- Veröffentlichungsdatum : 22.01.2019
- – Letztes Update : 25.01.2019
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Die Evolution des Krieges
Im Wiener Naturhistorischen Museum ist seit 24. Oktober 2018 bis 28. April 2019 die Sonderausstellung „Krieg. Auf den Spuren einer Evolution“ zu sehen. Dabei werden 7.000 Jahre Kriegsgeschichte präsentiert und grundsätzliche Fragen zu Aggression, Gewalt und Krieg bearbeitet. Anhand von historischen Auseinandersetzungen wird dieses Thema, das den Menschen wie kaum ein anderes bewegt, in einem breiten naturhistorischen Ansatz vermittelt.
Das Naturhistorische Museum kennen viele Österreicher aus Kindertagen. Es ist der Ort an dem man Dinosaurierskelette, ausgestopfte Raubtiere und andere imposante Artefakte aus nächster Nähe betrachten kann. Neben der Dauerausstellung, bietet das Museum jährlich diverse Sonderausstellungen. Einmal steht das Thema „Biodiversiät“ im Mittelpunkt, ein anderes Mal sind es „Einzeller, Würmer und Vektoren“ oder im Eis mumifizierte Mammuts. Nun begibt sich das Naturhistorische Museum auf die historische Spurensuche zu einem Thema, das die Menschen seit jeher sowohl traumatisiert als auch in den Bann zieht - den Krieg. Dass dieser „ins Museum gehört“, weiß man in Österreich spätestens seitdem das Heeresgeschichtliche Museum diesen Wahlspruch hat.
Was ist Krieg und warum wird er geführt?
Beim Eingang der Sonderausstellung begrüßt die Besucher ein ausgestopfter Affe. Dieser hält einen Spiegel in den Händen, was die Chance bietet sich direkt mit unserem biologisch nächsten Verwandten zu vergleichen. Hinter dem Affen mit dem Spiegel steht das Wort „Krieg“ als Überschrift auf der ersten Schautafel. Auf dieser wird die Frage „Was ist Krieg?“ für nicht staatlich organisierte Kulturen „als geplanter Waffengang zwischen (…) Gruppen“ beschrieben, bei dem zumindest eine Seite die Anwendung von Gewalt als legitim betrachtet. Die Frage nach dem „Warum?“ wird mit ökonomischen, politischen und/oder Machtinteressen von Akteuren beantwortet sowie als Instrument zur Erhaltung, Ausweitung und Festigung von Macht und Territorium erklärt. Gründe, die für viele Menschen nach wie vor eine wichtige Motivation für ihre Handlungen sind.
Aber nicht nur für Menschen auch für unseren nächsten Verwandten, mit dem wir - wie eine andere Tafel verrät - 99 Prozent des Erbgutes teilen, ist Gewalt eine Handlungsoption. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel, wird man vielleicht erleichtert feststellen, dass die optische Abweichung von dem ausgestopften Affen, doch mehr als ein genetisches Prozent beträgt. Nachdenklich könnte man jedoch werden, wenn man dem Inhalt der Tafel folgt. Diese verweist darauf, dass Schimpansen bei Revierstreitigkeiten unter rivalisierenden Gruppen vor allem dann ihre Rivalen töten, wenn sie in der Überzahl sind. Hier töten hauptsächlich die Männchen, um ihre „Grenzkonflikte und territoriale Fragen“ zu klären. Somit ist Krieg, der sich in diesem Zusammenhang als Teil des genetischen Erbgutes interpretieren lässt, ein männlich konnotiertes Gruppenphänomen unter Hominiden.
430.000 Jahre Gewalt
Als der Homo sapiens sein menschliches Antlitz evolutionär zu formen begann, gab es vermutlich nur wenige Konflikte zwischen Gruppen. Der Grund war - so erfährt man auf einer weiteren Tafel - die geringe Bevölkerungsdichte, weshalb es de facto keine territorialen Fragen zu klären gab. Gewalt unter den Menschen bzw. seinen Vorgängern gab es dennoch. Das belegt der älteste Fund, der auf eine Gewalttat hindeutet, die vor 430.000 Jahren im heutigen Spanien verübt wurde. Die Bevölkerungszunahme bedeutete, dass gewaltsame Handlungen nicht mehr nur als „prähistorische Straftaten“ stattfanden, sondern - wie bei den Schimpansen - wegen Territorien geführt wurden.
