- Veröffentlichungsdatum : 29.10.2021
- – Letztes Update : 30.11.2021
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Die Rückkehr der Gendarmerie in den Grenzschutzdienst
Der Rückzug der Gendarmerie hinter die alte österreichisch-ungarische Staatsgrenze erfolgte im Süden bis zum 31. August, in der Mitte und im Norden bis zum Morgen des 10. September. Die Abteilungen wurden wieder in den Grenzschutzdienst gestellt, in dem sie in der Folge gemeinsam mit dem Bundesheer teils heftige Angriffe der Freischärler zurückweisen mussten.
Während das Nordburgenland weitgehend von österreichischer Gendarmerie besetzt werden konnte, war der friedensmäßige Einmarsch im Süden bereits am 29. August gescheitert, und die Gendarmerie musste bis zum 31. August wieder in den Grenzschutz zurückgenommen werden. In der Folge verlagerten sich die Gefechte in den Grenzraum zu Niederösterreich und zur Steiermark. Immer öfter waren auch Zivilpersonen unter den Opfern der Angriffe ungarischer Freischärler.
Am 2. September wurde der Bauer Franz Grenauer aus Aschau im Burgenland, der in Kampfhandlungen geriet und sich auf einem Fahrrad nach Österreich geflüchtet hatte, rund 300 Meter von der Grenze entfernt bei Offenegg auf österreichischem Boden von Freischärlern vom Rad geschossen. Er wurde am 3. September in Aschau begraben.Während eines Patrouillenganges an der Grenze wurden am 3. September die Patrouillenleiter Adalbert Cervicek und Leopold Hudec in der Nähe von Obersinnersdorf beim sogenannten Grenzgasthaus von Freischärlern beschossen. Dabei erlitt Cervicek einen Bauchschuss, dem er am folgenden Tag im Krankenhaus Wiener Neustadt erlag; Hudec erlitt einen Knieschuss.
Berichten der Wiener Morgenzeitung zufolge wurde am selben Tag der 30jährige Kaufmann Moses Wiesenfeld aus Wien in der Station Zurndorf von unbekannten Banditen aus einem Coupe des Zuges Budapest-Wien geschleppt und ermordet. Seine Leiche, die bereits in Verwesung übergegangen war, wurde am 19. November 1921 etwa 600 Meter von der Station Zurndorf (Zurany) entfernt aufgefunden und durch den Wiener Kaufmann Markus Kamm eindeutig identifiziert. Josef Schlögl aus Steinbach geriet am 5. September, als er Kühe hütete, in ein Gefecht im Raum Pilgersdorf und wurde erschossen.
Angriffe auf Hohenbrugg
Bereits am 29. August wurde Hohenbrugg bei Fehring von ungarischen Banden angegriffen. Bei diesem Angriff wurde der Héjjas-Freischärler Ákos Gubicza, ein zwanzigjähriger Student, getötet. Der Angriff konnte von einer Verbindungskompanie (Fernmeldekompanie) des Bundesheeres bereinigt werden. Am 4. September gegen 0400 Uhr überfielen erneut etwa 20 Insurgenten, die mit einem Maschinengewehr ausgerüstet waren, den Gendarmerieposten Hohenbrugg. Gendarmerie und Bundesheer vertrieben die Bande in einem Feuergefecht, bei dem der aufständische Maschinengewehrschütze Oden Arnautowitsch (vermutlich bosnisch: Arnautovic) aus Sarajevo durch 17 Schüsse schwer verletzt und gefangen genommen wurde.Vermutlich wurden weitere Insurgenten verwundet. Hohenbrugg war bis Ende Oktober mehrfach Ziel weiterer Angriffe.
Reorganisation der Insurgenten
Bis Mitte September flaute die Gefechtstätigkeit an der Grenze ab, da die Freischärler unverzüglich in das von den Österreichern geräumte Gebiet nachstießen und sich dort neu organisieren mussten. In weiterer Folge kam es jedoch zu zahlreichen Zwischenfällen, die bis zum Einmarsch des Bundesheeres am 13. November 1921 andauerten. Die Reorganisation der Insurgenten erfolgte in sogenannten Korps, deren Gesamtstärke Schlag für die erste Oktoberhälfte mit etwa 10.000 Mann angibt.
Zivilisten im Visier
Wenngleich einige Zivilisten in Kampfhandlungen gerieten und dabei den Tod fanden oder schwer verletzt wurden, fiel doch eine erhebliche Zahl Überfällen auf ungeschützte Orte und Mordanschlägen zum Opfer, wie die folgenden Schicksale zeigen. Am 7. September wurde der beinamputierte Kriegsheimkehrer Johann Baumgartner (jun.) aus Salmannsdorf von Freischärlern aus seinem Haus entführt. Er wurde der Spionage zugunsten der österreichischen Gendarmerie bezichtigt und etwa 150 Meter vom Gasthaus Hollenthonner entfernt an einem Apfelbaum aufgehängt.
Am 11. September überfiel in Lembach nordöstlich von Kirchschlag eine zehn Mann starke ungarische Bande ein Gasthaus und stahl die Tabakvorräte und ein Fahrrad. Der geforderte Schadenersatzbetrag des Gastwirtes Friedrich Stocker belief sich auf 7.679.000 Kronen. Meldungen, wonach Stocker bei dem Angriff schwer verletzt wurde, konnten nicht verifiziert werden. Demgegenüber berichtet Piribauer, dass Balthasar Freiler aus Lembach Nr. 9 auf dem Weg nach Karl den Freischärlern in die Hände lief und einen Brustschuss erlitt. Er konnte sich zur Geißmühle schleppen, von wo er mit einem Wagen zum Arzt gebracht wurde. Piribauer vermutet auch, dass den Banditen bekannt war, dass zur selben Zeit in Kirchschlag ein Begräbnis von im Gefecht vom 5. September gefallenen Soldaten mit militärischen Ehren stattfand und damit Lembach ohne Schutz war.
Unter Berufung auf die Tagespost berichtet die Wiener Zeitung: „Am 12. d. M. nachmittags wollten magyarische Banden den Ort Gillersdorf in Steiermark überfallen. Sie feuerten etwa 150 Schüsse ab, wurden jedoch von der Gendarmerie, die Verstärkung erhalten hatte, zurückgeschlagen und vertrieben. Die Banden schossen sogar auf Kinder, die Vieh hüteten. In Gillersdorf wurde ein Haus ganz zerschossen."
