• Veröffentlichungsdatum : 09.06.2023
  • – Letztes Update : 12.06.2023

  • 3 Min -
  • 604 Wörter
  • - 1 Bilder

Sind wir für die urbane Einsatzführung vorbereitet?

Peter Hofer

Ein Einsatz im urbanen Raum stellt eine hohe Belastung für die eingesetzten Kräfte dar. Nicht ausreichend ausgebildete Truppen dürfen dort nicht zum Einsatz gebracht werden. Also Hand aufs Herz – sind wir mit den in Österreich verfügbaren Trainingsanlagen, -mitteln und -inhalten wirklich für einen Einsatz in einer Großstadt gegen einen initiativ kämpfenden Gegner vorbereitet? Stellen Sie sich diese Frage beim nächsten Aufenthalt auf einem der zentralen Plätze einer Stadt – am besten bei einem urbanen Nahverkehrsknoten. Dann werden Sie erkennen, dass drei bestimmende Größen urbaner Einsatzführung noch nicht ausreichend berücksichtigt sind – nämlich Größe, Bewegungsebenen und Komplexität.

In Ortskampfanlagen trainieren Soldaten nur die Gefechtstechnik im bebauten Gelände, und auch die Urbane Trainingsanlage (UTA) Steinbach ist mitnichten eine solche! Urbanität bedeutet Größe – ein kleiner Dorfweiler ist noch kein urbanes Umfeld. Dieses wird hingegen durch große räumliche Ausdehnung, unterschiedliche Zonen mit wechselnder Bebauung, vielfältige Subsysteme und Serviceinfrastrukturen charakterisiert und in den allermeisten Fällen auch weiter bewohnt werden.

Daraus erwächst ein hohes Potenzial für Kollateralschäden und unerwartete Wechselwirkungen. Unübersichtlichkeit, stark kanalisierende Bewegungsmöglichkeiten, vielfältige Bedrohungen aus allen Richtungen – also auch von oben und von unten – sind zu berücksichtigen. Die eigenen Kräfte sind in ihrer ganzen Tiefe feindlicher Einwirkung ausgesetzt und so sind ebenso Einsatzunterstützung und Führungsunterstützung entscheidend für das Überleben und den Erfolg. Die Größe der betroffenen Zivilbevölkerung belastet die Einsatzführung zusätzlich (Schutz und Hilfe).

Der urbane Einsatzraum erstreckt sich über drei Bewegungsebenen (Triple-S: Supersurface – Surface – Subsurface). Nur wer alle drei Ebenen als taktisch zusammengehörenden Raum (Gelände ist eigentlich ein unpassender Begriff) versteht und in die Beurteilung miteinbezieht, wird das urbane Umfeld auch wirklich verstehen und beherrschen. Die laufende räumliche und zeitliche Synchronisation der Kräfte auf den verschiedenen Bewegungsebenen ist eine große Herausforderung und verlangt ein sehr klares Lagebild. Mit den derzeit verfügbaren Systemen kann diese Mehrdimensionalität nur unzureichend berücksichtigt werden. In diesem vielschichtigen urbanen Einsatzraum finden sich die Soldaten in einem Zustand, der nicht eindeutig einer Einsatzart zugeordnet werden kann, sondern vielmehr einen ständigen Wechsel der fünf Grundzustände des Gefechts (Aufklärung, Marsch, Sicherung, Nehmen und Halten, Abbrechen und Verzögern) erforderlich macht.

Komplexe Situationen sind durch unerwartete Abhängigkeiten gekennzeichnet. Die Komplexität von Einsätzen im urbanen Umfeld erfordert die Integration vielfältiger Expertisen um ein „truly comprehensive Common Operational Picture“ (tcCOP) als Grundlage der Entscheidungsfindung bereitstellen zu können. Die RApid Data Integration and Visualization (RADIV) wird zu einem neuen Kernprozess im Digital Decision Making Process. Für urbane Umgebungen, in denen ein großer Einsatzraum in den drei Bewegungsebenen beherrscht werden muss, ist die Verfügbarkeit der erforderlichen Daten und deren Visualisierung entscheidend für den Erfolg – hier kann mit der Österreichischen Militärkarte allein, deren Notwendigkeit außer Frage steht, nicht mehr das Auslangen gefunden werden. Die dafür erforderlichen Experten, oftmals aus dem Milizstand, können in einer Urban Operations Support Cell (UOSC) hier entscheidende Unterstützung in der Beratung auf Gefechtsständen leisten. 

Am Institut für Offiziersweiterbildung hat die Auseinandersetzung mit den hier skizzierten Herausforderungen begonnen, Teile des Digital Decision Making und der vertiefenden Beurteilung von Einsätzen im urbanen Umfeld wurde bei Lehrgängen und Seminaren bereits erfolgreich erprobt. Die Berufs- und Milizoffiziere sowie Militärexperten mit ihrer vielfältigen Fachexpertise sind wichtige Partner. Sie machen die Lehrgänge und Seminare am Institut zu einer perfekten Entwicklungsumgebung bei gleichzeitiger Vermittlung der Ausbildungsziele. Zielgerichtete Forschung in einem sehr breiten nationalen und internationalen, zivil-militärischen Netzwerk unterstützt bei der Entwicklung der erforderlichen Fähigkeiten.

Eines sei hier jedoch in aller Deutlichkeit gesagt: Der Planungsprozess wird durch den digital unterstützten Stabsdienst inhaltlich besser, aber sorgfältiges Abwägen bleibt die Voraussetzung für das Treffen weitreichender Entscheidungen. Kritisches Denken braucht Zeit und die Kommandantenverantwortung wird auch in Zukunft unteilbar sein!

Oberst dG Mag. Dr. Peter Hofer; Leiter des Institutes für Offiziersweiterbildung an der Theresianischen Militärakademie.

 

Ihre Meinung

Meinungen (0)