• Veröffentlichungsdatum : 13.04.2022
  • – Letztes Update : 11.05.2022

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Psychological Operations - Teil 4

Alexander Schiller

Die Migrations- und Flüchtlingskrise war das beherrschende Thema des Jahres 2015. Ab dem Sommer nahm der Zustrom von Menschen nach Europa eine Dimension an, die einen Assistenzeinsatz des Bundesheeres an der Staatsgrenze erforderlich machte. Ein wesentliches Element, das sich bei diesem Einsatz beweisen konnte, war die Abteilung PsyOps der Auslandseinsatzbasis mit ihren taktischen Lautsprechertrupps und dem Einsatzkamerateam.

Im August und September 2015 kam es zu einem starken Anstieg von Flüchtlingsbewegungen entlang der Balkanroute (Türkei, Griechenland, Nordmazedonien, Serbien, Ungarn, Slowenien) nach Zentraleuropa. Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX waren dort mehr als 760 000 Personen unterwegs. An den Grenzübertrittstellen von Ungarn nach Österreich kam es zu einem regelrechten Ansturm von Migranten, der durch die Polizeikräfte vor Ort nicht mehr alleine bewältigt werden konnte.

Mit dem Ministerratsbeschluss vom 14. September 2015 wurde von der österreichischen Bundesregierung ein Assistenzeinsatz des Bundesheeres in der Stärke von bis zu 2 200 Soldaten festgelegt, um das Innenministerium bei der Beherrschung der Lage zu unterstützen. In den ersten Wochen lag das Schwergewicht des Einsatzes am Grenzübergang Nickelsdorf im Burgenland, wo das Jägerbataillon 25 als verantwortliches Kommando eingesetzt war. Auf Initiative der Abteilung Joint Information Operations (JInfoOps) des damaligen Streitkräfteführungskommandos wurden am 20. September 2015 auch Teile der Abteilung PsyOps der Auslandseinsatzbasis alarmiert. Diese wurden zur Unterstützung der Einheiten zum Grenzübergang Nickelsdorf entsandt.

Der Einsatz

Der Auftrag an die PsyOps-Kräfte lautete: „Das PsyOps-Element informiert, lenkt und leitet mittels gezielten und abgestimmten Lautsprecheraufrufen und Kommunikationsmaßnahmen die ankommenden hilfs- und schutzbedürftigen Fremden (hsF) und unterstützt so die Einsatzführung im Bereich der Grenzkontrollstellen. Das Einsatzkamerateam dokumentiert mithilfe von Foto- und Videoaufnahmen den sihpol/AssE vor Ort und trägt so zum Lagebild der Einsatzführung bei“.

Das Element bestand aus acht Soldaten und setzte sich zusammen aus

  • einem Führungselement (zwei Offiziere),
  • zwei taktischen Lautsprechertrupps (vier Unteroffiziere) und
  • einem Einsatzkamerateam (zwei Unteroffiziere).

Als spezifische Ausrüstung verfügte das PsyOps-Element über zwei tragbare Lautsprechersysteme (MANPACK LSA-2011), digitale Foto- und Videokameras sowie mobile Schnittrechner. Erstmalig kam das, unmittelbar zuvor durch das Heereslogistikzentrum Salzburg fertiggestellte, Lautsprecherfahrzeug IVECO „HUSAR“ PsyOps zum Einsatz. Dieses Spezialfahrzeug bewährte sich bereits nach kurzer Zeit und wurde zu einem Schlüsselelement der Einsatzführung.

Nickelsdorf (21. September bis Oktober 2015)

Der Einsatz in Nickelsdorf gestaltete sich, wegen der großen Anzahl täglich ankommender hilfs- und schutzbedürftiger Fremden (hsF), wie die Migranten bundesheerintern bezeichnet wurden, von Beginn an als intensiv. Die acht PsyOps-Soldaten wurden in einem durchgehenden Schichtsystem mehrmals täglich direkt an der Grenzübertrittstelle eingesetzt.

Rasch wurde klar, dass der Andrang von tausenden Menschen nur mit gezielter Information und Kommunikation einigermaßen geordnet bewältigt werden konnte. Mit Unterstützung von Kadersoldaten, die aufgrund ihrer familiären Hintergründe über Sprachkenntnisse in Arabisch und Dari/Farsi verfügen, konnte die Zielgruppe mit gezielten Lautsprecheraufrufen und einfach gestalteten Printprodukten informiert und geleitet werden.

