polarisierung der Berichterstattung über die Ukraine-Krise - gerade wenn es um Grundsätzliches geht, wie NATO versus Russland oder die geopolitische Konkurrenz zwischen Russland und den westlichen Staaten. Diese weltanschaulichen Gräben sind komplex, polarisieren und führen zu Verzerrungen des Bildes der Ukraine-Krise in den Medien. Gerade Medien mit propagandistischem Charakter setzten dabei auf eine offizielle „Klarstellung“ der Fakten. Dies betrifft sowohl Euronews als auch Russia Today.

Auch wenn es selbst für demokratische Staaten, im Gegensatz zum autoritären Russland, notwendig erscheinen mag, Gegenpropaganda zu betreiben, so sollte doch sowohl von der freien Presse, wie Presseorganen von Regierungen als auch von sonstigen Exekutiven die journalistische Sorgfalt eingehalten und von tendenziellen Berichterstattungen ohne tatsächlich fassbaren Fakten Abstand genommen werden.

Die Nutzung von Propaganda ist nicht auf die autoritäre Staatsform Russlands zurückzuführen, weil die Europäische Union als demokratisches Rechtssubjekt genauso auf (Gegen-)Propaganda zurückgreift. Es hat sich gezeigt, dass die Konstruktion von Wirklichkeiten beziehungsweise der Realität in den Medien allgegenwärtig zu sein scheint, unabhängig von der Staatsform.

Michael Barthou

Der Beitrag ist ein Auszug aus der Masterarbeit des Autors „Propaganda in ausgewählten Medien in Bezug auf den Ukraine-Konflikt“ an der Universität Wien.

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Meinungen (2)

  • SwissLynx // 01.09.2016, 08:50 Uhr Guter Artikel, weil u.a. logisch u. nachvollziehbar belegte Aussagen und Erkennisse aufgeführt werden.
  • SCHMIEDJELL Anton // 19.12.2016, 11:08 Uhr Sehr interessanter Beitrag; verständlicherweise haben hier tiefer gehende Ausführungen nicht den Raum in diesem Medium.
    Einen bescheidenen Hinweis in der Materie der Informationsoperationen darf ich hier geben: Es gibt eine sehr aufschlussreiche Untersuchung über den Zusammenhang von militärischen Operationen und die dazu gehörige Berichterstattung.
    Jörg Becker, Mira Beham: Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod. 1.Auflage 2006, Nomos-Verlag.
    Das Buch umfasst nur 130 Seiten, die sind aber brisant und werfen einen entlarvenden Blick auf unsere Medien und die Berichterstattung. - Sollte man unbedingt gelesen haben !