Der 46jährige Stephan (Istvan) Baranyai wurde am 14. September an der Straße nahe Dobersdorf gegen 1900 Uhr von Freischärlern mit mehreren Schüssen ermordet. Ein Motiv für das Verbrechen konnte nicht ermittelt werden. Nach Aufnahme der Tat in St. Gotthard wurde der Ermordete auf Kosten der Gemeinde in Dobersdorf beerdigt. Am 15. September versuchten ungarische Banden gegen 1730 Uhr bei Gillersdorf die Grenze zu übertreten. Sie wurden von der Gendarmerie zurückgetrieben, wobei sich ein Feuergefecht entwickelte. Beide Seiten wurden gegen 2300 Uhr verstärkt, wodurch das Gefecht erneut aufflammte. Die durch Bundesheereinheiten verstärkte Gendarmerie konnte den ungarischen Angriff schließlich zurückweisen. Die ungarischen Banden zogen sich unter Mitnahme ihrer Verwundeten zurück.
Angriffe auf Neudau
Der Grenzabschnitt an der Lafnitz lag im Schwergewichtsraum der Insurgenten und war daher in seiner gesamten Länge Ziel heftiger Angriffe. Besonders stark betroffen war dabei vom 14. bis 18. September der Markt Neudau. Zu den Kampfhandlungen wurden diverse Zeitungsberichte publiziert, Dokumente konnten bislang nicht gefunden werden. Am 14. September gegen 1645 Uhr begannen über mehrere Tage anhaltende Angriffe auf Neudau durch ungarische Banden. Ziel dieser Angriffe war die Plünderung der örtlichen Textilfabrik. Bundesheer und Gendarmerie griffen sofort ein und jagten die Banditen entlang der Grenze. Diese schossen bei ihrer Flucht auf Bauern und Tiere und nahmen auch einen gerade abfahrenden Zug unter Feuer. Der Beschuss von Neudau dauerte die ganze Nacht vom 14. auf den 15. September an.
Am 15. September wurde eine Feldwache von etwa 20 Bewaffneten angegriffen. Die Bande wurde durch Feuer verjagt. Nach Aussage eines Bandenmitgliedes ist hierbei ein ungarischer Offizier verwundet worden. Da nach dem Gefecht der vergangenen Nacht der Einfall einer noch stärkeren Bande befürchtet wurde, trafen von Hartberg Verstärkungen ein, und auch der Gendarmerieposten wurde verstärkt. Darüber hinaus versahen in der Nacht Arbeiter, Bauernsöhne und Turner Sicherungsdienst. In der Nacht vom 16. auf den 17. September versuchten die ungarischen Banden insgesamt vier Mal die österreichischen Posten einzukreisen und in den Ort einzubrechen. Alle Versuche konnten im Zusammenwirken von Gendarmerie und Bundesheer zurückgewiesen werden. Das Feuergefecht dauerte in unverminderter Heftigkeit bis gegen 0500 Uhr des 17. September 1921 an. Auf ungarischer Seite soll es zwei Tote gegeben haben.
Bei der Neudauer Lafnitzbrücke fanden am 18. September Kämpfe statt, die zu einem mehrmaligen Besitzwechsel dieser Brücke führten. Schließlich konnte die Gendarmerie die Ungarn vertreiben. Der Pester Lloyd berichtet unter Berufung auf die Grazer Tagespost von einem neuerlichen Beschuss von Neudau durch ungarische Insurgenten am 14. Oktober. Der Gendarmerie gelang es unter Mithilfe von Einwohnern, die Insurgenten zurückzuschlagen, wobei einer der Angreifer verletzt wurde. Anderen Meldungen zufolge war auch das Bundesheer in die Abwehr des Angriffes involviert, wobei Zugsführer Rauch durch Granatsplitter verwundet wurde.
Schwere Grenzgefechte
Am Morgen des 13. September wurde einer in mehreren Tageszeitungen veröffentlichten amtlichen Meldung zufolge eine ungarische Bande bei Wörth durch Gewehrfeuer zurückgewiesen. Neben Neudau waren am 17. September auch die Lafnitzübergänge bei Wörth und Wolfau Ziel ungarischer Angriffe. Die Banden wurden aber nach längerem Feuerkampf abgewiesen. Ob auf österreichischer Seite Gendarmerie und/oder Bundesheer zum Einsatz kam, geht aus den Berichten nicht hervor. Steinböck erwähnt für den 17. September darüber hinaus Schießereien bei Burgau und westlich Allhau.
Am 18. September griffen die Ungarn bei Edelsgraben und Haselbach (no. Hohenbrugg) mit Maschinengewehren an; sie wurden zurückgeschlagen. In einem Grenzgefecht bei Maltern am 19. September wurde Patrouillenleiter Leopold Fleischhacker vom Posten Hochneukirchen durch einen Bauchschuss getötet. Das Grazer Tagblatt berichtet: „19. September. Heute um 6 Uhr früh schossen ungarische Banden in der Nähe der Putzmühle [bei Fürstenfeld; Anm.] eine Gendarmeriepatrouille an. Hiebei erhielt der Postenleiter [Patrouillenleiter; Anm.] Anton Raffel [richtig Rappel; Anm.] vom Posten Straßgang durch einen Streifschuß an der rechten Hand und an der Brustseite Verletzungen. Er befindet sich im hiesigen Spital.“
Nach Meldungen aus Hartberg wurde die Schatzlermühle in Allhau von Insurgenten überfallen. Die Gendarmerie schlug die Ungarn zurück. Am selben Tag sollen ungarische Banden die erst kürzlich wiederhergestellte Allhauer Lafnitzbrücke neuerlich abgetragen haben, wie die Wiener Zeitung unter Berufung auf eine Meldung der Grazer Tagespost berichtet. Während eines Gefechtes an der Wolfauer Lafnitzbrücke am 23. September wurde Patrouillenleiter Karl Kraly schwer verletzt. Am selben Tag gegen 1900 Uhr abends überfiel eine starke ungarische Bande, von Neustift kommend, den Gendarmerieposten bei Lafnitz mit Feuer. Das nahezu einstündige Gefecht wurde mit Unterstützung von Bundesheereinheiten (Teile III./AJR 9) beendet und verlief auf österreichischer Seite unblutig. Wie der Pester Lloyd berichtet, wurde ein Aufständischer erschossen und zwei weitere verletzt.
„In einem Patrouillengefecht bei Gillersdorf wurde ein Gendarm durch einen Armschuß verwundet.“ Diese Meldung der Kronen-Zeitung vom 29. September enthält keine Zeitangabe. Das Ereignis muss jedenfalls vor diesem Tag stattgefunden haben. Möglicherweise handelt es sich um die bei Steinböck genannte Schießerei bei Gillersdorf am 26. September. Der dabei verletzte Gendarm ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Patrouillenleiter Friedrich Scheibl. In Henndorf (im Burgenland) erlitt am selben Tag Johann Brunner einen tödlichen Bauchschuss.
