• Veröffentlichungsdatum : 20.09.2023
  • – Letztes Update : 30.08.2023

  • 7 Min -
  • 1435 Wörter
  • - 2 Bilder

Zivil-militärische Kooperationen

Helga Lippa, Mansoor Khan

Die Folgen des Klimawandels und die aktuelle Sicherheitslage führen zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen systemrelevanten Organisationen. Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass der zivilmedizinische Bereich und das Militär von einer Kooperation profitieren und dies zum Bewältigen von pandemischen Krisen oder Großereignissen notwendig ist.

Möglichkeiten der Zusammenarbeit 

Die Erfahrungen in der Ukraine haben gezeigt, dass auch Kritische Infrastrukturen des Sanitätswesens militärisch angegriffen und dadurch die Versorgung von Kranken und Verletzten erheblich gestört werden können.

Das Ziel der Zusammenarbeit sollte die Versorgung von Trauma-Patienten – egal ob zivile oder militärische Opfer – durch Trauma-Chirurgen beider Organisationen als ein eingespieltes Team sein.

Ein weiteres Ziel einer solchen Kooperation wäre die Verbesserung der Interoperabilität. Dies kann bei Szenarien im Inland und bei Auslandseinsätzen relevant sein, wie es der Einsatz des Bundesheeres bei der verheerenden Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien gezeigt hat. 

Die militärische und zivile Zusammenarbeit in der Trauma-Ausbildung kann, wie nachfolgend dargestellt, in mehreren Bereichen stattfinden.

Ausbildung und Kommunikation

An erster Stelle steht die Entwicklung eines Schulungsprogrammes, das auf die spezifischen Bedürfnisse von militärischem und zivilem Personal ausgelegt ist (z. B. Führung und Kommunikation in schwierigen Lagen). Die Schulungen sollen nicht nur im klinischen Bereich erfolgen, sondern auch Möglichkeiten für praktische Erfahrungen vor Ort bieten und durch Übungen im Gelände ergänzt werden (z. B. Teambuilding-Workshops, Trainingsszenarien für die Erstversorgung von Schwerverletzten). Das Bundesheer  bildet seit Jahren Rettungs- und Notfallsanitäter sowie Diplom Gesundheits- und Krankenpfelger nach zivilen Vorgaben aus. Stets sind zivile Teilnehmer dabei.

Aufbau von Partnerschaften

Es sollte eine enge Beziehung zwischen militärischen und zivilen Organisationen aufgebaut werden, verstärkt durch eine regelmäßige Kommunikation und eine gemeinsame Planung von Ausbildungen und möglichen Einsätzen. Jeder, der in Einsätzen oder in Krisenstäben gearbeitet hat, weiß, dass die Kommunikation durch das Wissen über den anderen (Persönlichkeit, Kompetenzbereich, Fähigkeiten) optimiert werden kann. Dies führt zu einer besseren und schnelleren Entscheidungsfindung und trägt letztendlich zur besseren Lösung einer Krise bei. Als Beispiel gibt es den K-Kreis Wien, bei dem das ÖBH seit Jahren eingebunden ist.

Koordinierung der Reaktionsmaßnahmen 

Darunter fällt die Entwicklung eines koordinierten Einsatzplanes für die Reaktion auf Massenunfälle oder Katastrophen, einschließlich der Vorbereitung des Einsatzes von Personal und Ressourcen. Das umfasst zum Beispiel Evakuierungs-Trainings (MEDEVAC), Dekontamination in Krankenhäusern oder die taktische Versorgung von Opfern.

Evaluierung und Weiterentwicklung

Für die inhaltliche Zusammenarbeit sind eine regelmäßige Bewertung der Wirksamkeit und eine eventuelle Anpassung notwendig, um das Programm zu verbessern und an neue Einsatzbilder anzupassen.

Weitergabe von Informationen

Der Austausch von Informationen und bewährten Verfahren zwischen den teilnehmenden Organisationen sowie das kontinuierliche Lernen und die allgemeine Verbesserung der Krisenkommunikation sind zu fördern. Hier steht der Erhalt der Leistungsfähigkeit, auch des Krankenpflegepersonals, im Vordergrund.
Damit diese Kompetenzen erreicht werden, sind mehrere Faktoren entscheidend: 

  • die Motivation der Institutionen, eine derartige Ausbildung bzw. Kooperation aufzubauen;
  • die Bereitstellung von Finanz- und Personalressourcen;
  • eine gemeinsame Planung;
  • der Aufbau eines gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens;
  • eine klare Kommunikation (Sprache, Teambuilding);
  • die Abstimmung des Führungsverfahrens;
  • ein gemeinsames Krisenmanagement.

