• Veröffentlichungsdatum : 18.01.2017
  • – Letztes Update : 30.01.2017

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  • 1762 Wörter

Miliz NEU - Teil 2a

Bernhard Schulyok, Lukas Bittner

Der Teil 1 der Artikelserie stellte grundlegende Aspekte der Aufgaben des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) dar. Ausgehend vom Bedrohungsbild wurden grundsätzliche Ableitungen, insbesondere für die Miliz getroffen. Im Teil 2 wird die Neuausrichtung der Miliz in der LV 21.1 kritisch betrachtet.

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Im ersten und zweiten Teil der Artikelserie wurden Grundlagen und Ableitungen des Bedrohungsbildes dargelegt. Nun gilt es die Aufgaben, die der Miliz zugedacht sind und die hierfür vorgesehene Struktur in personeller und materieller Hinsicht zu betrachten. Darüber hinaus sollen die erforderlichen Einsatzverfahren bis hin zur Gefechtstechnik unter den im Jahre 2016 geänderten Rahmenbedingungen dargestellt werden. Relevante Begriffe im Zusammenhang mit Miliz, Mobilmachungsverantwortung, Mobilmachung sowie Ausführungen zur Diszi-plinarbefugnis sind der Online-Version des Artikels zu entnehmen.

Änderung der Mobilmachungsverantwortung

Mit Jahreswechsel 2015/2016 wurde die Änderung der Mobilmachungsverantwortung für die selbständig strukturierte Miliz von den Militärkommanden zu präsenten Verbänden angestrebt. Bei der Garde unter dem Militärkommando Wien wurde dieses Vorhaben so vollzogen, in den Bundesländern einige Monate später. Im Rahmen der Neustrukturierung Landesverteidigung (LV) 21.1 wird nun jedem Militärkommando ein kleiner Verband (Jägerbataillon, in Wien unverändert die Garde) unterstellt, bei dem die Mobilmachungsverantwortung für die Milizbataillone bzw. auch selbständig strukturierten Milizjägerkompanien liegt, teilweise werden hierfür eigens neue Jägerbataillone der Präsenzorganisation aufgestellt, die u.a. auch für Grundwehrdienerausbildung verantwortlich sein sollen.

Durch die Verlagerung der Mobilmachungsverantwortung von den Militärkommanden zu den präsenten Jägerbataillonen wurden die Militärkommanden entlastet. Die kleinen Verbände wurden jedoch damit belastet, und haben nun neben ihren Aufgaben in der Präsenzorganisation auch noch ein Milizbataillon, die Garde sogar zwei. Dieses ist nach einer etwaigen Mobilmachung (Formierung) an die nächsthöhere Führungsebene zur Einsatzführung zu übergeben, aber nach dem Einsatz wieder selbst zu demobilisieren.

Von der Durchführung von Ausbildungs-Waffenübungen und dergleichen sowie der Betreuung des Milizbataillons und des eigenen Milizanteils in allen Miliz-Angelegenheiten während des Jahres ganz abgesehen. Die Idee, in den präsenten Jägerbataillonen je eine Jägerkompanie (die in weiterer Folge als Milizanteil betrieben werden soll) gegen eine Kampfunterstützungskompanie (KUKp) auszutauschen, wurde im Zusammenhang mit der Neustrukturierung des Bundesheeres LV 21.1 nicht bei allen präsenten Jägerbataillonen umgesetzt. Nach dem Militärstrategischen Konzept (MSK) haben die Einheiten und kleine Verbände der selbstständig strukturierten Miliz andere Hauptaufgaben als ihr mobilmachungsverantwortliches Kommando und sind nicht Teil dessen Truppengliederung.

Die disziplinäre Zuständigkeit gemäß Heeresdisziplinargesetz (HDG 2014) ist aufgrund der Verschränkung von Präsent- und Milizbataillon und deren Anteilen zu klären. Eine Anpassung des HDG in begrifflicher Hinsicht bzw. Zuordnung der jeweiligen Verantwortung wäre neu zu regeln. Beispielsweise ist der Kommandant des präsenten Bataillons der Disziplinarkommandant des Kommandanten des Milizbataillons. Beide befinden sich jedoch auf der gleichen Führungsebene. Zum Zeitpunkt der Erstellung des HDG 2014 war die Mobilmachungsverantwortung noch beim Militärkommando. Demnach war der Militärkommandant Disziplinarkommandant. Mit Verschiebung der Mobilmachungsverantwortung vom großen zum kleinen Verband ist der aktuelle Zustand eingetreten.

