• Veröffentlichungsdatum : 31.01.2022
  • – Letztes Update : 02.02.2022

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Stabstraining im Lecture Room 21

Peter Hofer, Thomas Rothbard, Christian Wolf

Das Institut für Offiziersweiterbildung an der Theresianischen Militärakademie ist die Stätte lebensbegleitenden Lernens für alle Berufs- und Milizoffiziere des Österreichischen Bundesheeres. Zu den Hauptaufgaben des Institutes zählt die Weiterbildung von Offizieren zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Gefächtsständen und Einsatzstäben. Aus einem Testlauf in der Krise ist das Konzept des Embracive Extended Staff Trainings im „Integrierten Stabsausbildungszentrum“ entstanden, wo interdisziplinäre Stäbe in rasch wechselnden und flexiblen Lernumgebungen auf ihre herausfordernde Aufgabe vorbereitet werden können.

Herkömmliche Stabstrainings sind grundsätzlich auf den Ort der Anwendung, den Gefechtsstand (militärisch) oder die Einsatzleitung (zivil) ausgerichtet, da die Abläufe in einer möglichst realen Anwendungsumgebung trainiert werden sollen. Bei einem Stabstraining werden der Gefechtsstand, beziehungsweise die Einsatzleitung, zunächst aufgebaut, die Stabsfunktionen zugeordnet und in der Folge die Arbeitsbereitschaft hergestellt. Danach beginnt mit der Phase der Lagefeststellung das „Eintauchen“ in die Welt eines Szenarios. Die einzelnen Schritte der Stabsarbeit werden, je nach Ausbildungsstufe und Erfahrung der Teilnehmer, mit mehr oder weniger Zeitdruck in einem kontinuierlichen Kreislauf (siehe Grafik S. 338) bearbeitet, um in kurzer Zeit eine realisierbare Lösung zu finden. So sollte der Stab einer Brigade innerhalb von 150 Minuten zu einem entscheidungsreifen Entschlussvorschlag für den Einsatz von mehreren tausend Soldaten unter Berücksichtigung vielfältiger Einflussparameter kommen. Die Fähigkeit zur raschen Datenintegration und Visualisierung wird durch Interaktion mit einer Vielzahl von Akteuren, während der zivil-militärischen Zusammenarbeit, zusehends zu einem zentralen Unterstützungsprozess.

COVID-19

Die Monate der COVID-bedingten Einschränkungen haben in nahezu jedem Bereich des privaten und öffentlichen Lebens erhebliche Verwerfungen mit sich gebracht. Gerade im Bildungssektor kam es zu mitunter drastischen Veränderungen bisher selbstverständlicher Abläufe und Prozesse. Diese Herausforderungen haben aber auch als Katalysator gewirkt und die Weiterentwicklung der Fernlehre erheblich beschleunigt. Vor allem kollaborationsintensive Prozesse mit hohen Interaktionsanforderungen stellten die Ausbildungsmethodik vor Herausforderungen. Vielfältige Systeme unterschiedlicher Anbieter unterstützen Stäbe bei der Führung von Einsatzkräften auch über große Entfernungen. Diese Anwendungen erfordern zuverlässig abgesicherte Datenverarbeitungs- und Kommunikationssysteme, oftmals in globalen Dimensionen. Auch die Einbindung von „Reachback“-Elementen (Teile des Stabes oder eine Expertengruppe; Anm.) ist bereits möglich. An den jeweiligen Standorten arbeiten diese Personengruppen gemeinsam an einem Produkt.

Was passiert aber, wenn die einzelnen Stabsmitglieder – wenn auch nur phasenweise – voneinander isoliert zusammenarbeiten müssen? Diese Herausforderung war in der Ausbildung ab dem ersten Lockdown zu lösen und gibt gleichzeitig Einblicke in die Zukunft der Stabsarbeit. Im Gegensatz zu den für Realeinsätze optimierten Hard- und Softwarelösungen, müssen die Trainingsapplikationen nicht alle oben genannten Anforderungen erfüllen. Sie sind auf die optimale Interaktion zwischen Lehrendem und Lernendem auszurichten. Für das Stabstraining war die Einbindung technischer Unterstützung bisher nicht erforderlich – die Inhalte konnten an der Karte mittels Folien-Overlays und Folienstiften gut bearbeitet werden. Diese analoge Methode ist seit vielen Jahrzehnten bewährt, praxistauglich, zeiteffizient, orts- und ressourcenunabhängig.