Spätestens in der frühen Jungsteinzeit (5.000 v. Chr.) kam es zu „bewaffneten Konflikten“ zwischen Menschengruppen, vermutlich schon viel früher. Vor 7.000 Jahren wurde auf dem Gebiet der Gemeinde Schletz im niederösterreichischen Weinviertel ein befestigtes Dorf überfallen. Davon zeugen die Skelette von mindestens 50 Personen. Die Spuren an ihren gebrochenen Knochen stammen von Pfeilen, Steinbeilen und Keulen, die eindeutige Zeichen einer Kampfhandlung sind. Da unter den Leichen nur Männer und alte Frauen sind, scheint das Motiv festzustehen: Frauenraub.
Waffentechnik für Steinzeitkrieger
Die Spuren der Bluttat von Schletz zeigen den Stand der damaligen Waffentechnik, die ebenfalls in der Ausstellung behandelt wird. Die älteste Waffe, die hergestellt wurde, um einen anderen Menschen zu töten, dürfte eine Keule gewesen sein. Ansonsten wurden zunächst Jagdwaffen wie Pfeil und Bogen verwendet, um nicht nur Tiere, sondern auch Menschen umzubringen. Die Entwicklung der kulturellen Fähigkeiten des Menschen ging in technischer Hinsicht Hand in Hand mit der Entwicklung der Waffentechnik - ein Aspekt, der die Ausstellung wie einen roten Faden durchzieht und an dem die Evolution sichtbar gemacht wird.
Mit dem Bau von Werkzeugen für das Kriegshandwerk war es nicht getan. Mit der steigenden Arbeitsteilung, der nun sesshaften Menschengruppen, entwickelte sich das Kriegshandwerk und mit ihm der „Beruf“ des Soldaten in seiner Frühform als Gelegenheitskrieger. Dieser hatte die Aufgabe im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung entweder eine andere Sippe bzw. Dorfgemeinschaft anzugreifen oder die eigene zu verteidigen. Nicht umsonst wurden die Siedlungen ab der Bronzezeit vermehrt durch Ring-Wall-Anlagen geschützt.
Krieg und Kampf als archäologisches Forschungsfeld
Die Kampfhandlungen der Bronzezeit fanden nicht nur an den Holzmauern einer Siedlung statt. Der Nachweis der vermutlich ältesten Schlacht findet sich im Tollenseetal (Mecklenburg/Deutschland). Aufgrund der Funde lässt sich diese, an der mehrere tausend Mann beteiligt gewesen sein sollen, als Überfall auf eine marschierende Truppe interpretieren. Diese wurde womöglich in einen Hinterhalt gelockt und in Kampfhandlungen verwickelt, deren Spuren in Form von Skeletten in einer Länge von etwa 1,5 km in dem Tal zu finden sind. Spuren an den Knochen zeugen von verheilten Verletzungen. Sie sind ein Hinweis, dass die dort getöteten Personen bereits davor gekämpft hatten und vermutlich erfahrene Krieger waren. Dieses Ereignis belegt, dass es vor über 5.000 Jahren nicht nur in Hochkulturen wie in Ägypten oder Mesopotamien sondern auch in Europa eine organisierte Kriegsführung gab.
Am Beispiel dieser bronzezeitlichen Schlacht wird die Schlachtfeldarchäologie dargestellt. Mit ihr lassen sich sowohl Schlachten als auch die Bewaffnung und die Lebensumstände der Krieger rekonstruieren. Diese Forschungsdisziplin ist vielen noch unbekannt, da man bei einem Archäologen eher an jemanden denkt, der nach Dinosaurier-, Höhlenbären- oder Neandertalerskeletten sucht oder antike Mauern und Mosaike ausgräbt. Dennoch kommt diese Disziplin immer mehr in den Fokus, da sie sich nicht nur mit längst vergangenen Epochen sondern auch mit der Zeitgeschichte beschäftigt. Vertreter ihres Faches forschen beispielsweise auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges.