Eine größere ungarische Bande versuchte am 28. September das Wirtshaus Blumau zu überfallen. Dies wurde durch eine Gendarmerieabteilung vereitelt. Auch an der Grenze zwischen Eichbühel und Katzelsdorf wurde ein Einbruch versucht, der ebenfalls abgewiesen werden konnte. Neubauer berichtet von einem Gendarmerievorstoß zur Säuberung des wiederholt angegriffenen abgelegenen Ortes Habich (Gemeinde Ungerbach, rund vier Kilometer östlich von Hochneukirchen an der burgenländischen Grenze) am 30. September. Bei dieser Aktion soll eine zahlenmäßig überlegene ungarische Bande nach mehrstündigem Gefecht, in dem sie mehrere Tote zu verzeichnen hatte, zurückgewiesen worden sein.
Unter Berufung auf die Neue Freie Presse berichtet der Pester Lloyd über einen Bandenüberfall auf die Ortschaften Gillersdorf und Neu-Brenten (ehem. Ortsteil in der Gemeinde Loipersdorf) am 2. Oktober. Bei dem mit Gewehren und Handgranaten ausgeführten Angriff wurde ein Insurgent getötet und ein österreichischer Gendarm verschleppt. Gendarmerie und Bundesheer konnten den Angriff abwehren. In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober drangen 15 ungarische Banditen in Hartberg ein. Sieben von ihnen raubten das Anwesen der Besitzerin Lenz aus. Gendarmen und Bundesheer schlugen schließlich die Banditen in einem mehr als einstündigen Gefecht zurück.
Überfall auf Bruck an der Leitha
Ungarische Insurgenten umgingen am 24. September 1921 gegen 0230 Uhr die Baracken des Lagers Királyhida (Bruckneudorf) und überraschten die Gendarmerie, die die Flucht ergriff. Das Gefecht bei Bruck an der Leitha bzw. auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes führte das III./IR 1, das im Laufe des 24. September verstärkt wurde. Es war also ein Gefecht des Bundesheeres gegen ungarische Insurgenten.
Der Tischler Heinrich Sachs aus Bruckneudorf geriet in dieses Gefecht und wurde durch einen Unterschenkelschuss schwer verletzt. Nach der Erstversorgung fuhr er mit der Bahn nach Wien, wo er in das Rudolfspital eingeliefert wurde. Die Soldaten nahmen 70 ungarische Eisenbahner, die auf der Seite der Insurgenten gekämpft hatten, gefangen und übergaben sie der Gendarmerie. Es soll sich um das gesamte ungarische Bahnpersonal von Bruck gehandelt haben.
Mehrere Zeitungen berichten über die Festnahme. Konkrete Hinweise über den Verbleib der Gefangenen finden sich in der Arbeiter-Zeitung: „… sie wurden nach Oberhollabrunn übergeführt“, in der Kronen Zeitung: „70 ungarische Eisenbahner wurden gefangengenommen und befinden sich bereits im Interniertenlager in Ober-Hollabrunn in Haft“ sowie im Salzburger Volksblatt: „Von den ungarischen Eisenbahnern, die sich seit einigen Tagen in Bruck befinden, um bei der Wiederaufnahme des Verkehres zur Verfügung zu stehen, wurden siebzig gefangengenommen und in das Internierungslager bei Oberhollabrunn gebracht. Der Stationschef von Királyhida, [Geza; Anm.] Fodor, wurde verhaftet.“ Diese Hinweise sind insofern bemerkenswert, als über die Existenz und die Belegung des Internierungslagers in Oberhollabrunn (heute Hollabrunn) nur wenig bekannt ist.
Exkurs: Internierungslager Oberhollabrunn
Im Jahr 1916 wurde südlich von Hollabrunn in der Ried Kirchbeißern ein Flüchtlingslager errichtet, in dem auch „Internierte“ – Personen aus den slawischen und italienischen Landesteilen, die man wegen ihrer nationalen Gesinnung nicht in der Nähe der Kriegsgebiete belassen wollte – untergebracht wurden. Nachdem das Lager Ende 1917 seine eigentliche Funktion verloren hatte, fand hier 1918 eine Ferienerholungsaktion der Gemeinde Wien für 3.000 Schulkinder statt. Schließlich wurde 1919 bis 1921 ein Jugendheim der Gemeinde Wien auf den ehemaligen Lagergründen eingerichtet, in dem unter der pädagogischen Leitung von August Aichhorn ein Erziehungsprojekt für verwahrloste Großstadtkinder durchgeführt wurde. Dieses Projekt musste wohl aus Kostengründen 1921 aufgegeben werden. Es ist naheliegend, dass ein Schulprojekt mit dem Ende des Schuljahres – also Ende Juni – beendet wird.
Für 1922 berichtet die Stadtchronik über den Abschluss der Verhandlungen zwischen dem Bund und der Stadtgemeinde über die Eigentumsrechte an den ehemaligen Lagergründen, für die 1921 erstmals die Bezeichnung „Gartenstadt“ geprägt wird. Offenbar standen die Lagergründe im Bundesbesitz und gingen 1922 an die Stadtgemeinde. Daraus erschließt sich, dass das Lager zwischen Juli 1921 und 1922 für eine Folgenutzung durch den Bund frei war. Hesztera berichtet über die Existenz eines „Internierungslagers für österreichfeindliche Personen aus dem Burgenland“ in Oberhollabrunn unter dem Kommando des Gendarmeriegrenzschutzkommandos in Wiener Neustadt bis Anfang 1922. Hess beschreibt detailliert, welche Objekte des Lagers für die Internierung der Personen aus dem Burgenland zur Verfügung gestellt wurden. Es kann also als gesichert angenommen werden, dass sich dieses Lager als Folgenutzung des Lagers aus dem Ersten Weltkrieg auf dem Gelände der sogenannten Gartenstadt befand.