Der Zwang zur Verlegung ins distance learning brachte die Herausforderung mit sich, die Einbußen in der Qualität der Lehre möglichst gering zu halten. Für die reine Wissensvermittlung (z. B. durch Vorlesungen) stellte COVID-19 keine Schwierigkeit dar, auch Teamarbeit und Diskussion waren mit den verfügbaren Plattformen umsetzbar. Eine Lernumgebung „Stabsdienst“ musste allerdings erst entwickelt werden. Die grafische Beurteilung der Lage in einem Stab ist ein kollaborationsintensiver Prozess. Die Schwierigkeit liegt darin, die einzelnen Stabsmitglieder und Zentralen zum effizienten Zusammenwirken zu bewegen, da die einzelnen, vorwiegend grafischen Produkte voneinander abhängig sind. Die Lernumgebung muss leicht und intuitiv handhabbar, in kurzer Zeit erlernbar sowie günstig in Beschaffung und Betrieb sein.

Die Theresianische Militärakademie machte bereits in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit der Fernlehre. Diese beschränkte sich aber auf die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten, die von den Studierenden selbstständig zu erwerben waren. Ein Beispiel ist die Beurteilung der Lage im Kommandantenverfahren. Die virtuelle Lernumgebung „Stabsdienst“ musste neu entwickelt werden und umfasst ein Bündel von Applikationen, womit die Zusammenarbeit im Team trainiert werden kann (siehe Grafik S. 340). Dabei ist es besonders wichtig, dass die Funktionalitäten der verschiedenen Applikationen redundant bereitgestellt werden können.

Ablauf

Das Embracive Extended Staff Training basiert auf dem Embracive Leadership Model, das sich mit der wirkungsvollen Zusammenarbeit interdisziplinärer Stäbe in volatilen Situationen beschäftigt. Im „Integrierten Stabs-ausbildungszentrum“ können „blended“ und „immersive learning“ (Lernmodelle, die unter anderem im digitalen Raum stattfinden; Anm.) in einem interdisziplinären und kreativen Prozess kombiniert und in unterschiedlichen Varianten hinsichtlich der Art der Anwendung, Dauer und Intensität durchgeführt werden.
Dadurch kann sowohl dem Bedarf der Studierenden, je nach Ausbildungsstand, als auch organisatorischen Herausforderungen flexibel entsprochen werden. Einsatztypische Aspekte wie Zeitdruck, rasch wechselnde Lagen, Informationsflut, Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und das Verständnis für den Einsatz der eigenen Kräfte zur Bewältigung von Herausforderungen können in der Lehrveranstaltung nach Bedarf betont werden. Die Integration von Extended Reality Devices erlaubt es, das Gelände jederzeit virtuell zu betreten, oder es oder es mit holografischen Darstellungen anzureichern (zu augmentieren), um so den Entscheidungsfindungsprozess zu optimieren.

Die Eindrücke im gesamten Realitäts-/ Virtualitätskontinuum der „Mixed Reality“ ergänzen die Stabsarbeit mit wichtigen Eindrücken. In letzter Konsequenz kann sogar eine Geländebesprechung virtuell stattfinden, wenn das aufgrund äußerer Umstände (Entfernung, Wetter etc.) nicht anders möglich ist. Um ein Maximum an Flexibilität zu ermöglichen, müssen die verwendeten Applikationen die dezentrale Stabsarbeit unterstützen, damit die Stabsmitglieder die erforderlichen Produkte vorbereiten können. Zunächst werden auf einer Lernplattform die Unterrichtsinhalte sowie das vertiefende Material zum Selbststudium bereitgestellt. Integrierte Tools für das Kursmanagement, die Vortragsdurchführung, Zielüberprüfungen und die Evaluierung haben diese Applikation zur zentralen Plattform gemacht. Zur Unterstützung des grafischen Planungsverfahrens als zentrale Methode wird eine taktische Schulungsapplikation verwendet, in der die Teammitglieder entsprechend ihrer Einteilung unabhängig voneinander arbeiten können. Die Bearbeitungsschritte können auf einzelnen „Layern“ durch das verwendete Datenformat einfach und in gleichbleibender Qualität mit geringer Datenmenge ausgetauscht werden – im Vergleich zur Übertragung von Screenshots während der ersten Versuche der digitalen Stabs-ausbildung ein maßgebender Fortschritt.