Begriffe im Zusammenhang mit Miliz und Mobilmachung

Nachstehend ausgewählte Begriffe (Militärlexikon, Stand September 2016) sind aufgrund der inhaltlichen Zusammenhänge nicht immer in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet:

Mobilmachungssystem, Aufbietungssystem, Formierungssystem (MobSys) ist die Gesamtheit aller Einzelschritte und Tätigkeiten, die zur Vorbereitung und Durchführung einer Mobilmachung erforderlich sind. Das Mobilmachungssystem setzt sich aus den Maßnahmen des Aufbietungssystems und des Formierungssystems zusammen.

Mobilmachungsorganisation (MobOrg) ist die nach Gesamtmobilmachung eingenommene Truppengliederung des Bundesheeres.

Einsatzorganisation (EOrg) ist die für einen bestimmten Einsatz getroffene Truppeneinteilung.

MobVerband (MobV) ist ein Verband der Einsatzorganisation, der nur zu Übungszwecken oder zum Zwecke eines Einsatzes zusammentritt.

Mobschlüsselpersonal (MSP) ist jene Personengruppe des Präsenz- und Milizstandes, die zur Vorbereitung und Durchführung der Formierung unbedingt erforderlich ist.

Formierung ist die Einnahme einer Einsatzorganisation mit dem nach erfolgter Aufbietung verfügbaren Personal und Material, entsprechend der organisatorischen Vorgaben.

Mobilmachungsverantwortung (MobVwtg) legt die Zuständigkeit für die Bildung und Erhaltung der Einsatzbereitschaft der Einsatzorganisation (Personal, Material und Ausbildung) sowie für die Vorbereitung und Durchführung einer Mobilmachung fest.

Mobilmachungsbehinderung (MobBehg) tritt ein, wenn aufgrund von aktuellen Aufgaben oder des Zustandes einer Truppe verfügten Maßnahmen die Vorbereitung und Durchführung einer Mobilmachung stark erschwert oder ausgeschlossen ist.

Aufgaben der selbstständig strukturierten Miliz

Gemäß dem Militärstrategischen Konzept (MSK) kommen der selbstständig strukturierten Miliz folgende Aufgaben zu: „Angehörige der selbstständig strukturierten Miliz leisten ihren Beitrag insbesondere im Rahmen der Hauptaufgaben: Verteidigung, Bewachung, Überwachung von bestimmten Objekten und/oder Räumen im Rahmen des Schutzes sowie Katastrophenhilfe. Dies schließt den Objektschutz im Rahmen des Schutzes kritischer Infrastruktur mit ein.“

Neben dem Schutz als Hauptaufgabe kann es im Anlassfall notwendig sein, das gesamte Leistungsspektrum der Einsatzverfahren zu beherrschen (z. B. zur militärischen Landesverteidigung). Die dem jeweiligen Bedrohungsszenario entsprechende Vorwarnzeit ist zu nützen, um die Einsatzbereitschaft zur Aufgabenbewältigung herstellen zu können. 

Die Kenntnis von Verfahren zur Abwehr eines konventionellen Gegners („klassisches Gefecht“) ist nicht obsolet, die Eintrittswahrscheinlichkeit nach Inhalt und Umfang ist jedoch angepasst zu sehen. Demnach sind in erster Linie Verfahren zur Abwehr subkonventioneller, subversiver Angriffe zu beherrschen. Gerade diese Szenarien erfordern ein hohes Niveau der eingesetzten Soldaten, da das Verhalten auf unterster Führungsebene „strategische“ Auswirkungen haben kann - Stichwort: „strategic corporal“.

Die Ableitungen dazu sind im Kontext mit der Abbildung (unten) zu sehen, welche die Eintrittswahrscheinlichkeit sowohl von oben nach unten (Assistenz bei Katastrophen bis zum Einsatz zur Militärischen Landesverteidigung) als auch von links nach rechts (bezüglich der unmittelbaren Verfügbarkeit von Kräften) abnehmend darstellt.