Von der Bronzezeit zum Mittelalter
„Zum Töten gemacht“, lautet die Überschrift einer Schautafel im ersten großen Saal, die neben einer Vitrine mit Schwertern steht. Dabei wird das Schwert als erster Gegenstand beschrieben, der definitiv als Waffe für den Kampf Mann gegen Mann entwickelt wurde. Zusätzlich war es ein Statussymbol der Kriegerkaste, die bis ins 20. Jahrhundert einen hohen sozialen Status innehatte. Das Schwert symbolisiert den Beginn der Waffenevolution. Mit der Entwicklung von Angriffswaffen wurde auch die Entwicklung von Verteidigungswaffen angetrieben und somit eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt, die bis heute anhält.
Die Oberhand im Chaos des Krieges oder einer Schlacht behält, wer in der Lage ist die beste Ordnung seiner Formationen zu gewährleisten. Von den Heerhaufen beispielsweise der Kelten bis zur Streitmacht der Römer, die bereits die wesentlichen organisatorischen Charakteristika moderner Armeen aufwies, sind es in der Ausstellung nur wenige Schritte. In der historischen Betrachtung war es ein Meilenstein, der durch das Mittelalter unterbrochen wurde.
Das Mittelalter war jedoch nicht nur eine dunkle Epoche. Gerade in der Kriegsführung entwickelte sich das Idealbild des Ritters, der nicht nur kämpfte und tötete, sondern Frauen verehrte und andere schützte. Das ist ein Aspekt, der jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass das Kriegsgewerbe immer brutal war und moralische Ansprüche dabei häufig zu kurz kommen - auch heute noch. Der Rittercodex ist jedoch ein Indiz, dass man damals versuchte, die Brutalität der Kampfführung zu zügeln.
30 Jahre Weltenbrand
Der Dreißigjährige Krieg war eines der prägenden Ereignisse der Neuzeit. Die Kampfführung unterschied sich von jener des Mittelalters und war unter anderem von den Söldnertruppen der Landsknechte in temporär aufgestellten Verbänden geprägt. „Das Morden fand erst ein Ende, als alle Kräfte erschöpft waren“, steht auf einer Schautafel. Aber nicht nur das Ende, auch der Beginn dieses europäischen Krieges wird dargestellt. Auf dessen vermeintliche Rahmung als Glaubenskrieg wird kurz hingewiesen, bevor der eigentliche Kriegsgrund, der Kampf um die Vormachtstellung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, benannt wird.
Zusätzlich wird der Klimawandel als Wegbereiter dieses Konflikts angesehen. Dieser zeigte sich damals als „Kleine Eiszeit“. Diese brachte lange, harte Winter, verregnete Sommer und bedeutete Ernteausfülle, wodurch tausende Menschen (ver)hungerten. Das ist nicht der einzige Hinweis in der Ausstellung, dass sich das Klima auf das Zusammenleben der Menschen und somit auf den Frieden auswirkt. Verändern sich die klimatischen Rahmenbedingungen kann das bewohn- und bewirtschaftbare Land knapp werden und dadurch Konflikte entstehen. Das führt den Besucher vom 17. Jahrhundert in das Jahr 2019, in dem der Klimawandel einen festen Platz im Bewusstsein hat, dessen Auswirkungen für die Sicherheit jedoch (noch) nicht.
Diorama des Todes
Im nächsten großen Saal steht das Hauptobjekt der Ausstellung. Die Ausgrabung eines Massengrabes, in dem die Leichname von 47 Gefallenen, der Schlacht bei Lützen bestattet sind. Dieses Artefakt macht klar, was Krieg vor allem bedeutet - den Tod. Bei Lützen (bei Dresden/Deutschland) starben etwa 6.000 Soldaten als 19.000 Schweden und 12.000 Kaiserliche am 16. November 1632 aufeinanderprallten. König Gustav II. Adolf von Schweden und Generalissimus Albrecht von Wallenstein der Kaiserlichen führten ihr Heere dort in eine Schlacht, die - wie sie viele davor und danach - keinen Sieger brachte.
Das "Diorama des Todes" ist ein Resultat der Schlachtfeldarchäologie. Gemeinsam mit anderen Fundstücken des Schlachtfeldes wird in dem Saal erneut der naturwissenschaftliche Zugang zum Thema Krieg erörtert. Dabei werden Methoden vorgestellt, mit denen man den Soldaten von damals „ein Gesicht geben kann“ oder was die Untersuchung ihrer Knochen über ihre Lebensbedingungen verraten. Darüber hinaus werden Waffen aus jener Zeit und ihre Wirkung im Ziel - dem menschlichen Körper - erklärt, was ebenfalls mit wissenschaftliche Methoden zur Rekonstruktion erfolgt.