Die einzigen Zeitungsmeldungen über Internierungen in Oberhollabrunn finden sich nach der Festnahme der ungarischen Eisenbahner nach dem Überfall auf Bruck an der Leitha am 24. September 1921. Zu diesem Vorgang zitiert Hess ein Verzeichnis mit 69 Namen aus dem Bestand des Burgenländischen Landesarchivs. Bei Fogarassy findet sich ein Hinweis, wonach die Internierten nach der Unterzeichnung der Venediger Protokolle (13. Oktober 1921) freigelassen worden sein sollen. Der Pester Lloyd zitiert als einziger einen Internierten, wenn auch nicht namentlich, der in Oberhollabrunn festgehalten und am 6. November freigelassen worden sein soll. Darüber hinaus nennt er die Zahl der Freigelassenen (30 Personen), womit eine Größenordnung, der in dem Lager zu diesem Zeitpunkt noch Internierten gewonnen werden kann. Der Bericht des Dieners des Mattersdorfer Oberstuhlrichteramtes – Nikolaus Fel – ist gekennzeichnet als Meldung des Berichterstatters des Ung. Tel.-Korr.- Bur.:
„Am 6. September kamen zwei österreichische Gendarmen in meine Wohnung und schleppten mich weg: In Wiener - Neustadt, der ersten Station, beraubten mich die österreichischen Gendarmen unter Schlägen meines einzigen Wertgegenstandes, meines goldenen Eheringes, den ich auch nie wieder zurückerhielt. Dann wurde ich nach Wien geführt und in das Gefängnis des Landesgerichtes gesperrt. Drei Mal wurde ich verhört, bis mich der Untersuchungsrichter am 24. September unschuldig erklärte, und dennoch wurde ich nicht freigelassen, sondern in das Polizeigefängnis auf dem Elisabethplatz gebracht, wo ich in eine Einzelzelle gesperrt wurde. Hier kämpfte ich drei Wochen hindurch gegen den Hungertod. Täglich erhielt ich in einem rostigen Blechgefäß eine ungenießbare suppenartige Flüssigkeit und mittags ein kleines Stück klebriges Brot. Ich bat mehrmals um meine Vernehmung und Freilassung, doch wurde mir bedeutet, dies ginge beim besten Willen nicht, da man mich nach meiner Rückkehr nach Westungarn erschlüge. Am 18. Oktober würde ich endlich nach dem Internierungslager in Nieder-Hollabrunn [Oberhollabrunn; Anm.] gebracht, wo meine Lage erträglicher war. Am 6. November wurde ich mit 29 aus West-Ungarn verschleppten Mitgefangenen wieder zum Bezirkskommando nach Wien gebracht, und am 8. November wurden wir freigelassen.“
Bis Sopron wurden die aus dem Gefängnis Befreiten von einem italienischen Hauptmann begleitet. Diese Meldung erscheint insoweit plausibel, als der Gefangenenaustausch stattgefunden hat. Mehrere Tageszeitungen berichten am 9. November, dass jene österreichischen Gendarmen und Finanzwachorgane, die sich seit längerer Zeit in ungarischer Gefangenschaft befunden haben, am 7. November im Austausch gegen mehrere, in Oberhollabrunn internierte Ungarn in Wiener Neustadt eingetroffen seien. Bei diesen Beamten handelt es sich um jene, die im Vorfeld des Gefechtes bei Kirchschlag am 5. September im Raum Gerisdorf/Bubendorf sowie am 10. Oktober bei Unterrohr gefangen genommen wurden.
Am 14. November 1921 – einen Tag nach Beginn des Einmarsches des Bundesheeres in das Burgenland – ordnete die Polizeidirektion Wien auf Weisung des Außenministeriums die Freilassung aller Internierten an. Trotzdem wurden in den folgenden Monaten noch vereinzelt Personen interniert bzw. als Flüchtlinge aufgenommen. Die letzten dürften am 17. Juli 1922 freigelassen worden sein. Während der gesamten Zeit des Bestandes des Internierungslagers Oberhollabrunn wurden 159 Personen dort festgehalten. Eine umfangreiche Darstellung zum Internierungslager Oberhollabrunn findet sich bei Hess, Michael: „Seit längerer Zeit der Verbindung mit den ungarischen Banden in Westungarn dringend verdächtig“ - ungarische bzw. westungarische Internierte im Internierungslager Oberhollabrunn. In: Burgenland schreibt Geschichte. 1921-2021. Band 1 (= Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 168), Eisenstadt 2021. S. 143-170.
Überfall auf den Gendarmerieposten Au am Leithaberge
Am Abend des 27. September drangen rund 30 Friedrich-Freischärler von Stotzing kommend in das niederösterreichische Au am Leithaberge ein. Dort überfielen sie den 15 Mann starken Gendarmerieposten und verschleppten elf Gendarmen nach Eisenstadt. Bei den Verschleppten handelte es sich um die Patrouillenleiter Edwin Kratzert, Rupert Hörlezeder und Josef Prislinger, den Gendarmen Leopold Platzer sowie die Provisorischen Gendarmen Edwin Lamprecht, Andreas Mandl, Johann Schrey, Karl Fertch, Walther Fatheier, Johann Pribitzer und Otto Schwind. Ziel der Aktion war es, internierte Ungarn, insbesondere den im Wiener Gerichtsgefängnis einsitzenden Dr. Emmerich Egan, freizupressen.
Schlag berichtet, dass die Gendarmen von den „Grünhütlern“ kameradschaftlich behandelt wurden und die „Sache glimpflich ausging.“ Am 30. September berichtet der Pester Lloyd, einer der entführten Gendarmen – der Meldung im Grazer Tagblatt vom 1. Oktober zufolge handelte es sich dabei um Josef Prislinger – sei [am 29. 9.; Anm.] mit der Mitteilung der Insurgenten, die Kameraden würden nur im Austausch gegen Dr. Egan freigelassen werden, zurückgekehrt. Prislinger erzählte, „daß die Bande, die den Ueberfall unternahm, eine hoch aristokratische Gesellschaft gewesen sei.“ Unter den Mitgliedern der Bande nannte er „die Namen zweier Mitglieder, eines Grafen Erdödy und eines Grafen Eszterházy.“ Nähere Angaben zum weiteren Verbleib bzw. über die Rückkehr der Verschleppten sind nicht bekannt.