Nachstehende Überlegungen zur Priorisierung der Ausbildungsinhalte bzw. der Fähigkeiten und Fertigkeiten im Zusammenhang mit der Hauptaufgabe Schutz durch die selbstständig strukturierte Miliz sind daher angebracht. Der Schutz besteht in seiner erfolgversprechenden Variante aus der ausgewogenen Mischung von Elementen bzw. Komponenten der Inneren und Äußeren Sicherung. Diese sind beweglich und stationär eingesetzt, agieren offen und verdeckt. Die Kunst hierbei ist es, eine effektive und effiziente Mischung der eingesetzten Komponenten zu finden.


Die Fähigkeiten zum Schutz beinhalten umfassende Kenntnisse und Fertigkeiten. Sie erfordern Verknüpfungen mit anderen Techniken, insbesondere aus dem Bereich der Einsatzarten Angriff und Verteidigung. Die Fähigkeit, rasch mit mobilen Kräften wirksam zu werden, die der Größe des Raumes entsprechend dezentral und aufgelockert bereitgehalten werden, stellt ein proaktives Handeln sicher. Das gilt umso mehr im Objektschutz, wo der Objektbereich und der Schutzbereich in einer Hand sein müssen. Nur so kann das unmittelbare „Vorfeld“ eines Schutzobjektes für die Einsatzführung des verantwortlichen Kommandanten genützt werden (Vorfeldaufklärung bzw. Gefahrenerforschung). 

Schutz darf sich gedanklich nicht auf den „bewaffneten Spaziergang“ bzw. das „Posten-Stehen“ beschränken. Er muss umfassend betrachtet werden. Der Einsatz gegen terroristisch vorgehende, irreguläre Kämpfer - als höchste und gefährlichste Herausforderung - erfordert ein vernetztes Denken und Handeln. Es stellt die Spitze militärischer Aktionen dar. Das bedeutet jedoch nicht, dass derjenige, der die klassischen Einsatzarten beherrscht, auch „alles andere“ kann. Diese bilden vielmehr die Basis, auf der aufzubauen und zu schulen ist. Nach dem Vermitteln der Grundlagen in den „klassischen Einsatzverfahren und -arten“ ist die Ausbildung der selbstständig strukturierten Miliz in ihrem Hauptaufgabenbereich anzusiedeln: dem Schutz. 

Schutz ist keine einfache Aufgabe. Er ist in seiner gesamten Bandbreite zu betrachten - als Herausforderung für jeden Soldaten, eingebettet in einem zivilen Umfeld. Nur proaktiver Schutz führt zum Erfolg. Demzufolge ist die Aussage, selbstständig strukturierte Miliz ist „zum stationären Schutz von Schutzobjekten“ vorgesehen, möglicherweise die Ursache einer Fehlbeurteilung: Die Fähigkeit der selbstständig strukturierten Miliz zur mobilen Einsatzführung, was unter anderem Gefechtsfahrzeuge für Soldaten beinhaltet, wurde mit der Organisationsplanänderung 2016 gegen Null gesenkt. 

Der Jägerzug hat nur noch ein Kleinfahrzeug im Zugtrupp. Man könnte zwar die Hälfte der Jägerzüge eines Jägerbataillons mit Lastkraftwagen (zwei Gruppen auf einem Fahrzeug) „mobil“ halten, was jedoch nicht ständig möglich ist. Erstens muss auch Gerät transportiert werden und zweitens ist eine bewegliche Einsatzführung ohne Kleinfahrzeuge nicht sinnvoll. Diese Art der „Mobilität“ gab es im ÖBH vor über 30 Jahren und sollte eigentlich der Vergangenheit angehören. Wie oben angeführt, ist der rein stationäre Schutz weder effektiv noch effizient.

Wenn man an mögliche Schutzobjekte, wie den Flughafen Wien-Schwechat oder das OMV-Areal bei Schwechat, aber auch an den Schutz von Räumen denkt (Zusatzaufgabe der selbstständig strukturierten Miliz), wird ersichtlich, dass ein entsprechender Schutz ohne Kleinfahrzeuge nicht machbar ist. Diese Erkenntnis wurde auch bei der Verbandsübung „HANDWERK 15“ der 4. Panzergrenadierbrigade gewonnen (vgl. TD-Heft 5/2015). 