Zusätzlich wird der Grabungsort der Schlacht bei Wagram nördlich von Wien erörtert. Dort kämpfte am 5. und 6. Juli 1809 die Armee Napoleons gegen die Habsburger. Im Zuge eines Straßenbauprojektes fanden im Jahr 2017 Rettungsgrabungen in Aspern statt, um die Relikte dieses historischen Ereignisses auf österreichischem Boden zu sichern. Von den Napoleonischen Kriegen führt der Weg zum Ausgang der Sonderausstellung, vorbei an drei Schautafeln, die den Bogen zum 20. Jahrhundert spannen. Jenes Jahrhundert, in dem der Krieg und die mit ihm verbundenen Schrecken den vorläufigen Höhepunkt erreichten, wird jedoch nur gestreift.
Ausstellungsdidaktik
Die Inhalte der Sonderausstellung, die in Kooperation mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte Halle an der Saale (Deutschland) organisiert wurde, werden anhand von Schautafeln und Schaustücken vermittelt. Die Texte der Schautafeln sind zweisprachig (Deutsch und Englisch) und enthalten, trotz der Kürze, alle wichtigen Informationen. Die teilweise einzigartigen Gegenstände unterstreichen den Inhalt und geben in Kombination mit den Grafiken einen anschaulichen Eindruck.
Der Besucher sollte sich für diese Ausstellung jedoch Zeit nehmen und sie als einen „3D-Fachartikel“ betrachten, der viele Sinne anspricht und die Möglichkeit bietet in das Thema einzutauchen und sich diesem chronologisch zu nähern. Deshalb ist es empfehlenswert sich bereits vor dem Besuch der Ausstellung mit ihr auseinanderzusetzen. Zu diesem Zweck gibt es auf der Website des Naturhistorischen Museums zahlreiche Informationen beispielsweise in Form von Blogartikeln.
Auf einen Blick
Wer die Geschichte von 7.000 Jahren Krieg in zwei großen und zwei kleinen Sälen darstellen möchte, der braucht Mut. Mut zur Lücke und Mut zur Kritik. Diese kann schon deshalb nicht ausbleiben, weil das Thema Krieg in Österreich bisher entweder aus einer historischen, militärischen oder sozialwissenschaftlichen und häufig politisch gefärbten Position bearbeitet wurde. Der naturwissenschaftliche Zugang ist neu und somit die Darstellung, dass Krieg ein Ergebnis der Evolution und quasi in die Genetik des Menschen eingeschrieben sei. Kriegerische Handlungen werden in der Ausstellung zwar als (negative) „Kulturleistung“ beschrieben und auch soziale Komponenten werden erwähnt, die Naturhaftigkeit des Phänomens ist jedoch die deutlich stärkere Rahmung. Das zeigen auch Zitate wie jenes von Henry Maine: "Krieg scheint so alt zu sein wie die Menschheit, Frieden aber ist eine moderne Erfindung".
Am Eingang der Sonderausstellung wird die Frage gestellt, warum Kriege geführt werden. Die Frage, wie Kriege zu vermeiden wären, taucht jedoch nicht mehr auf, weshalb sie auch nicht beantwortet werden kann. Dafür stellt sich die Frage, ob man das Phänomen Krieg in Österreich präsentieren „darf“, ohne den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundene Vernichtung von Millionen Menschen breit zu thematisieren? Diese Frage soll nicht hier geklärt werden, könnte jedoch der Ausgangspunkt einer gesellschaftlichen Debatte sein. Genau darin liegt der Wert von Ausstellungen, wie jener im Naturhistorischen Museum: Sie sind anders, mutig, eröffnen zusätzliche Perspektiven und Zugänge und sie haben das Potenzial, eine gesellschaftliche Diskussion anzustoßen. Diese Diskussion scheut das Museum nicht, wie die zahlreichen Vorträge, in denen die Themen der Ausstellung von renommierten Fachleuten, einem breiten Publikum detailliert vorgestellt werden, beweisen.
Fazit: Eine interessante Ausstellung mit beeindruckenden Artefakten, die zum Nachdenken anregt und einen neuen Zugang zum Themenkomplex Gewalt, Konflikt und Krieg eröffnet.
Offiziersstellvertreter Gerold Keusch, BA ist Redakteur beim TRUPPENDIENST.