Eine derartige Kooperation kann für das Bundesheer einen Mehrwert bedeuten, wie die Erhaltung bestimmter chirurgischer Fertigkeiten, die im „normalen“ Sanitätsdienst des Militärs nur gelegentlich thematisiert werden. Die Behandlung schwerer Unfälle durch das Militärpersonal ist in Friedenszeiten eher selten, während im zivilen Traumazentrum schwerverletzte Unfallopfer zum Alltag eines Unfallchirurgen gehören (von Autounfällen über Baustellenunfälle bis hin zu Sportunfällen). Eine aktive Mitarbeit von Sanitätspersonal des Militärs in einer Kooperation führt zum Erhalt dieser chirurgischen Fähigkeiten.

Zivile Traumazentren sind dem Gefechtsfeld am nächsten, wobei jedoch für die Zusammenarbeit eine zusätzliche Ausbildung in der Militärchirurgie erforderlich ist“ schrieb Oberst Michael Tarpey, MD, U. S. Army (Kommandeur des U. S. Army Aeromedical Research Lab in Fort Rucker, Alabama) über die zivil-militärische Zusammenarbeit im Sanitätswesen.

Er beschäftigte sich mit der Relevanz einer solchen Partnerschaft. Seitens der Militärmedizin sah er vor allem in den folgenden sechs Bereichen – abgeleitet aus den Kampferfahrungen der U. S. Army – einen Handlungsbedarf, und zwar in der:

  • präklinischen Trauma-Versorgung;
  • chirurgischen Versorgung auf dem Gefechtsfeld;
  • längeren Pflege und Rekonvaleszenz;
  • Datenerfassung und Leistungsverbesserung;
  • Fähigkeit der Militärmedizin, ihre Bereitschaft zur Durchführung von Kriegseinsätzen einzuschätzen sowie in der
  • Entwicklung militär-medizinischer Führungskräfte mit Erfahrung in der Versorgung von Kriegsopfern.

Aus diesem Bedarf empfahl er einige Maßnahmen:

  • Den Aufbau und die Aufrechterhaltung militärisch-ziviler Partnerschaften mit zivilen Traumazentren: Diese Partnerschaften sind unerlässlich, um das medizinische Personal der Armee vor einem eventuellen Einsatz mit Trauma-Patienten in Kontakt zu bringen.
  • Den Aufbau eines lernenden Gesundheitssystems, das sich auf die Militärmedizin konzentriert und Daten und Erfahrungen aus vergangenen Einsätzen verwendet, um die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit voranzutreiben. Anfängliche Bemühungen sollten sich auf die Verbesserung der präklinischen Datenerhebungs- und Analysemethoden konzentrieren.
  • Die Verstärkung der Rekrutierung sowie der Maßnahmen zur Bindung des medizinischen Personals. Medizinische Spezialgebiete, insbesondere Allgemein- und Unfallchirurgen, sind in einem militärischen Einsatz die größte Lücke. 
  • Die Möglichkeiten für Militärmediziner, Trauma-Fähigkeiten und ihren „klinischen Scharfsinn“ zu verbessern. 
  • Die Entwicklung militärmedizinischer Karrieren und Trainingsmöglichkeiten für Führungskräfte mit umfassender Erfahrung im Einsatz und in der Versorgung von Unfallopfern. Die Militärmedizin braucht Führungskräfte mit Fachwissen in beiden Bereichen, um eine Organisation zu leiten. Insbesondere Chirurgen sollten Möglichkeiten haben, klinisches Fachwissen und Führungserfahrung zu sammeln.

Militärchirurgie in der Praxis – lessons learned der britischen Armee

Die Geschichte hat gezeigt, dass erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten ohne entsprechende Anwendungen in Einsätzen schnell verblassen. Nachdem sich die alliierten Streitkräfte aus dem Irak und Afghanistan zurückgezogen haben, besteht in westlichen Armeen die Gefahr des Wissensverlustes. 

Mehrere Nationen haben aus den Erfahrungen der jüngsten Einsätze Lehren gezogen. Ein internationaler Standard für die Ausbildung muss jedoch noch festgelegt werden.

Die Defence Medical Services (DMS) des Vereinigten Königreiches haben zum Beispiel einen Notfalltrainingsplan entwickelt, der die Aufrechterhaltung der Trauma-Fähigkeit durch den Einsatz von Beratern und die Konzentration auf militärische Fähigkeiten in Form einer regelmäßigen Teilnahme an Kursen und militärischen Übungen sicherstellen soll.

Die Militärchirurgie wurde als Subspezialität/Fachgebiet in der Laufbahn der britischen Allgemeinchirurgen anerkannt. Bewährte militärchirurgische Verfahren und Praktiken sind im Ausbildungsprogramm integriert. Eine Lücke besteht nach wie vor bei der Erhaltung dieser Kompetenzen und der beruflichen Weiterentwicklung. 