Der nicht zufriedenstellende Zustand wurde in der Zentralstelle erkannt. Als zwischenzeitliche Lösung sollen wieder Kraftfahrer (mit möglicher Doppelfunktion) in den Jägergruppen im Organisationsplan aufscheinen. Dies erlaubt es zumindest zu Übungszwecken, Fahrzeuge aus der Präsenzorganisation zu verwenden. Im Einsatz können darüber hinaus Fahrzeuge über das Militärleistungsgesetz requiriert werden.

Ausbildungsschwergewicht - Eintrittswahrscheinlichkeit

Die Behauptung der Vergangenheit, Milizbataillone könnten das gesamte Leistungsspektrum präsenter Jägerbataillone in der notwendigen Qualität abdecken, entspricht nicht der Realität. Es ist nicht möglich, dass Milizangehörige den erforderlichen Leistungsstandard mit einer einwöchigen Übung alle zwei Jahre (Waffenübungsrhythmus) erhalten. Die von militärischen Planern geäußerte Absicht, eine gezielte Vorbereitung vor einem Einsatz durchzuführen, ist nur schwer umzusetzen, da diese unverhältnismäßig lange dauern würde. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob im Anlassfall noch genügend Zeit für eine solche Vorbereitung vorhanden wäre.

Durch die hinkünftige Zuordnung einer konkreten Hauptaufgabe (Schutz) an die selbstständig strukturierte Miliz wird es möglich, gezielt und methodisch aufbauend an diese Sache heranzugehen. Damit besteht die reelle Chance, im Anlassfall den Einsatz erfolgreich führen zu können. Sollte es dennoch erforderlich werden, andere Aufgaben zu erledigen, wie die Abwehr eines konventionellen Gegners im Inland oder einen (freiwilligen) Beitrag bei Auslandseinsätzen (nach wie vor werden 40 bis 60 Prozent aller Auslandseinsätze von Milizangehörigen abgedeckt), ist es wie bisher notwendig, die entsprechende Zusatzqualifikation zu erbringen bzw. eine konkrete Einsatzvorbereitung zu absolvieren.

So ist die Miliz zur Verstärkung bzw. Ablöse der präsenten Kräfte als Zweit- und Drittreaktion vorgesehen. Das Beherrschen des Gesamtspektrums der Fähigkeiten für die Soldaten eines Jägerbataillons wäre demnach weiterhin notwendig. Dies bedingt nicht notwendigerweise die strukturelle Abbildung von schweren Waffen (Panzerabwehrlenkwaffen, Granatwerfer) in den Organisationsplänen. Die Fähigkeit zum „Kampf der verbundenen Waffen“ für Schlüsselpersonal muss jedoch erhalten bleiben. Das könnte beispielsweise durch die Ausbildung am Führungssimulator gemeinsam mit präsenten Verbänden erreicht werden.

Für den Schutz wird, ausgenommen bei geplanten Großveranstaltungen, keine oder nur eine geringe Vorwarnzeit gegeben sein. Das bedeutet, die hierfür vorgesehene Miliz muss einen hohen Ausbildungsstandard aufweisen, da im Anlassfall kaum Zeit sein wird, sie zu schulen. Dieser Umstand spricht für eine Anpassung der derzeitigen Übungssystematik. So könnten Waffenübungen entweder jährlich oder, was von Milizangehörigen bevorzugt wird, alle zwei Jahre zweiwöchige Übungen durchgeführt werden. Dadurch ist es möglich, bisher Erlerntes zu festigen und neue Ausbildungsinhalte anzuhängen oder umfassende Themen zu vermitteln, beispielsweise eine Grundschulung im Ordnungseinsatz (Crowd and Riot Control - CRC). Gegner dieser Idee werden anführen, dass durch diesen neuen Rhythmus mehr Übungstage innerhalb kürzerer Zeit verbraucht werden. Dem ist die Minimierung des Fähigkeitsverlustes entgegenzuhalten. Eine tatsächliche Einsatzvorbereitung im Anlassfall kann dadurch im Vergleich zum aktuellen System kürzer gehalten werden.

Teil 2b - Anpassung an die hinkünftige Hauptaufgabe

Link zur Serie

Oberstleutnant Bernhard Schulyok, MA; Abteilung Militärstrategie im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport. Milizfunktion: Kommandant des Jägerbataillons Wien 2 „Maria Theresia“. Stabswachtmeister Lukas Bittner, BA; Büro für Sicherheitspolitik im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport. Milizfunktion: S3-Bearbeiter beim Jägerbataillon Wien 2 „Maria Theresia“.

 

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