Die Ermordung des Pfarrers Pataki
Am 16. Oktober berichtet die Kronen-Zeitung über die Entführung und Ermordung eines österreichfreundlichen ungarischen Pfarrers wie folgt: „Die Tat ungarischer Freischärler.“ Die „Politische Korrespondenz“ schreibt: Die Greueltaten magyarischer Banden auf burgenländischem Gebiet sind durch zahllose Aussagen einwandfrei erhärtet. Zu den vielen Opfern, die ihr Leben lassen mußten, ist ein neues gekommen, dessen Ermordung beispiellos dasteht. Im Wald erwürgt. Der römisch-katholische Pfarrer Pataki von Barnau [Pernau, Pornóapáti; Anm.] im Burgenland ist Freitag den 7. d. [7. Oktober 1921; Anm.] im Walde von Narsin [Nárai, westl. Szombathely; Anm.] auf ungarischem Boden, etwa in der Mitte zwischen Steinamanger und der neuen Grenze, ermordet und ausgeraubt aufgefunden worden. Sein Kopf zeigte mehrere Wunden, die Oberarme waren durch Kolbenhiebe gebrochen und der Mund mit Gras und Moos angefüllt. Der Pfarrer war im Walde erwürgt und erstickt worden. Die Zeugenaussagen. Ueber diesen Fall ist mit burgenländischen Flüchtlingen ein Protokoll aufgenommen worden, das folgendes beinhaltet: Mittwoch den 5. d. [5. Oktober 1921; Anm.], nachmittags, waren zwei gutgekleidete Herren zum Pfarrer Pataki gekommen, die mit ihm eine erregte Unterredung führten. Am Abend erschienen abermals zwei Männer, die den Pfarrer zwangen, ihnen zu folgen. Die Mitnahme eines Breviers wurde als unnötig verweigert, da der Pfarrer bis 3 Uhr morgens wieder zurück sein werde. Pfarrer Pataki hatte noch Gelegenheit, um Hilfe zu rufen. Es kamen auch mehrere Dorfbewohner, die den Pfarrer schützen wollten, jedoch mit vorgehaltenem Revolver gezwungen wurden, sich hinter die Dreifaltigkeitssäule des Dorfes zurückzuziehen. Der Pfarrer wurde von den zwei Männern auf einen Wagen gehoben, der sich in der Richtung Narsin entfernte. Ein dritter Mann, der bei der Abwehr der Dorfbewohner mitgeholfen hatte, schloß sich dem Wagen an. Das Steinamanger Blatt „Hir" scheut sich nicht, diese Schandtat Oesterreichern in die Schuhe zu schieben. Angeblich seien die Mörder aus Steiermark gekommen. Da Bernau 25 Kilometer von der altösterreichischen Grenze entfernt ist und nur 2 Kilometer von der neuen ungarischen, da ferner der Ermordete auf ungarischem Boden aufgefunden wurde und da schließlich bekannt ist, daß Pfarrer Pataki sich stets für die Durchführung des Friedensvertrages von Trianon ausgesprochen hat, so ist es auf der Hand liegend, wo die Mörder zu suchen sind.“
Heftige Bandentätigkeit im Oktober
Nach der Umgliederung im September entfalteten die Freischärler eine beachtliche operative Beweglichkeit. Ihre Banden tauchten entlang der gesamten Grenze überraschend auf und verschwanden ebenso rasch nach ihren Überfällen, die sich gleichermaßen gegen Feldwachen des Bundesheeres, Gendarmeriepatrouillen und zivile Ziele richteten. Neubauer berichtet, dass am 6. Oktober eine Bande ungarischer Freischärler das Gasthaus Stinauer („Zur Hinterbrühl“ in Sommerein) im Gemeindegebiet von Kaisersteinbruch (?) heimsuchten und dabei ankündigten, am nächsten Tag wieder zu kommen. Daraufhin evakuierte Oberinspektor Kreuth mit den Gendarmen der Expositur Sommerein das Anwesen, wobei es zu einem Gefecht mit den Insurgenten kam, die „unter bedeutenden Verlusten zurückgeschlagen“ werden konnten. Beim Überfall am 6. Oktober wurden dem Gastwirt Georg Stinauer Lebensmittel, Wein, Schmuck und Bekleidung sowie 60.000 Kronen in österreichischem Bargeld und 600 Kronen in ungarischer Währung geraubt. Insgesamt soll die Bande einen Gesamtschaden von mehreren hunderttausend Kronen verursacht haben.
Ungarische Insurgenten begannen am 7. Oktober gegen 2300 Uhr die Leithabrücke zwischen Wiener Neustadt und Neudörfl zu beschießen. Sicherungstruppen des Bundesheeres erwiderten das Feuer, worauf für einige Zeit Ruhe eintrat, bis die Brücke gegen 0000 Uhr neuerlich beschossen wurde. Bundesheer und Gendarmerie konnten den Gegner vertreiben. Am selben Tag geriet Maria Horvath aus Bruckneudorf in einem Gefecht auf dem Gelände des Brucker Lagers zwischen die Fronten, wurde schwer verletzt und starb später an ihren Verletzungen (14. Oktober 1921, 11 Uhr nachts). Der Eintrag im Totenbuch von Bruck an der Leitha vermerkt zu den näheren Umständen: „wurde, als sie ihre Behausung in Királyhida verließ, bei dem Feuer- und Granatschießen zwischen unserer Reichswehr und den ungarischen Banditen schwer verwundet.“ Bei diesem Gefecht soll auch ein Insurgent getötet worden sein.
Die Ungarn, die sich am Leithagebirge und auf der Rosalia festgesetzt hatten, nahmen am 8. Oktober ab 0400 Uhr die Ortschaft Eichbüchl mit Maschinengewehren unter Feuer. Das Hauptziel war das Schloß Eichbüchl, in dem österreichische Gendarmerie untergebracht war. Dem Bundesheer gelang es, die Banden aus ihren Stellungen zu vertreiben. Am 10. Oktober wurden die Gendarmen Stephan Surru und Karl Luckinger des Postens Unterrohr (Steiermark) während eines Patrouillenganges von einer fünfköpfigen Insurgentenbande auf österreichischem Boden überfallen und nach Ungarn verschleppt.
Ihr Verbleib klärte sich erst durch eine Meldung des Neuen Grazer Abendblattes vom 2. November 1921. Unter Berufung auf ein nicht näher genanntes „Wiener Blatt“ veröffentlicht die Zeitung einen von den gefangenen Deutschösterreichern in Oberwart übermittelten Brief: „Die gefangenen österreichischen Zollwächter und Gendarmeriebeamten danken Ihnen für die wertvolle Unterstützung im Kampfe um ihre Befreiung, und bitten Sie zugleich, auch dem Nationalrat Herrn Doktor Hampel für sein mannhaftes Eintreten ihren wärmsten Dank zu übermitteln. Wir haben Kenntnis, daß die Regierung auf die Anfrage in der Nationalversammlung die beruhigende Versicherung gab, es seien alle erforderlichen Maßnahmen für unsere Befreiung getroffen. Seitdem sind neuerlich fast drei Wochen vergangen; es sind inzwischen wieder zwei österreichische Gendarmen [Stephan Surru und Karl Luckinger; Anm.] als Gefangene hier eingeliefert worden, aber sonst ist alles beim alten geblieben.“
Wie bereits Heinrich Sachs am 24. September kam am Abend des 11. Oktober die 35jährige Landarbeiterin Marie Schima, vom Gutshof Käshof bei Bruck an der Leitha mit einer schweren Schussverletzung in der Bauchgegend mit der Ostbahn in Wien an. „Sie gab an, daß sie am Nachmittag, als sie von ihrer Arbeit auf dem Felde in den Gutshof zurückkehren wollte, plötzlich einen Schuß hörte, der aus der Richtung des von den ungarischen Banden besetzten Gaisberges kam, und gleich darauf einen Stich in der Bauchgegend verspürt habe. Sie sei zusammengebrochen, konnte sich jedoch bald darauf zu dem Gutshof schleppen, von wo sie, nachdem sie verbunden worden war, nach Wien transportiert wurde.“ Die Fälle von Heinrich Sachs (s. o.) und Marie Schima geben einen Eindruck von der Sanitätsversorgung der damaligen Zeit. Nur wer das Glück hatte, einen stundenlangen Transport ohne medizinische Betreuung zu überstehen, hatte die Chance, eine schwere Verletzung zu überleben.