Das Einsatzkamerateam dokumentierte mithilfe von Videoaufnahmen die Lage vor Ort und übermittelte diese in regelmäßigen Abständen an das operative Kommando in Graz. Nach drei intensiven Wochen vor Ort schloss Ungarn die Grenzen zu Serbien. Daraufhin verlagerte sich das Schwergewicht des Einsatzes an die Grenzübertrittstelle Spielfeld in der Steiermark. Das Streitkräfteführungskommando entschied, das PsyOps-Element aus Nickelsdorf abzuziehen und mit dem gleichen Auftrag in Spielfeld einzusetzen.

Spielfeld (20. Oktober 2015 bis 8. März 2016)

Die Situation an der Grenzübertrittstelle Spielfeld (Bundesstraße) stellte sich, im Vergleich zu Nickelsdorf, schon aufgrund der lokalen Verhältnisse vor Ort, deutlich schwieriger dar. Das Gelände in Nickelsdorf war durch die dort vorhandene Parkfläche offen und weitläufig. Dadurch war es möglich, tausende Menschen durch geeignete Lenkungsmaßnahmen in aufgelockerten Warteräumen zu sammeln. Die Grenzübertrittstelle an der Bundesstraße in Spielfeld befindet sich jedoch in einem stark kanalisierenden Geländeteil. Dieser ist beidseitig begrenzt, im Osten durch die Böschung der Autobahn A9 und im Westen durch einen Hang mit einer dort verlaufenden Eisenbahntrasse. Am Grenzübergang selbst wurden in den Tagen zuvor bereits Vorkehrungen für die temporäre Unterbringung von etwa 500 Personen in Zelten getroffen. Die vorbereitete Ablauforganisation und die Anzahl der Unterkünfte waren jedoch zu keiner Zeit für mehrere Tausend Menschen ausgelegt.

Am 22. Oktober 2015 musste der Parkplatz vor dem Sammellager (südöstlich des Zollamtes) für die vielen Menschen geöffnet werden. Dort harrten etwa 3 500 Personen unter schwierigen versorgungsmäßigen sowie hygienischen Bedingungen aus und warteten auf ihren Weitertransport. Am nächsten Tag (dem 23. Oktober) kam es dort zu einem schwerwiegenden „Zwischenfall“. In den Morgenstunden breitete sich unter den Migranten das Gerücht aus, dass die Grenze zu Deutschland – das deklarierte Reiseziel der meisten Personen – nur wenige Kilometer entfernt sei. Vermutlich kam es wegen der Nähe zur steirischen Ortschaft Deutschlandsberg, die auf Google Maps einfach zu finden ist, zu dieser folgenschweren Verwechslung.

Durch dieses Gerücht und die vorhergehende Nacht am Parkplatz entwickelte sich eine nicht mehr aufzuhaltende Dynamik unter den Migranten. Tausende marschierten gleichzeitig los, um ins vermeintlich naheliegende Deutschland zu gelangen. Die Bilder der sich in Richtung Straß und Spielfeld marschierenden Menschenmenge, waren in allen österreichischen Medien zu sehen und wurden in der Öffentlichkeit stark diskutiert. Mithilfe der Durchsagen des PsyOps-Lautsprecherfahrzeuges konnte im Laufe des Tages die Mehrheit der losmarschierten Menschen zur Umkehr bewogen und mit Bussen wieder nach Spielfeld gebracht werden. Damit war die Situation vor Ort bis zum Abend wieder unter Kontrolle. 

Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig das Beherrschen von Menschenmengen sein kann und wie wichtig eine gezielte Information und Kommunikation gerade in einer solchen Situation ist. In den darauffolgenden Tagen verschärfte sich die Lage vor Ort zusehends, und die Zeltstadt an der Grenze war weit über ihre Kapazitätsgrenzen hinaus belegt. Die Einsatzführung in Spielfeld war schließlich dazu gezwungen, den Zutritt von Slowenien mit technischen Maßnahmen (Absperrgittern) zu organisieren, um den weiteren Zustrom zu verlangsamen. In der Folge kam es dort immer wieder zu teilweise gefährlichen „Überdruckszenarien“. 