Das britische Militär hat mehrere Schwerpunkte gesetzt:

  • Ärztliche Tätigkeit von Militärärzten innerhalb des National Health Service (NHS) für Krankenhäuser, die als Major Trauma Centers (MTC) ausgewiesen sind.
  • Regelmäßige Übungen und Behandlungen von unfall- und notfallchirurgischen Patienten in der zivilen Praxis. 
  • Die Einrichtung einer militärspezifischen chirurgischen Ausbildung.

Chirurgische Kernkompetenzen für den militärischen Allgemeinchirurgen

Um die militärischen chirurgischen Techniken aufrechtzuerhalten, ist chirurgische Kernkompetenz festgelegt. Nach Konsultationen und einer umfassenden Stakeholder-Analyse wurde festgestellt, dass neben den Möglichkeiten, die militärchirurgische Ausbildungskurse bieten, ein regelmäßiges Training und die Behandlung von traumatologischen und notfallchirurgischen Patienten in der zivilen Praxis unter Beibehaltung eines militärischen Teams notwendig sind. Insgesamt erfordert die Zusammenarbeit zwischen militärischer und ziviler Trauma-Ausbildung eine starke Führung, offene Kommunikation und das Engagement aller Beteiligten. „Nach der Krise ist vor der nächsten Krise“ – diese Lektion wurde wiederholt bestätigt. Wie die Erfahrungen von Prof. Dr. Mansoor Khan zeigen, sind die Nachbereitung, Aufarbeitung und das Training der Zusammenarbeit im medizinischen Bereich ein wichtiger und vorrangiger Aspekt. Auch Milizsoldaten, Militärexperten und Verbindungsoffiziere sollten ihre Aufgaben in regelmäßigen Übungen erhalten und in die Vorbereitung der Ausbildung miteinbezogen werden. Die Entwicklung von Trainingsprogrammen, Workshops, Vorträgen, Kursen und die Lehrtätigkeit von Militärexperten im zivilen Gesundheitsbereich sind ein erster Schritt in eine koordinierte Vorgehensweise bei Katastrophenfällen.

Zusammenarbeit

Eine Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen medizinischen Einrichtungen kann unterschiedliche Formen haben und verschiedene Aufgabenbereiche umfassen: die Ausbildung (medizinisch-fachlicher Austausch), der Aufbau einer Kommunikationsstruktur zwischen dem Fachpersonal inklusive der Stärkung der Krisenresilienz, die Entwicklung von Synergien und die Optimierung der Leistungsfähigkeit medizinischer Einrichtungen. Im Bereich Ausbildung und Training kann das Militär vom praxiserprobten Spezialwissen eines zivilen Traumazentrums profitieren. Dort steht der Umgang mit schweren Verletzungen und Verwundungen an der Tagesordnung, andererseits können zivile Einrichtungen von krisenoptimiertem Handeln oder sicherheitsrelevanten Handlungsstrategien profitieren. 

Die Zusammenarbeit im Trauma-Training kann in einer Partnerschaft zwischen militärischem medizinischen Personal und den zivilen Traumazentren bestehen, um die Qualität und Leistungsfähigkeit der militärischen Chirurgie zu erhalten. Beispiele wären gemeinsame Ausbildungsprogramme, spezielle Übungen zur taktischen Versorgung von Opfern oder zur Evakuierung von Schwerverletzten. 

Fazit 

Seit dem Jahr 2017 besteht eine Kooperation zwischen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) Traumazentrum Wien (TZW) und dem Bundesheer (SanZ Ost). Dadurch wurde der Grundstein für eine Zusammenarbeit und einem gegenseitigen Erkenntnisgewinn gelegt. Die Ereignisse der vergangenen Jahre, beginnend mit der COVID-19-Pandemie bis hin zur Ukraine-Krise, haben gezeigt, wie wichtig eine Zusammenarbeit zwischen dem zivilen und dem militärischen Sektor ist. Dies sollte zum Anlass genommen werden, die bestehende Kooperation zwischen dem Bundesheer und den zivilen Einrichtungen im Gesundheitsbereich weiter zu entwickeln, um eine bestmögliche Versorgung von Verwundeten in einem Einsatz zu ermöglichen.

Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Helga Lippa; Akad. Expertin in der Krankenhaushygiene, Traumazentrum Wien, Meidling. Dzt. Studium Risikomanagement, Donau-Universität Krems.

Professor FA Dr. Mansoor Khan; Trauma-Chirurg, Universitätsspital Sussex, Brighton. Chirurgie-Professor am Kings College London, UK.


Dieser Artikel erschien im TRUPPENDIENST.

Zur Ausgabe 2/2023 (391).


 

Ihre Meinung

Meinungen (0)