Bei einem Gefecht am 12. Oktober bei Deutsch-Haslau gerieten zwei Insurgenten in Gefangenschaft. Unter den Kämpfen an verschiedenen Grenzorten erwähnt Neubauer besonders die Gefechte bei Lembach, bei denen sich mehrere Beamte durch besondere Tapferkeit auszeichneten. Aus dem steirischen Grenzort Wartegg südöstlich von Fehring wurde eine am Vormittag des 17. Oktober eingefallene ungarische Bande durch Alpenjäger und Gendarmeriepatrouillen nach langem Feuerkampf zurückgetrieben. Neubauer bezeichnet den am selben Tag geführten Angriff auf Lafnitz als den heftigsten auf diesen Ort.
Nahe Schiefer kam es am 18. Oktober zu einem Gefecht zwischen Banditen und österreichischen Gendarmen, die durch Bundesheer und Heimwehr verstärkt wurden, wobei ein Heimwehrmann durch einen Armschuß verwundet wurde. Auch bei Blumau kam es zu einer Schießerei zwischen Gendarmerie und Insurgenten. Ebenso wurde gegen 0300 Uhr Deutsch-Haslau von ungarischen Freischärlern mit Maschinengewehren angegriffen. Bei dem Gefecht, das eine Stunde andauerte, kam zunächst Gendarmerie, dann auch Bundesheer zum Einsatz. Auch Bruck an der Leitha wurde am 18. und 19. Oktober erneut angegriffen, wobei das vor den österreichischen Linien liegende Heeres-E-Werk ein wesentliches Ziel war.
Am 20. Oktober wurden in Kalch (an der Südspitze des Burgenlandes, Bez. Jennersdorf) der Gastwirt Franz Gombotz, der bei ihm zu Besuch weilende Zollwachaspirant Alexander Kalcher und der Fleischhauer Karl Mautner von Banden gefangengenommen und verschleppt. Als die Freischärler Gombotz mit dem Erhängen drohten, versuchte er zu fliehen und wurde durch einen Oberschenkelschuss verwundet. Die Insurgenten schlugen ihn so lange mit Gewehrkolben, bis er bewusstlos liegen blieb. Meldungen zufolge wurde er in das Krankenhaus nach St. Gotthard gebracht.
Eine ungarische Bande zündete am 21. Oktober das Gasthaus Stinauer in Sommerein, das schon mehrmals angegriffen worden war, an. Die Insurgenten wurden durch Wehrmänner und Gendarmen in einem Feuergefecht zurückgeworfen. In Bruck an der Leitha geriet ebenfalls am 21. Oktober der Volksschüler Karl Horniak aus Wien in Kampfhandlungen und erlitt einen tödlichen Herzschuss. Sein Leichnam konnte erst am folgenden Tag geborgen werden. Das Neue Wiener Tagblatt berichtet: „Der neun Jahre alte Häuslersohn Johann Marer [Mahrer; Anm.] aus Neu-Brenten [ehem. Ortsteil in der Gemeinde Loipersdorf; Anm.] wurde auf steirischem Boden [am 25. Oktober; Anm.] von einem magyarischen Banditen angeschossen und ihm der Mund durchschossen. Der Verletzte befindet sich im Krankenhaus von Fürstenfeld.“
Am 28. Oktober schossen Freischärler den Patrouillenleiter Anton Haberler von der Gendarmerieexpositur Prellenkirchen während einer Patrouille beim Überqueren ungarischen Gebietes an der Grenze bei Edelstal an. Kurz darauf erlag er seinen schweren Verletzungen. Nach der Rückkehr von einigen Hundert Insurgenten nach Sauerbrunn und Mattersdorf sandten sie Spähtrupps gegen Neudörfl, wo diese gefangengenommen wurden. In Kobersdorf wollten am 31. Oktober ungarische Banden vom Kaufmann Alt Kontributionen eintreiben. Alt flüchtete nach Schwarzenbach auf österreichisches Gebiet, wo unter der Drohung, den Ort in Brand zu setzen, dessen Auslieferung begehrt wurde. Als dies nicht geschah, unternahm die Bande einen Vorstoß auf Schwarzenbach, der von Bundesheer und Gendarmerie zurückgewiesen wurde. Bei Ungerbach kam es zu einem Gefecht zwischen Insurgenten und der Gendarmerie. Ein Ungar kam ums Leben, drei wurden verwundet.
Entspannung an der Grenze
Nach der Unterzeichnung der Venediger Protokolle erließ die Regierung in Budapest folgende Aufforderung an die Banden, die am 21. Oktober publiziert wurde: „Die Regierung hat in Durchführung der im Abkommen von Venedig am 13. d. übernommenen Verpflichtungen folgende Verordnung erlassen: Da die Erfüllung der Bedingungen des erwähnten Uebereinkommens bekanntlich unter den gegenwärtigen außerordentlich schwierigen Verhältnissen unserem Vaterlande günstig zu betrachtende Ergebnisse sichert, erwartet die Regierung von jedem Bürger des Vaterlandes, daß er die Erfüllung der in dem Uebereinkommen übernommenen Verpflichtungen als seine heiligste patriotische Pflicht betrachte. Demgemäß fordert die Regierung die westungarischen Aufständischen auf, den weiteren Widerstand einzustellen, die Waffen niederzulegen und in ihr Heim zurückzukehren. Die Regierung garantiert, daß die Aufständischen, die dem Aufruf bis zum 30. d. Folge leisten, erstens wegen eventuell begangener politischer Strafhandlungen nicht in strafrechtliche Verfolgung gezogen werden und zweitens ihre Universitäts- oder sonstigen Schulstudien ohne Verlust fortsetzen können, während sie im entgegengesetzten Falle ein halbes oder ein Studienjahr verlieren. Eventuell teilnehmende aktive und pensionierte Offiziere und Beamte, die dem Aufruf nicht Folge leisten, werden einem Ahndungsverfahren unterzogen werden. Alle diejenigen, die noch weiter an dem Aufstand teilnehmen oder die Aufständischen mit Geld oder anderen Mitteln unterstützen, unterliegen den entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzes.“
Diese Verordnung zeigte zunächst keine unmittelbare Wirkung. Vielmehr war es ein anderes Ereignis, das Entspannung an der Grenze brachte. Am 20. Oktober war Ex-König Karl IV. (Ex-Kaiser Karl I.) aus seinem Exil in der Schweiz mit einer Schweizer Junkers F-13, von Dübendorf kommend, nahe des Gutes des Grafen Cziráky in Dénesfa südöstlich von Ödenburg gelandet. Für die in Legitimisten/Karlisten (Osztenburg, Friedrich) und Freie Königswähler (Héjjas, Prónay) gespaltenen Insurgenten war eine völlig neue innenpolitische Situation entstanden. Erstere – reguläre Truppen aus Ödenburg und Raab sowie der Militärdistrikt von Steinamanger unter Feldmarschallleutnant Pál Hegedüs, die Osztenburg-Gendarmerie (1.500 bis 2.000 Mann) und Friedrich-Freischärler (rund 600 Mann) – schlossen sich Karl auf seinem Marsch auf Budapest an. Héjjas (4.500 Mann) und Prónay eilten zur Unterstützung des Reichsverwesers Horthy Richtung Budapest.