Für den gesicherten Datenaustausch zwischen den einzelnen Teammitgliedern wird eine verschlüsselte Cloud-Lösung verwendet. Die Möglichkeit des raschen und gesicherten Datenaustausches hat die Kollaboration „Home to Home“ wesentlich erleichtert, vor allem in der raschen Vorbereitung von Präsentationen für die einzelnen Besprechungen. In der „Virtual Reality“ erfolgen die Überprüfung, Bearbeitung und weitere Optimierung unter dem Eindruck der Ego-Perspektive. Die dafür entwickelte Applikation erlaubt die Integration von Geländeteilen, die dem Einblick normalerweise entzogen sind (dazu zählen Straßen- und Eisenbahntunnels, das U-Bahn-Netz sowie die Kanalisation etc.) – für das urbane Einsatzumfeld ein wesentlicher Gewinn. Videomeetings können von den Lehrgangsteilnehmenden selbstständig durchgeführt werden, und der Messenger erlaubt eine rasche und redundante Kommunikation auch in der Bewegung. So war ein rascher Wechsel zwischen Fernlehre, Präsenzphasen und Geländebesprechungen möglich.

 

Zwischenstand

Kürzer werdende Reaktionszeiten bei Anlassfällen sowie eine systembedingte Auflockerung (z. B. Matrix-Organisationen oder Home-Office) erfordern künftig dynamische Modelle zur „distant collaboration“ – ein Aspekt, der ebenfalls in der Ausbildung seinen Niederschlag finden muss. Das Experiment, einen Prozess mit hohen Interaktionserfordernissen in die Fernlehre zu verlagern, ist gelungen. Die Anwendung des Embracive Leadership Models hat das unterstützt, da die Durchführung eines Embracive Extended Staff Trainings über gängige Prinzipien des „blended learning“ und auch des „immersive learning“ im eigenen Erfahrungsumfeld hinausgeht und zivil-militärische Erfahrungen bietet. So handelt es sich nicht nur um den Wechsel zwischen Präsenz- und OnlineBetrieb oder die Gestaltung einer virtuellen Lernumgebung, sondern um eine kreative interdisziplinäre Kollaboration mit allen relevanten Akteuren im gesamten Kontinuum der „Mixed Reality“. Die Lernumgebungen sind vielfältig anpassbar und können bei jedem Durchgang, unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen, neu und anders gestaltet werden. So wie im „distant working“ regelmäßige Bildschirmpausen die Leistungsfähigkeit aufrechterhalten, ist in der Ausbildung der Wechsel zwischen den Lernumgebungen im gesamten Realitäts-/Virtualitätskontinuum anzustreben. Dadurch kann die Ausbildung abwechslungsreich, interessant und für verteilte Teams zielorientiert gestaltet werden.

„Virtual Reality“ versetzt den Studierenden von seinem aktuellen Aufenthaltsort allein oder mit anderen Teilnehmern in das virtuelle Schulungsgelände. Durch die Interaktion mit anderen Lehrgangsteilnehmenden kann die Bearbeitung medienbruchfrei fortgesetzt werden. „Augmented Reality“ ermöglicht das gemeinsame Erarbeiten von Aspekten an holografischen Darstellungen, aber auch moderierte Geländebegehungen an definierten Besprechungspunkten mit aufgezeichneter Moderation und dem Darstellen der Inhalte durch Projektion ins Gelände. Die Kognitionswissenschaften stellen fest, dass Lernen eine Aktivität des Lernenden und nicht des Lehrenden ist. Eine komplexe, differenzierte und methodenreiche Lernumgebung aktiviert die kognitiven Fähigkeiten des Gehirns. Der Lehrer konstruiert eine interessante, zumutbare Lernumgebung, um lebensdienlich brauchbare und realitätsnahe Lernsituationen zu schaffen. Das Embracive Extended Staff Training ermöglicht eine vielfältige Wahrnehmung durch unterschiedliche Kanäle (Sinne) und kann vom Lernenden – intrasubjektiv – verstärkt als variabel, neuwertig und relevant bewertet werden.

Dieses Training bietet ideale Möglichkeiten für berufsbegleitendes Lernen. Es ist beliebig für jeden Teilnehmerkreis skalierbar und besonders gut an die Bedürfnisse der Lehrgangsteilnehmer angepasst, die über große Distanzen (in unserem Fall weltweit) ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Bislang war es nötig, sie in den Hörsälen des Institutes zu unterrichten, jetzt sind diese die „Knowledge Base“ – die Basisstationen für die Lehre, die auch an weit entfernten remote sites und unterschiedlichen Zeitzonen erfolgen kann. 