Durch den Einsatz der Lautsprechertrupps konnte beruhigend auf die Menge eingewirkt werden. Das führte aufgrund der angespannten Situation aber nicht immer zum Erfolg. Wenn der Druck auf die Absperrung zu groß wurde, musste dieser Bereich temporär geöffnet werden. Die nun hereinströmenden Menschen wurden dann mithilfe der mobilen Lautsprechertrupps wieder „eingesammelt“ und danach geordnet in einen Auffangraum geleitet. In den folgenden Wochen wurde die Situation vor Ort durch den Ausbau der Grenzinfrastruktur schrittweise entschärft und schließlich in ein koordiniertes Grenzmanagement übergeführt.

Die ersten Tage und Wochen waren für die beteiligten Einsatzkräfte in Spielfeld eine Extremsituation, die in diesem Ausmaß bis dahin einzigartig war. Die Lage wurde durch Medien aus dem In- und Ausland ständig beobachtet und kommentiert. Aufgrund der schwierigen lokalen Gegebenheiten (im Vergleich zu Nickelsdorf) ist es vor allem den eingesetzten Kräften zu verdanken, dass diese Situation beinahe immer unter Kontrolle blieb und niemand gravierend zu Schaden kam.

Bewertung des Einsatzes

Durch die verantwortliche Einsatzführung der Polizei und des Bundesheeres wurde mehrmals betont, dass die Bewältigung dieser Situation ohne den Einsatz des PsyOps-Elementes mit seinen Lautsprechersystemen nicht möglich gewesen wäre. Die Lautsprechersysteme der Abteilung PsyOps sind in Österreich einzigartig. Keine andere Einsatzorganisation verfügt über eine vergleichbar leistungsfähige Ausrüstung. Somit hat das Bundesheer nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal, sondern ein Gerät, das bei vielen Szenarien verwendet werden kann. 

Der Einsatz an der Staatsgrenze zeigte deutlich, dass die Weitergabe von Informationen bzw. Lautsprecheraufrufe bei Menschenmengen sensibel ist und nur durch speziell ausgebildetes Personal erfolgen kann. Schließlich besteht bei einer falschen oder unsachgemäßen Anwendung die Gefahr, dass die Situation eskaliert. Lautsprechersysteme sind somit wie ein „Waffensystem“ zu betrachten. Ihre Handhabung, vor allem jedoch das lageangepasste und abgestimmte Erstellen der Durchsagen, erfordert eine intensive und professionelle Ausbildung des Fachpersonals und ein hohes Verantwortungsbewusstsein.

Durch den fordernden und intensiven Einsatz wurden aber auch Schwächen der Abteilung PsyOps in personeller und materieller Hinsicht sichtbar. So konnte die geringe Mannstärke nur durch die Motivation und Leistungsbereitschaft des eingesetzten Personals kompensiert werden. Vor allem die – auch international unübliche – Besetzung der taktischen PsyOps-Teams mit lediglich zwei Soldaten war und ist eine Herausforderung. Des Weiteren wurde der dringende Bedarf von Soldaten mit entsprechenden Sprachkenntnissen deutlich. So konnten Aufrufe in den Sprachen der Zielgruppe (z. B. Arabisch oder Farsi) nur durch die Unterstützung an Soldaten anderer Verbände durchgeführt werden.

Der zu Beginn noch dringende Ausrüstungsbedarf der Abteilung PsyOps konnte durch die rasche und unbürokratische Unterstützung mit dem Ankauf von Material durch die Abteilung InfoOps des Streitkräfteführungskommandos kompensiert werden. Der zukünftige Bedarf an weiterer moderner Ausrüstung (Lautsprechersysteme, digitale Medien, Foto- und Videogerät) ist jedoch evident. So könnte gerade in solchen Szenarien durch ein System zur Video-Echtzeitübertragung ein unmittelbarer Beitrag zum aktuellen Lagebild für das vorgesetzte Kommando geliefert werden.

Der Einsatz bei der Bewältigung der Migrations- und Flüchtlingskrise war für die Abteilung PsyOps eine Bewährungsprobe. Durch die Motivation und Professionalität der eingesetzten Soldaten konnte sie jedoch erfolgreich bewältigt werden. Zugleich wurde eindrucksvoll bewiesen, dass PsyOps ein professionelles Element der Kommunikation in einem solchen Szenario ist und damit ein Schlüssel zur erfolgreichen Einsatzführung.

Oberstleutnant Mag.(FH) Alexander Schiller; Leiter der PsyOps-Abteilung der Auslandseinsatzbasis. 

 

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