Am 23. Oktober kam es bei Budaörs und Biatorbágy (an der westlichen Stadtgrenze von Budapest) zum entscheidenden Gefecht zwischen den königstreuen Truppen unter Oberst Léhár sowie den Verbänden von FML Nagy und „Erwachenden Ungarn“ unter Hauptmann Julius von Gömbös, welches die Letzteren für sich entscheiden konnten. Der zweite Restitutionsversuch Karls war gescheitert. Das Osztenburg-Detachment sowie das V. Freischärlerkorps (Maderspach) und das VI. Freischärlerkorps (Wein) wurden entwaffnet und gefangengenommen. Die Freischärler von Héjjas und Prónay kehrten zwar zwischen dem 25. und 26. Oktober in das Burgenland zurück, ihre militärische Offensivkraft war aber gebrochen.
Der Tote von Donnerskirchen
Ende Oktober 1921 fand der Kleinhäusler Johann Berger aus Donnerskirchen nächst dem Tiergarten bei Eisenstadt auf Donnerskirchner Gemeindegebiet im Wald die mit Erde bedeckte Leiche eines unbekannten jungen Mannes. Er unterließ jedoch aus Furcht vor den Freischärlern die Anzeige. Diesen Tatbestand brachte Gendarmerierayonsinspektor Franz Hofmann vom Posten Preßbaum, damals Expositurskommandant in Donnerskirchen, am 1. Dezember 1921 von einer gewissen Theresia Hauser aus Donnerskirchen in Erfahrung.
Inspektor Hofmann und Patrouillenleiter Franz Schwarz begaben sich daraufhin zusammen mit Berger in Begleitung des Oberlandesgerichtsrates Ambros und des Kanzleidirektors Köhler aus Eisenstadt an den Fundort der Leiche. Der Kopf war vom Rumpf getrennt und der linke Vorderarm fehlte ebenso wie der Unterkiefer. Die Leiche wurde, wie die ,,Gendarmerie-Korrespondenz“ meldete, durch den bei dem Fabrikanten Spitzer in Eisenstadt angestellten Johann Pötzlbauer und später durch den Fabrikanten Spitzer selbst als die des bei Spitzer angestellt gewesenen Hugo Schindler erkannt.
Hugo Schindler soll durch den Banditenzugsführer Julius Sarkony (auch: Skörköny bzw. Sarkössy) und drei andere ungarische Banditen Ende Oktober aus der Fabrik Spitzers entführt und bei Donnerskirchen erschossen worden sein. Die Agnoszierung war offenbar falsch. Nach Auffinden des zunächst noch fehlenden Unterkiefers am 30. Dezember 1921 konnte ein Zahnarzt, bei dem sich Schindler sechs Plomben hatte machen lassen, ausschließen, dass die Leiche die des Schindler ist. Der Tote hatte keine plombierten Zähne. Hier verliert sich die Spur des Hugo Schindler. Weder in der Literatur noch in Zeitungsberichten finden sich Hinweise auf seinen Verbleib.
Die Zeitungsberichte der damaligen Zeit erwähnen übereinstimmend zwei „von denselben Banditen“ erschossene Männer. Sarkössy und seiner Bande dürften zwei Verbrechen zuzuordnen sein, wobei nur eine Leiche gefunden wurde – die eines gewissen „Deutsch“. Zu dem Verbrechen, das an dem aufgefundenen Toten begangen worden war, wurden kriminalpolizeiliche Erhebungen eingeleitet, die von den Beamten Bernal und Konitz oder auch Berndl und Kopitz geführt wurden.
Diese Erhebungen brachten zutage, dass etwa zur selben Zeit wie Schindler ein gewisser „Deutsch“ aus Wien-Favoriten bei Donnerskirchen von Freischärlern gefangengenommen worden sein soll. Zu seiner Person wurden offenbar keine Dokumente gefunden. Da er sich wohl schon einige Zeit in Donnerskirchen aufhielt, wurde bekannt, dass er Jude und Tischlergehilfe gewesen sein soll. Es wurde das Gerücht verbreitet, dass „Deutsch“ Kommunist sei und 1.000 tschechische Kronen erhalten haben soll, um die Stellungen der Friedrich-Freischärler auszukundschaften. Das soll auch der Grund für seine Ermordung gewesen sein. Am 14. und 15. Oktober 1921 fand bei Donnerskirchen ein Gefecht zwischen den im Ort stationierten Osztenburg-Friedrich-Freischärlern unter dem Kommando des Oberleutnants Géza Sebök und den Héjjas-Banden, die entlang des Südabhanges des Leithagebirges von Jois vormarschierten, statt. In diesem Zusammenhang ist es durchaus plausibel, dass sich „Deutsch“ im Vorfeld dieses Gefechtes als „Spion“ betätigt haben könnte.