 

Ausblick

Das Embracive Extended Staff Training gibt für Studierende und Organisationsentwickler wertvolle Hinweise auf die künftige Gestaltung jeglicher Planungsprozesse im Einsatzbetrieb. Es unterstreicht die Rolle der Lehre als kostengünstigen Motor in Forschung und Entwicklung. Die Applikationen werden im Forschungsprojekt „Lecture Room 21“ weiterentwickelt. 36 Studierende werden hier in Extended Reality Interaction Zones und einer Augmented Reality Arena Stabsdienst erlernen und trainieren können. Durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Forschungspartnern des Institutes können in der Entwicklung der Applikationen die Bedürfnisse des Lehrbetriebes in Zukunft noch besser berücksichtigt werden. Das ist wichtig, da die Akzeptanz seitens der Führung, der Ausbilder und Studierenden eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von Schulungsmaßnahmen ist.

Durch umfangreiche Erfahrungen in der zivil-militärischen Zusammenarbeit sowie die laufende Interaktion mit Milizsoldaten, die in ihrem zivilen Hauptberuf engagiert sind, gelten die dargestellten Erkenntnisse auch für sämtliche außermilitärische Bereiche – überall dort, wo eine Online-Zusammenarbeit erforderlich ist und die Inhalte gut visualisierbar sind. Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben gezeigt, dass ein Training ohne Anwesenheitspflicht in Zukunft stärker nachgefragt werden wird. Die zeitgerechte Vorbereitung darauf ist die aktuell größte Herausforderung an die Lehr- und Schulorganisation. Ein erheblicher Teil der Online-Kollaboration wird nach der Pandemie bleiben. Der Druck zum Intensivieren der Fernlehre wird steigen, zumal Vorteile wie Zeitersparnis, Reduktion von Reisebewegungen und fokussierte Bearbeitungen sowie höhere Flexibilität offensichtlich sind.

Auf einen Blick

Die Arbeit an der Kartentafel ist die herkömmliche Methode im Stabstraining. Durch die Einschränkungen der COVID-Pandemie mussten bewährte Trainingsansätze von einem Tag auf den anderen überdacht werden. Die Interaktion und Zusammenarbeit im Lehrsaal wird auch in Zukunft – vor allem in der Anlernstufe – ihre Bedeutung behalten, aber das rasche Entwickeln und Testen der Lernumgebung „Stabsdienst“ ermöglicht völlig neue und flexible Ansätze im angewandten Stabstraining. Das hat die Entwicklung des „Lecture Room 21“ erheblich beschleunigt. Aus einem Testlauf in der Krise ist so das Konzept des Embracive Extended Staff Trainings im „Integrierten StabsAusbildungsZentrum“ entstanden, wo interdisziplinäre Stäbe in rasch wechselnden und flexiblen Lernumgebungen auf ihre herausfordernde Aufgabe vorbereitet werden können. Für die Bewältigung der vielfältigen Einsatzaufgaben des Bundesheeres ist diese Mischung aus virtueller und realer Lernumgebung jedenfalls ein vielversprechender Ansatz. Durch die Einbettung des Forschungsprojektes „Lecture Room 21“ in das NIKE-Entwicklungsprogramm sind vielfältige Synergien mit anderen Projekten möglich.   

Fazit

Die Entwicklung des Embracive Extended Staff Trainings erfolgte auf der Grundlage des Embracive Leadership Models. Das Konzept wurde von zwei Führungs- und Stabslehrgängen am Institut für Offiziersweiterbildung erprobt und evaluiert. Die größte Herausforderung liegt darin, die traditionellen Vorstellungen von der Lehre der Stabsarbeit an der Karte zu überwinden und auch digitale Trainingsansätze zu integrieren. Digitales Training fordert das Lehrpersonal nicht nur in der Vorbereitung, sondern auch in der Durchführung in hohem Maße und spart kein Lehrpersonal. Die Online-Zusammenarbeit setzt einfach nutzbare und redundante Applikationen mit gutem und kurzfristig verfügbaren Support voraus. Ein gesicherter und leistungsfähiger Datenaustausch ermöglicht eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Studierenden und erlaubt dem Lehrenden eine laufende Kontrolle der Produkte. Die Applikationen müssen durch die Studierenden allein und in Arbeitsgruppen selbst bedient werden können, so dass kein Eingriff durch den Lehrenden erforderlich ist. Die permanente Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden mit- und untereinander ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Online-Zusammenarbeit.

Oberst dG Mag. Dr. Peter Hofer; Leiter des Institutes für Offiziersweiterbildung an der Theresianischen Militärakademie.

Oberst dhmfD Mag.(FH) Dr. Thomas Rothbart; Leiter des Referates III (Führungs- und Kommandoverhalten).

Oberst Christian Wolf; Referat II (Multinationaler Stabsdienst).

 

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