Die Wirtsleute des Gemeindegasthauses von Donnerskirchen gaben an, dass „Deutsch“ vom Zugsführer einer ungarischen Bande namens Sarkössy grausam misshandelt worden sei. Zur Wirtstochter soll Sarkössy geäußert haben, er werde dem Juden den Garaus machen, und er rühmte sich auch einige Tage nach dem 18. Oktober, dass er die Tat vollbracht habe. Augenzeugenberichten zufolge soll „Deutsch“ von mehreren Personen gesehen worden sein, als er von Sarkössy und drei weiteren Freischärlern in Richtung des Steinbruches von Schützen am Gebirge geführt wurde. Einer der Zeugen gab an, dass er etwa eine halbe Stunde nach der Begegnung aus dem Steinbruch einen Schuss hörte. Auer zitiert das Tagebuch des Alfred Bayer aus Donnerskirchen, in dem dieser angibt, dass „der Jude“ (ein Name wird nicht genannt) am 10. Oktober erschossen worden sei.
Das Neue Wiener Tagblatt berichtet, dass die Leiche des unbekannten Mannes [„Deutsch“; Anm.] auf den israelitischen Friedhof nach Eisenstadt übergeführt wurde. Da die Behörden offenbar bei der Identifizierung des Unbekannten nicht vorankamen, erging in mehreren Zeitungen im Februar 1922 ein Aufruf mit Personsbeschreibung zur Feststellung der Identität des Toten.
Letzte Gefechte der Gendarmerie
In der Nacht zum 1. November – Steinböck nennt den 31. Oktober, 2200 Uhr, Neubauer den 1. November 0200 Uhr – wurde eine Bundesheer-Feldwache (Vorposten) beim Wirtshaus Schäffernsteg an der Mündung des Schäfferngrabens in das Pinkatal von Insurgenten überfallen. Die Gendarmeriereserven aus Friedberg und Pinggau wurden zur Unterstützung der Heereseinheit eingesetzt. Als das Gefecht um 0400 Uhr noch andauerte, wurde ein Zug des Alpenjägerregimentes 9 aus Hartberg zur Verstärkung in Marsch gesetzt. Der Mannschaftstransportwagen verunglückte bei Pinggau, wobei elf Soldaten den Tod fanden sowie 19 weitere zum Teil schwer verletzt wurden. Daher wurde der Angriff der Freischärler, von denen mehrere verwundet worden sein sollen, im Wesentlichen von der Gendarmerie zurückgewiesen.
Eine ungarische Bande marschierte am 1. November gegen Sommerein. „Die 30 Gendarmen, die dort Grenzdienst versahen, waren schon alarmiert und bezogen sofort ihre Stellungen, mußten sich aber, auf drei Seiten angegriffen, schrittweise zurückziehen. Nach Mannersdorf wurde sofort um Verstärkung telephoniert, die mit Maschinengewehren anrückte. Bis zu ihrem Eintreffen waren die ungarischen Banden aber schon bis zum Dorfeingang vorgerückt und schossen schon in die Fenster hinein. Der Verstärkung aus Mannersdorf gelang es aber noch im Laufe der Nacht, die Bande zurück zu werfen. In der Nacht sah man über Kaisersteinbruch starken Feuerschein. Wahrscheinlich hatte die Bande hier mehrere Häuser in Brand gesteckt.“ Die Gendarmerie-Expositur Wilfleinsdorf wurde am 3. November heftig beschossen. Neubauer vermerkt diesen Angriff als den letzten, den die Gendarmerie im Grenzschutzeinsatz abzuweisen hatte.
Rückzug der Insurgenten
Bereits am 31. Oktober war Prónay nach Budapest zitiert worden, wo ihm, unter Androhung reguläres Militär gegen seine Freischaren einzusetzen, befohlen wurde, bis zum 6. November das „Lajta-Bansag“ zu räumen. Ab dem 5. November begann der Rückzug Prónays im südlichen Burgenland, und in den folgenden Tagen verließ auch Héjjas mit seinen Insurgenten das Nordburgenland.
Am 5. November berichtet dazu das Grazer Tagblatt über eine Meldung an das Gendarmeriekommando in Hartberg, wonach seit den Morgenstunden ein Zurückweichen der ungarischen Banden in das Landesinnere zu bemerken sei. Darüber hinaus haben die Ententemächte die ungarische Regierung nochmals aufgefordert, ihren Einfluss auf die Auflösung der Banden, die sich noch in großer Zahl im Burgenland befinden, geltend zu machen. Die Kronen-Zeitung vom 6. November berichtet ebenfalls vom Abzug der Banden aus dem Burgenland und meldet, dass die Zone A bereits vollkommen von den Freischärlern geräumt sein soll. Der Pester Lloyd berichtet unter Berufung auf ein Soproner Blatt, dass viele Hunderte von Insurgenten aus der Zone A durch Sopron abzogen. Sie kamen aus Eisenstadt, Mattersdorf und Oberpullendorf.
Ortswehrkampf in Eberau
Trotz des allgemeinen Rückzuges der Insurgenten überfielen am 7. November ungarische Banden zwei Gemeinden im Pinkaboden. Die Rote Fahne berichtet: „In der Gemeinde Prostrum (Szentpéterfa, an der österreichischen Grenze im Westen Ungarns im Pinkaboden) erschienen am 7. d. nachts drei Pronay-Banditen, die unter dem Vorwande, rückständige Steuern einzutreiben, 30.000 Kronen von einem Wirtschaftsbesitzer erpreßten. Die Ortswehren der Gemeinden Prostrum und Eberau nahmen die Banditen, von denen sich einer als landwirtschaftlicher Inspektor bezeichnete, gefangen und lieferten sie auf Befehl der Ententekommission von Güssing den ungarischen Gendarmen aus, die sie nach Steinamanger brachten, wo sie freigelassen wurden.“
Die Rote Fahne berichtet weiter: „Am 9. November kam ein mit fünf Banditen besetzter Lastwagen über Prostrum nach Eberau, wo sich zwischen der Ortswehr und den Banditen ein Kampf entspann, in dessen Verlaufe zwei Banditen verwundet, die beiden Chauffeure gefangen, von der Ortswehr der Ortsbewohner Fratzl [Josef Gratzl aus Winten; Anm.] getötet, die beiden Mitglieder der Ortswehr Szabara [Stefan Sabari aus Winten; Anm.] und Namensneck [Josef Namesnek aus Kulm; Anm.] verwundet wurden.“ Darüber hinaus wurden Josef Horvath aus Eberau und Josef Garger aus Kulm ebenfalls verwundet. Es handelt sich hier um den einzigen dokumentierten Ortswehrkampf im Zuge der Auseinandersetzungen mit den Freischärlern.
Mit der Unterzeichnung der Venediger Protokolle am 13. Oktober und der vollständigen Räumung der Zonen A und B durch die Insurgenten bis zum 10. November waren die Voraussetzungen für die zweite Besetzung des Burgenlandes, nunmehr durch das Bundesheer mit Unterstützung durch die Gendarmerie, gegeben.
Professor Dr. Jörg Aschenbrenner, ObstdhmtD i.R.